Was auch geschieht: Am Ende sind immer die Frauen diskriminiert. Das ist heutzutage so sicher wie das Amen in der Kirche.
Dies gilt ebenfalls beim Thema Gesundheit. Egal dass Frauen hierzulande eine über vier Jahre höhere Lebenserwartung haben, egal dass die von Frauen verursachten Gesundheitsausgaben diejenigen der Männer übersteigen: sie sind auch in Sachen Gesundheit Opfer. Wie könnte es denn anders sein?
Zum gerade trendigen Thema Gendermedizin sind in den eidgenössischen Räten verschiedene Vorstösse hängig - in der Regel begleitet von lautstarkem medialen Sukkurs der linksliberalen Presse. Dabei schreiben selten Journalistinnen mit medizinischem Hintergrund über das Thema, dafür umso eher solche mit einem Abschluss in Germanistik, Publizistik oder Soziologie.
Schon der Begriff der "Gendermedizin" ist allerdings reichlich verwirrend. "Gender" meint bekanntlich das soziale Geschlecht. Wenn nun eine Person mit Prostata aber weiblicher sozialer Identität Beschwerden an ebendiesem Organ hat, dann ist es dem Organ wohl reichlich egal, ob sich sein Besitzer als weiblich oder männlich fühlt.
Entsprechend verknorzt fallen dann auch die Formulierungen aus. So heisst es in einer Motion, die in der Herbstsession vom Nationalrat behandelt wurde: "Das biologische und das soziokulturelle Geschlecht haben Auswirkungen auf Prävalenz, Präsentation, Verlauf, Therapie und Diagnostik von Krankheiten. Dazu tragen sowohl biologische Faktoren wie Geschlechtshormone und das in Erscheinung treten der Gene bei als auch das soziokulturelle Geschlecht (kulturell und sozial bedingte Verhaltensweisen)." Dass soziokulturell bedingte Verhaltensweisen einen Einfluss auf den Umgang mit Krankheiten haben können, ist durchaus plausibel. Inwiefern aber Verhaltensweisen identisch mit einem Geschlecht sein sollen, lässt sich wohl nur schwer nachvollziehen.
Entsprechend landen dann auch die Initiantinnen des Vorstosses nach der kurzen Verirrung in den politisch korrekten Gender-Diskurs sofort wieder beim biologischen "Geschlecht" (selbstverständlich unter tunlichster Vermeidung des bösen Wörtchens "biologisch") und fordern: "Veranlassung einer markanten Erhöhung an Forschungen über Beschwerden und Krankheiten, die speziell oder vor allem Frauen betreffen." Um Frauenkrankheiten geht es also, die Frauen betreffen - ganz klassisch. Frauen mit Prostatabeschwerden sind dabei definitiv nicht mitgemeint - Genderdiskurs hin oder her.
Aber auch beim Genderdiskurs gilt: Einmal gelernt ist gelernt. Und prompt hebt Tamedia-Journalistin Eveline Rutz in einem Artikel zum Thema an: "Das biologische Geschlecht und die Rollenzuschreibungen beeinflussen wie jemand erkrankt und medizinisch betreut wird." Dass soziale Rollen Einfluss darauf haben, wie jemand medizinisch betreut wird: Zugestanden. Schliesslich sind Menschen soziale Wesen. Welchen Einfluss Rollenzuschreibungen auf die Entstehung von Eierstock- oder Prostatakrebs haben, sollte die Redaktorin bei Gelegenheit aber bitte einmal erklären. Schön wäre es ja, könnte man die Entstehung von Krebs oder Endometriose alleine durch die Veränderung von Rollenzuschreibungen verhindern. Die Krankenkassen-Prämienzahler wüssten es zu danken.
Der Artikel trägt übrigens den programmatischen Titel: "Die Medizin muss Frauen endlich ernster nehmen". Und der erste Satz lautet: "Covid-19 verläuft bei Männern häufiger tödlich als bei Frauen. Letztere leiden dafür häufiger unter Langzeitfolgen." Was ist wohl schlimmer: Krank oder tot? Aber egal: Frauen werden nicht ernst genommen. (Und die Männer? Die braucht man nicht ernst zu nehmen, die sind ja tot...)
Wenn aber - immer gemäss der Autorin - Rollenzuschreibungen beeinflussen, dass Frauen häufiger unter Langzeitfolgen von Corona leiden, dann stellt sich unweigerlich die Frage: Wenn soziale und nicht organische Faktoren für die Langzeitfolgen von Corona verantwortlich sein sollen - ist es dann gar keine "richtige" Krankheit?
Frauen würden in Studien und bei der Entwicklung von Medikamenten kaum einbezogen, schreibt die Journalistin weiter. Wäre es anders, würden neue Medikamente stattdessen vornehmlich an Frauen getestet - man könnte sich den Aufschrei gleich vorstellen: "Frauen dienen als Versuchskaninchen für Männer!". Dass Männer als Versuchskaninchen für beide Geschlechter dienen - nein, keine Diskriminierung der Männer. Sondern ebenfalls eine Diskriminierung der Frauen. Was denn sonst?
(Motion 22.3868 "Gender-Medizin. Schluss mit Frauen als Ausnahme in der Medizin", eingereicht von Melanie Mettler und Leonore Porchet)
Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.
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