Ostschweizer National- und Ständeräte ziehen Halbzeitbilanz und schätzen die aktuelle Lage ein. Heute: SVP-Nationalrat Roland Rino Büchel (*1965). Er sagt: «Zuzuschauen, wie sich Branche um Branche den völlig überrissenen Massnahmen beugte, sobald Geld versprochen wurde, tat mir richtig weh.»
Wir haben bewegte Zeiten hinter uns. Wie hat sich das Schweizer Politsystem als Gesamtes in dieser aussergewöhnlichen Lage geschlagen bzw. bewährt?
Mehr schlecht als recht. Wir haben zu viele Leute im Parlament, welche lieber «lafern» als liefern. Trotzdem machten die Politik und die Politiker in der Schweiz weniger Dummheiten als in anderen Ländern. Für mich völlig unverständlich ist, dass National- und Ständerat dem Bundesrat derart viel Macht überlassen haben. Es fällt vielen Parlamentariern offenbar leichter, die sozialen Medien zu bespielen, als im realen politischen Leben Verantwortung zu übernehmen.
Und welches Zeugnis stellen Sie dem Bundesrat aus?
Man darf sich nicht von der hervorragenden Arbeit von Finanzminister Ueli Maurer und Bundespräsident Guy Parmelin blenden lassen. Insgesamt hat der Bundesrat überängstlich gehandelt. Man könnte bei der aktuellen Schuldenmacherei (vom Parlament abgesegnet) meinen, dass es kein Morgen und keinen Nachfolgegenerationen gäbe. Die Zwischenbilanz mag weniger verheerend sein als diejenige von anderen Regierungen, dennoch ist sie alles andere als berauschend.
Welcher Aspekte, welches Ereignis war für Sie in der gesamten Corona-Situation wie ein Schlag in die Magengrube?
Es waren die grundsätzlichen Aspekte. Zuzuschauen, wie sich Branche um Branche den völlig überrissenen Massnahmen beugte, sobald Geld versprochen wurde, tat mir richtig weh. Wenn Unternehmer auch künftig jeden behördlichen Unsinn akzeptieren, nur weil vom Staat her ein paar Fränkli auf dem Konto landen, dann sehe ich schwarz für die Zukunft unseres Landes. Haben wir eigentlich vergessen, wer die Gründerväter und die Motoren in unserem einzigartigen Land waren? Mutige Freiheitskämpfer und noch mutigere Unternehmer!
Was bleibt für Sie hingegen äusserst positiv in Erinnerung?
Es sind zwei Dinge, welche mit Corona nichts zu tun haben. Welche? Erstens der kluge Entscheid des Bundesrats, das missglückte Rahmenabkommen «InstA» endgültig zu beerdigen. Zweitens der weise Volksentscheid gegen das missratene CO-Gesetz. Mit dem Rahmenvertrag und dem teuren und nutzlosen Gesetz wollten sich einige Leute aus Politik und Verwaltung Vorteile verschaffen und/oder dem Ausland gefallen. Gut, dass hier ein Riegel geschoben worden ist.
Die SVP hätte diesen Sieg kaum geschafft, wenn sie nicht noch vom Hauseigentümerverband (HEV) unterstützt worden wäre. Einverstanden?
Es ist kein Triumph der SVP. Es ist ein Sieg der Vernunft. Ohne die tatkräftige Hilfe des HEV hätte es definitiv nicht gereicht. Das Engagement war sowohl auf nationaler als auch auf kantonaler Ebene notwendig.
HEV-Präsident Walter Locher und andere FDPler, welche dem Druck aus ihrer Parteizentrale trotzten und für ein Nein kämpften, verdienen grossen Respekt. Im Kanton St. Gallen sind dies zum Beispiel Nationalrat Marcel Dobler und Alt-Nationalrat Walter Müller.
In Zürich gab Stadtrat Filippo Leutenegger Vollgas für das Nein. Überraschend?
Den endgültigen Entscheid, mit seiner Meinung mittels einer Kampagne in die Offensive zu gehen, hatte er an einem Anlass der parlamentarischen Gruppe Schweiz-Russland im Hotel Bern in Bern getroffen. Der ehemalige «SRF-Arena-Dompteur» hatte dort eine vielbeachtete Podiumsdiskussion zwischen FIFA-Präsident Gianni Infantino und der fachkundigen deutschen Menschenrechtsanwältin Sylvia Schenk geleitet. Das war am 1. Juni 2021.
Was gab ursprünglich den Ausschlag, dass neben gewissen «Promis» aus der FDP auch der HEV das CO2-Gesetz ablehnte?
Der Antrag im Vorstand vom HEV Schweiz, das Referendum zu ergreifen, kam von meinem «Vorgänger» beim HEV Schweiz, Thomas Müller. Er hat das Gespür, im richtigen Moment das Richtige zu tun. So wurde er als Präsident mit dem FC St. Gallen Schweizer Meister. Im gleichen Jahr 2000 schaltete «sein» FCSG im UEFA-Cup den diesjährigen Champions-League-Sieger aus, nämlich den grossen FC Chelsea aus London. Ein paar Jahre später siedelte Stadtpräsident Müller die Bank des bekannten Weltkonzerns «Würth» (80'000 Mitarbeiter) in Rorschach an, die «Würth Finance International».
Woran sollten sich die Wählerinnen und Wähler im grossen Wahljahr 2023 unbedingt zurückerinnern, bevor sie die Wahlzettel ausfüllen?
Mit der SVP gibt es bei den entscheidenden Themen nur noch eine Partei, auf welche aus bürgerlicher Wählersicht Verlass ist. Ich bin jedoch optimistisch, dass die FDP den Pfad der bürgerlichen Tugend bald wieder finden wird. Wenn es um die einzelnen Personen auf den verschiedenen Listen geht, dann gilt das Gleiche wie in anderen Lebensbereichen: Es macht Sinn, den Unterschied zwischen Blendern und Leuten mit wirklichem Einsatz für die Sache zu machen.
Welche Bereiche, in denen dringend Handlungsbedarf besteht, gerieten durch die Corona-Diskussionen eher in den Hintergrund?
Nicht viele. Im Gegenteil: Es wurde zu viel und zu hyperaktivistisch gehandelt. Ich sehe nur ein wichtiges Thema, welches in letzter Zeit auf Bundesebene klar vernachlässigt worden ist, nämlich die hohe Zuwanderung von Unqualifizierten, Unanständigen und von Profiteuren. Sie erfolgt in erster Linie über die Asylschiene. Und, leider, zunehmend auch über den Arbeitsmarkt.
Marcel Baumgartner (*1979) ist Chefredaktor von «Die Ostschweiz».
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