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Künstliche Intelligenz

«Man muss geistig offen bleiben»

Der Tech-Unternehmer und Startup-Investor Andreas Göldi spricht am WTT YOUNG LEADER AWARD zum Thema künstliche Intelligenz – kurz «KI». Im Interview erzählt Göldi, weshalb die öffentliche Diskussion darüber anders geführt werden sollte und welche Fähigkeiten Unternehmen und Teams künftig brauchen.

Pascal Tschamper am 03. Juni 2019

Andreas Göldi, der bekannte Forscher Jürgen Schmidhuber sagte kürzlich: «Viele begreifen langsam, dass KI die grösste Sache wird in diesem Jahrtausend. Das wird gigantisch!»

Hinter das Jahrtausend als Zeithorizont darf man ein Fragezeichen setzen. Er hat aber recht damit, dass es sich um eine fundamentale Innovation unserer Zeit handelt – ohne Einschränkung. Sie ist vergleichbar mit dem Internet oder Telefon. KI ist eine universelle Technologie. Das haben viele falsch verstanden, die darin eine Art Produkt sehen. Vieles lässt sich darauf aufbauen, auch ganz neuartige Geschäftsprozesse. Wir haben eben erst an der Oberfläche der Möglichkeiten gekratzt. Hier trifft «Amara’s Law» zu: Wir überschätzen oft kurzfristige Auswirkungen von Technologien, aber unterschätzen die langfristigen – wie schon beim Internet.

Viele verbinden mit künstlicher Intelligenz Filme wie Matrix, Terminator oder Blade Runner. Würden Sie diese ähnlich kritisieren, wie ein echter Polizist einen TV-Krimi?

Das hat etwas – oder wie mein Schwiegervater, der als Arzt keine Ärzteserien sehen kann. In diesen Filmen gibt es viel wilde Spekulation. Mit der Realität der KI-Technologien haben sie wenig zu tun. Es geht um Unterhaltung. Schade ist, dass damit übertrieben Ängste geschürt werden. Man sollte die gesellschaftliche Diskussion um KI anders führen.

Was passt Ihnen daran nicht?

Beispielsweise macht es keinen Sinn, KI grundsätzlich zu regulieren – wenn schon, muss man spezifische Anwendungen genauer betrachten. Anstelle von diffusen Ängsten, braucht es realistische Einschätzungen: Was kann diese Technologie? Welche Chancen eröffnet sie, wenn man sie richtig begleitet? Aber natürlich auch: Was sind die echten, realistischen Risiken beim heutigen Stand der Technik?

Hier geht es zur Unterseite des WTT YOUNG LEADER AWARD

Ab wann darf man historisch gesehen von künstlicher Intelligenz sprechen? Wie haben Sie die Entwicklung miterlebt?

Es begann in den 60ern mit den ersten brauchbaren Computern und der Frage: Wie kann man Maschinen für kognitive Leistungen einsetzen? Damals waren aber die Rechenkapazitäten zu limitiert, weshalb vieles theoretisch blieb. Die Grundideen wurden aber bereits dann entworfen. Ich begann, mich in den 80ern mit KI zu beschäftigen, als die erste Welle von Expertensystemen aufkam. Man wollte die Leistung menschlicher Experten automatisieren mit wohldefinierten Regeln – beispielsweise mit Entscheidungsbäumen für Qualitätsprüfungen von Produkten. In der Industrie hatten wir damit gewisse Erfolge. Man realisierte aber, dass die meisten realen Probleme zu komplex sind für einfache Regelwerke. Inzwischen sind solche Technologien kein grosses Thema mehr, obwohl sie noch immer existieren. In den 90ern kamen die neuronalen Netze auf – noch heute die dominierende KI-Technologie. Damit spielte ich schon im Studium herum, allerdings waren die Rechenleistungen noch immer zu gering für tragfähige Lösungen. Der echte Durchbruch kam in den letzten fünf bis sechs Jahren. Mit den neuen Rechnern konnte man massive neuronale Netze trainieren und ausführen. Interessanterweise waren Videospiele nicht unschuldig daran. Deren hohe Nachfrage führte dazu, dass spezialisierte Chips mit grosser Rechenleistungen heute günstig und universell verfügbar sind.

Es gibt klassische Beispiele wie Chatbots, Gesichtserkennung und Autopiloten. Können Sie weitere nennen, die wir bald im Alltag sehen werden?

Es gibt immer mehr Anwendungen, die branchenspezifische Probleme lösen. Oftmals klingen sie unspektakulär, bringen aber viel. Beispielsweise investieren wir in die Firma Zeitgold. Sie setzt KI ein, um KMU bei Zahlungsprozessen zu helfen. Die packen einfach wöchentlich alle Rechnungen in eine Kiste und geben sie ab. Sie werden gescannt, mit KI analysiert, automatisch erfasst und abgewickelt. So spart ein Restaurantbesitzer mehrere Stunden pro Woche. Für Zahnärzte gibt es ein Gerät, dass die Patientengespräche mithört und daraus automatisch die notwendigen medizinischen Notizen erstellt – Zeiteinsparung: bis zu 30 Prozent. Es gibt viele solche Beispiele, die keine Schlagzeilen generieren, aber konkrete Verbesserung bringen.

Wo wird der Mensch immer besser bleiben als die Maschine?

Wer weiss, wo wir in hundert Jahren stehen? Maschinen werden noch lange nicht zu semantischen Interpretationen fähig sein. Unser Weltwissen und unsere Erfahrungen, die wir von klein auf sammeln – Maschinen können das nicht. Bei der Kreativität wird es interessant: Es gibt Software, die Songs schreiben oder Bilder malen, die sich offenbar teuer verkaufen lassen. Hat das Qualität? Ist das eine künstlerische Leistung? Hier verschwimmen die Grenzen. Die heutige Generation von KI hat bestenfalls die kognitive Leistung eines Hundes. Sie schafft einfache Mustererkennungsaufgaben wie Bilderkennung, allerdings sehr viel schneller als Menschen.

Mit dem Siegeszug der KI werden auch neue Berufe entstehen. Sollte man jetzt Data Science studieren?

Wichtig ist zu verstehen, dass sich die Welt rasch ändert. Jobs haben eine begrenzte Lebensdauer, und die technologische Entwicklung beschleunigt dies. Man muss sich stets weiterbilden – auch ich als Experte. Data Science ist spannend, weil es technische mit kommunikativer Arbeit verbindet.

Was bremst KI-Entwicklungen in den Unternehmen noch?

Erstens der Fachkräftemangel – nur wenige können KI auf konkrete Geschäftsprozesse anwenden. Zweitens ist das Verständnis auf Managementebene nicht sehr ausgeprägt. Bei vielen Innovationsprojekten handelt es sich um technische Spielereien ohne konkrete Problemstellungen. Das gilt auch für Blockchain-Projekte. Drittens gibt es oft Ängste in der Belegschaft. Was bedeuten Veränderungen für die Jobs? Diesen Herausforderungen muss sich die KI-Branche stellen, ihre Chancen und Perspektiven aufzeigen.

Welche Chancen sind das?

Das kommt auf die Branche an. Die Maschinenindustrie beschäftigt sich schon lange mit Automation. Jeder Roboter funktioniert mit einer Form von KI. Neu ist, dass KI auch in die eigentlichen Produkte einfliesst und diese damit besser macht. Restaurants, Bäckereien oder andere Betriebe betrifft das Thema KI anders: Wie kann man Kosten reduzieren oder den Kundendienst verbessern? Diese Anwendungen unterscheiden sich von Branche zu Branche. In der Immobilienwirtschaft verspricht das Internet der Dinge mit seinen Sensoren Verbesserungen. Frühwarnsysteme verhindern, dass Dinge unentdeckt schief laufen.

Worauf gilt es zu achten bei der Implementierung von KI in Unternehmen?

Man muss genau überlegen, welche geschäftlichen Ziele man verfolgt. Bei jeder Technologiewelle gibt es zu Beginn Projekte mit Spielzeugcharakter. Offenheit für Experimente braucht es aber. Wichtig ist, die Mitarbeitenden mitzunehmen und zu erklären, weshalb man KI-Projekte anstösst.

Welche Fähigkeiten werden in Unternehmen stärker gefragt sein?

Kreativität beim Nachdenken über Geschäftsprozesse! Diese muss man gründlich verstehen. Es braucht analytische Fähigkeiten in Bezug auf Daten. Schlussendlich muss man verständlich kommunizieren können. Es gilt, Fähigkeiten des typischen Nerds mit jenen von Kommunikatoren zu vereinen. Wichtig ist, iterativ zu denken, Probleme schrittweise anzugehen, dabei ständig zu lernen und Verbesserungen zu erzielen. Zudem braucht es ganze Portfolios von Innovationsprojekten – von zehn sind dann vielleicht zwei oder drei erfolgreich. Grosse Tech-Firmen wie Google oder Amazon sind erfolgreich, weil sie sich rasch bewegen – nicht kopflos, aber in schnelleren Zyklen. Jährliche Budgetvergaben oder traditionelle Investitionsrechnungen sind zu langsam. Führungskräfte müssen zudem mehr und intelligenter delegieren. Das Tempo ist nur mit autonom arbeitenden Experten zu bewältigen. Das Patronmodell funktioniert nicht mit KI.

Sind Schweizer oder Europäer – mit Blick über den Atlantik oder nach Asien – überhaupt konkurrenzfähig in dieser Branche?

Akademisch auf jeden Fall! In Europa werden mehr KI-Forschungspapiere geschrieben als in den USA oder China. Es gibt auch führende Unternehmen in Europa – wie DeepMind, das von Google gekauft wurde. Viele der massgeblichen KI-Innovationen kommen aus Europa. Oft hapert es bei uns am Marketing, wenn es darum geht, aus Forschung schnell wachsende Firmen zu bauen. Europäische Märkte sind fragmentiert und klein. Manchmal fehlt die Bereitschaft, gross zu denken – globaler Ehrgeiz. Ich sehe gelegentlich KI-Startups, die vorerst den Schweizer Markt erobern wollen. Das ist keine relevante Grösse in der KI-Welt. Europa hat aber aufgeholt. Die Politik tat ihres dazu mit Förderprogrammen und besseren Rahmenbedingungen. Die Menschen hier sind grundsätzlich innovationsfreudig. Es ist kein Zufall, dass Google eines seiner grössten Entwicklungszentren in Zürich hat. Das hat nicht nur steuerliche Gründe.

Welchen Beitrag kann die Politik wirklich leisten?

Industriepolitik kann etwas bewegen. Bildungsoffensiven tun gut – St.Gallen ist da auf gutem Weg. Förderprogramme für die Grundlagenforschung helfen enorm. Als Kapitalgeber steigen wir bei btov Partners zwar früh bei Firmen ein, Grundlagenforschung können wir aber nicht finanzieren. Ich selbst profitierte bei meinen Startups von öffentlichen Geldern – kleine Anschubfinanzierungen stiften grossen Nutzen. Die Politik darf nur nicht überregulieren.

Worauf ist btov Partners als Startup-Investor spezialisiert?

Wir haben zwei Investment-Teams: Industrietechnologie und Digitaltechnologie – bei letzterem bin ich dabei. Dazu gehört alles, was man nicht anfassen kann: Internet, Software oder künstliche Intelligenz. Industrietechnologie heisst Automatisierungstechnologie, Internet der Dinge oder Roboter. Dabei ist KI Basis für beides. Wir finanzieren spezifische Anwendungen – ein extrem dynamischer Markt. Die Grundlagen überlassen wir Grösseren: Themen wie Infrastruktur für Cloud Computing oder selbstfahrende Autos sind heute nichts mehr für Startups – da haben Autokonzerne schon Probleme, um mitzuhalten.

Was braucht ein Startup, damit Sie hellhörig werden? Wann steigen Sie ein?

Sehr früh – oft bevor Umsatz kommt. Wichtig sind ein solides Produkt und ein attraktiver, nicht übersättigter Markt. Dann braucht es ein gutes Team mit ausbalancierten Kompetenzen – nicht nur Betriebswirtschaftler oder nur Ingenieure. Die Teams brauchen zudem einen guten Marktzugang und Beziehungen. Es macht Sinn, dass bei einer Zahnarzt-Software ein Zahnarzt dabei ist. Informationsvorsprung ist wichtig – ein Vorteil, den andere nicht schnell kopieren können.

Die grosse Idee spielt keinen Rolle …

Ideen sind fast irrelevant. Die Umsetzung ist wichtig; welchen Vorsprung hat man? Vertraulichkeitserklärungen amüsieren mich eher. Manchmal sehe ich in einem Monat vier Startups mit derselben Idee – die liegt dann in der Luft. Der Trick ist, das Team zu finden, das die Sache auf den Boden bringt. Fantasieprojekte sind ungeeignet. Man kann keine Branche verbessern, zu der man keine Affinität hat.

Wo sehen Sie aktuell vielversprechende Entwicklungen?

Die Grundlagentechnologien der KI wurden demokratisiert – günstig und universell. Google, Amazon, Facebook und andere publizieren sie als Open-Source-Software. Man bekommt herausragende State-of-the-Art-Technologien für null Franken. Auch grosse Rechenzentren braucht niemand mehr; man mietet Rechenkapazität für wenig Geld. So können Startups schnell und mit wenig Kapital spezifische Anwendungen entwickeln. Es braucht heute teils nicht mal mehr viel mathematisches Know-how, denn es gibt schon KI angewendet auf KI. Das heisst, man kann heute mit vergleichsweise wenig Fachkenntnissen KI-Modelle bauen und Dinge automatisieren. Die Technologien entwickeln sich rasant. Allerdings muss man deshalb inzwischen viel Zeit investieren, um auf dem Laufenden zu bleiben.

Blick in die Zukunft: Welches ist die nächste grosse Technologiewelle nach KI?

Es gibt kein offensichtliches nächstes grosses Ding. Bei Virtual Reality machte sich Enttäuschung breit. Das Internet der Dinge ist bereits da. Bei uns zuhause gibt es gegen hundert ans Internet angebundene Geräte – so fundamentale Veränderungen waren das nicht. Dann gibt es Enabling-Technologien wie 5G. Da sehe ich eher schrittweise Veränderungen. Ob ein Smartphone mit hundert oder tausend Megabits pro Sekunde Daten herunterlädt, wird keine Revolution verursachen. Ich sehe am Horizont derzeit nichts so Fundamentales wie KI – auch Blockchain nicht.

Im September sprechen Sie am WTT YOUNG LEADER AWARD in der Tonhalle St.Gallen über Chancen der KI für die Ostschweizer Wirtschaft.

Es geht hauptsächlich um die Auswirkungen von KI auf Anwenderseite. Was heisst es, hier innovativ zu sein? Die Ostschweiz ist kein Technologie-Cluster, aber interessant. Sie hat gute Fachleute und eine hohe Lebensqualität. Damit liegt sie im Trend – man denke an Remote-Jobs, Telearbeit. Die Leute wollen das. Es gibt Startups mit hunderten von Mitarbeitenden ohne physischen Sitz. Das ist eine Chance für die Ostschweiz mit viel Potential.

Im Publikum werden die besten Wirtschaftsstudierenden der FHS sitzen, die Leader von morgen. Welche Botschaft haben Sie für sie?

Neugier ist ganz wichtig – man muss sie erhalten und fördern. Jede Karriere wird sich künftig mehrmals fundamental verändern. Man muss geistig offen bleiben.

  • Der WTT YOUNG LEADER AWARD findet am Montag, 16. September, in der Tonhalle St.Gallen statt. Weitere Infos: www.fhsg.ch/wttyla

Andreas Göldi, btov Partners

Andreas Göldi lebte seine Leidenschaft zunächst am Institut für Wirtschaftsinformatik der Universität St.Gallen und gründete bald erste Startups – darunter die St.Galler Digitalagentur Namics. Bei weiteren Unternehmen war er jeweils selbst für Entwicklung ihrer Technologien zuständig. Nach einem Studium am renommierten Massachusetts Institute of Technology baute Andreas Göldi im US-Tech-Mekka Boston die Firma Pixability mit auf und optimierte globale Video-Kampagnen für Weltkonzerne. Gleichzeitig beteiligte er sich an diversen Startups. Zurück in St.Gallen wechselte er gänzlich auf die Investorenseite zur Venture-Capital-Firma btov Partners.

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Autor/in
Pascal Tschamper

Pascal Tschamper (*1974) ist selbständiger Kommunikationsberater in St.Gallen (Tschamper Kommunikation). Zuvor arbeitete als Kommunikationschef im Bildungsbereich und in diversen Marketing-, PR- und Event-Agenturen in Zürich und St.Gallen.

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