Die Kabarett-Première «Live und unvorbereitet» von Stefan Millius war ein Albtraum - für den Künstler, der ja gar nicht wollte.
Schon die Einladung weckt Zweifel: Kommen überhaupt Zuschauer in ein Programm, zu dem ein graumelierter Mittvierziger sein Laptop begeistert in den Händen hält und an einem Bleistift nuckelt? Und dies in Degersheim, einem Unkulturort? Und auf einer provisorischen Bühne aus Euro-Paletten, mitten in einem riesigen Brockenhaus, wo die Blicke der Zuschauer schon nach wenigen Minuten zu uralten Schlittschuhen und herzigen Teddybären abschweifen? Und kann ein einziger Mime 90 Minuten mit der Idee, nicht vorbereitet zu sein, halbwegs überleben?
Genau diese Gedanken wird sich Stefan Millius gemacht haben, als er das unplanbare Programm geplant hat, schliesslich nennt er sich Amateurkabarettist, agiert aber wie ein ausgebuffter Profi. Und so locker und im ersten Moment schwer einzuordnen, kommt er in kleinen Schritten auf die Minibühne mit nichts Anderem als einer Papiertüte.
Ein endlos langer Vertrag knebelt ihn, hier zu spielen – zwei Tage Vorbereitung mussten genügen. Diese Idee zieht er bis zum Schluss durch und erzählt und lamentiert und beschwert sich über diese Ungerechtigkeit und telefoniert mit einer Künstleragentur, die den Abend retten soll und baut andere nicht vorhandene Personen ein und wechselt blitzartig von Szene zu Szene, überrascht das Personal mit der Bestellung einer Flasche Bier, an die er sich den ganzen Abend klammert, bringt Storys aus seinem Leben, erzählt Anekdoten und Witze, beleidigt den Gemeindepräsident von Rorschacherberg, der prompt in die Vorstellung anruft und einigt sich mit ihm, dass er im nächsten Programm Destruktives über seinen Goldacher Kollegen bringen wird.
Das Publikum wird mit seinem Spielwitz, den rasant wechselnden Figuren und Szenen gefordert, hat manchmal Mühe, Fiktion und Realität ins Lot zu bringen, lacht deshalb manchmal verspätet, was wieder zu Lachern führt. Als Letztes zaubert er aus seinem Sammelsurium eine Handpuppe, mit der er in voller Imitationsfähigkeit Kliby und Caroline parodiert, stoppt abrupt mitten im Gag und erspart so den Zuschauern weitere quälende Minuten wie mit dem Original.
Der Schluss passt: Der ominöse Vertrag fordert «ein Feuerwerk an kreativen Ideen». Millius setzt sie um mit einer Tischbombe, zündet sie an, verschwindet in den Kulissen - und mit einem leichten Puffen endet der Abend.
Er droht, jedes Jahr bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2037 hier spielen zu müssen. Wahrscheinlich hat er dann immer ähnliche Albträume wie vor dieser Veranstaltung.
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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