Das heutige Medienumfeld ist nicht vergleichbar mit demjenigen vor einigen Jahren. Wie verhält man sich, wenn man «mitmachen» will - was geht, was geht nicht, wenn man schreibt, wenn man sich äussern möchte? Und wie reagiert man auf Medienanfragen? Ein Leitfaden.
Vor zwei Wochen hat im Kanton St. Gallen ein Amtsarzt (im Nebenamt) von sich reden gemacht. In einem Artikel hatte ihn eine Journalistin recht pauschalisierend unter anderem diverser Vergehen gegen die politische Korrektheit bezichtigt. Der nicht mehr so junge und erfahrene Hausarzt ärgerte sich so gewaltig, dass er der Journalistin über Facebook allerlei deftige Dinge an den Kopf warf. Der Aufschrei war gross und der Mediziner wurde vom Kanton, der sonst für jede Kleinigkeit eine Kommission einberuft, ohne viel Federlesens abgesetzt. Und auch seine Kollegen von der Ärztekammer, die ansonsten lieber im Hintergrund bleiben, hatte eine Untersuchung anberaumt und sich medial von ihrem Kollegen distanziert. Und sein Arbeitgeber, ein «innovativer Healthcare-Provider»? Auch er bekam es mit der Angst zu tun und stellt den verdienten Mitarbeiter frei.
Nun war wohl die emotionale Reaktion des Medizinmannes in etwa so unangebracht wie die Reaktionen darauf masslos übertrieben. Aber so lebt es sich nun einmal in der (überemotionalen) Mediengesellschaft 2020. Deshalb ein paar Hinweise und Tipps, worauf Sie mit Vorteil achten, um sich nicht um Kopf und Kragen zu reden.
Damit dieser Text gleich richtig «geframt» ist: Persönlich sind wir mit vielen dieser Entwicklungen nicht einverstanden, oder halten sie für einen möglichste offenen Diskurs für gefährlich. Deshalb freuen wir uns durchaus über alle, welche sich durch die nachfolgenden Ratschläge nicht einschüchtern lassen – wie beispielsweise den ehemaligen SP-Präsidenten Bodenmann, der es sich seit Jahren nicht nehmen lässt, in der Weltwoche, die für seine Parteifreunde ein grauenhaftes Umfeld sein muss, seine Weltsicht zu vertreten. Chapeau! Aber nicht jede/r ist ein Bodenmann – und sagen Sie dann nicht, wir hätten Sie nicht gewarnt.
Punkt 1: Kommentare im Internet
Achten Sie gut darauf, wo sie sich digital und auch sonst herumtreiben. Heisst: Überlegen Sie sich gut, auf welchen Internetseiten und in welchen Foren Sie Kommentare abgeben. Oder auf welche Artikel, Studien oder kritische Anmerkungen sie verlinken. Merke: Es spielt keine Rolle, was Sie verlinken. Falls es aus einem «falschen“»Kanal stammt, reicht das schon für eine Skandalisierung. Und: Man kann alles auch noch nach Jahren finden. Und das wird dann ausgegraben und gegen Sie verwendet.
Punkt 2 – Besuch von Events
Wenn Sie zu einem Vortrag an einem Kongress geladen werden: Überprüfen Sie gut, wer dort sonst noch spricht und dass an derselben Veranstaltung auf keinen Fall andere Referent/innen auftreten, die in irgendeiner Art und Weise in die Ecke der Holocaustleugner, der Verschwörungstheoretiker, der Corona- oder Klimaleugner oder anderer XY-Leugner gestellt werden können. Auch hier gilt: Mit gehangen, mit gefangen. Dass der «fragwürdige Mitreferent» (die Anführungszeichen, weil es schon reicht, dass er in einem solchen Dunstkreis genannt wird, ein Beweis muss nicht erbracht werden) mit Ihnen am selben Event aufgetreten ist, ist schlimm genug.
Punkt 2a – Überprüfen Sie das Demokratiezeugnis
Eine Unterschublade, die grad‘ letzte Woche mal wieder in dümmlichster Art und Weise geöffnet wurde: Die Diktatorenfalle. Tätigen Sie keine (wirklich keine!) Geschäfte mit Ländern, die kein lupenreines Demokratiezeugnis aufweisen. Am besten lassen Sie sich gar nie in einem solchen Land blicken. Und lassen Sie sich um Himmels willen schon gar nie mit einem solchen Machthaber gemeinsam abbilden. Peter Spuhler kann nach dieser Woche ein Lied davon singen. (Ok, da gibt es auch noch China oder die Türkei; da schauen dann die besagten Medienleute nicht so genau hin. Wohl, weil sich dann die eigene Scheinheiligkeit im glossy iPhone Display spiegeln würde.)
Punkt 3 - You Tube
Auch die einschlägigen Youtube-TV-Stationen, welche Verschwörungstheorien (oder auch einfach nur kritische Gedanken zum Mainstream) «eine Plattform geben» sollten Sie meiden. Dieses Umfeld ist derzeit extrem toxisch. Merken Sie sich: Auch hier: Es kommt nicht drauf an, was Sie sagen, sondern auch in welchem Umfeld. Wenn dieses verseucht ist, greift die Seuche auf sie über. Bedeutet. Wer sich mit Coronaleugnern abgibt, wird selbst ein Coronaleugner (ob er/sie das will oder nicht). Das geht heute so weit, dass Sie sich auch gut überlegen sollten, mit bestimmten gewählten Vertretern des Volkes in einer Debatte aufzutreten sollten.
Punkt 4: Mainstream: Ja oder Nein
Überlegen Sie sich auch sehr, sehr gut, ob Sie vom gerade aktuellen Mainstream abweichen wollen. Das kann nämlich ihre Reputation akut gefährden. Stellen Sie dabei sicher, dass Sie auf dem aktuellen Stand sind, was grad‘ Mainstream ist. Das kann nämlich schnell ändern.
Beispiel gefällig? Im April gehörte es noch zum guten Ton, zur Corona-Bekämpfung gegen Masken zu sein. Letzte Woche wurde nun über Studien berichtet, die belegen sollen, dass die Masken doch zu einer fulminant tieferen Ansteckungsrate führen. Das bestätigt den neuen Mainstream, Masken für wichtig zu halten. Aber Vorsicht: Das kann sich schnell wieder ändern, wenn ein anderes Wissenschaftsteam nachrechnet und einen Statistikfehler findet (soll ja schon passiert sein…), wenn einer drauf aufmerksam macht, dass die Studie keine Corona-19 Viren, sondern die alten SARS-Viren untersucht hatte, dass die Stichprobe nicht repräsentativ oder schlicht zu klein war oder was auch immer da noch an wissenschaftlichen Fettnäpfen bereit stehen.
Wichtig: Den Mainstream zu hinterfragen ist gefährlich geworden. Dabei spielt es keine Rolle, ob Sie gute Argumente haben. Wo früher die Debatte das Geschäft belebte, wird heute (nicht nur in den Medien, aber auch) vor allem gebrandmarkt. Mit den üblichen Kategorien, wir haben sie schon genannt.
Punkt 5: Keine «Arroganz des Wissenden»
Falls Sie sich also doch exponiert und unseren Ratschlag in den Wind geschlagen haben, weil es einfach nicht Ihrem Charakter entspricht, vor einer selten dämlichen/ignoranten oder einfach falschen Meinung zu kuschen, und Sie nun ins Fadenkreuz eines inquisitorischen Medienschaffende gekommen sind: Spielen Sie sich nicht auf!! Es ist unvermeidlich, dass Sie mehr von einer Sache verstehen als der Journalist oder die Journalistin, welche/r sie kontaktiert.
Medienschaffende widmen sich in aller Regel ja nicht nur einem Thema und wissen deshalb im besten Falle über Vieles ein wenig (zugegeben: diejenigen, die von Wenig auch nur wenig wissen, werden leider immer mehr). Lassen Sie sich auch nicht dadurch provozieren, dass bei Medienschaffenden das Selbstbewusstsein gelegentlich umgekehrt proportional zum Wissen oder dem Ausbildungsniveau verhält. Auf jeden Fall aber sollte Sie das nicht zur «Arroganz des Wissenden» verleiten lassen.
Nehmen Sie sich die Zeit, der Journalistin Ihren Punkt zu erklären. Gerade und erst recht, wenn sie kritische Fragen hat: Nehmen Sie die Person, bildlich gesprochen – bei der Hand. Wir kennen auch viele Situationen, bei denen ein Medienschaffender sehr wohl realisiert hat, dass eine Person, über die er/sie kritisch berichten wollte, doch eigentlich sehr viele gute Punkte hat und viel weiss – vielleicht eben auch mehr als die «Gegenseite». Das kann die Verhältnisse im besten Falle sogar umdrehen. Wir kennen nicht wenige Fälle, bei denen auf diese Weise sogar ein nachhaltiger und langjähriger Medienkontakt entstand. Denn: Jede/r Journalist/in ist froh, im eigenen Netzwerk Fachleute zu wissen, die ihnen im Bedarfsfall ein Thema erläutern und Hintergrundwissen vermitteln.
Punkt 6: Fragen Sie nach
Bevor Sie aber überhaupt mit einem Medienschaffenden sprechen, klären Sie den Rahmen: Welches ist das Thema? Welche anderen Quellen kommen in dem Beitrag vor? Wie lange soll der werden? Etc. Sie wollen schliesslich wissen, worauf Sie sich einlassen und welche Rolle ihnen in der Story zugedacht ist, welche die Journalistin verfolgt.
Punkt 7: Keine Pflicht, aber könnte helfen
Natürlich gibt es keine Pflicht, einem Medienschaffenden gegenüber Auskunft zu erteilen. Lassen Sie sich auch nicht einschüchtern durch die allerlei branchenüblichen Nötigungsversuche à la «Es wäre sicherlich besser für Sie, wenn Sie sich äussern.» Sie müssen sich aber auch bewusst sein, dass eine Weigerung nicht bedeutet, dass der geplante Beitrag dann nicht erscheint. Dann werden einfach andere über Sie sprechen statt sie selbst. Und dass es in der heutigen Zeit keinerlei Aufwand mehr bedarf, irgend‘ jemanden zu finden, der über Sie herzieht (erst recht, wenn die Person anonym auftreten kann), das war früher schon Thema in dieser Kolumne.
Punkt 8 Regeln aufstellen
Deshalb sollten Sie auf jeden Fall Regeln aufstellen, etwa, dass Sie die Fragen und/oder Vorwürfe erhalten, um Ihre Antworten vorbereiten zu können. Und dass Ihnen Ihre Zitate, die anschliessend verwendet werden, zur Autorisierung vorgelegt werden. In diesem Punkt müssen Sie zwingend verlangen, dass Sie nicht einfach eine Auswahl von Zitaten erhalten, aus denen dann doch nur das eine oder andere kommt, sondern genau diejenigen, die auch abgedruckt werden. Wir erleben es häufig, dass Medienschaffende einfach mal eine Auswahl an Zitaten schicken. Von den, sagen wir mal, 12 zur Autorisierung vorgelegten Zitaten wird dann doch nur eines verwendet – und erst noch das, welches ihr Hauptargument nicht beinhaltet. Halten Sie auch ein aktuelles, gutes Foto von sich bereit. Sonst kommen die peinlichen Bilder aus den 80/90-Jahren, wo sie aussehen wie ein Klon aus Miami Vice.
Punkt 9: Impulskontrolle, sonst kommt das Rudel
Kontrollieren Sie Ihre ersten Impulse, falls dann doch etwas schief gegangen ist und der Medienbericht ihre Reputation beschädigt. Eine öffentliche Beschimpfung des Medienschaffenden wie im Falle des St. Galler Amtsarztes ist nicht zielführend, wie wir gesehen haben. Die Reaktion des Medien-«Systems» war übrigens typisch: Wird ein Medienschaffender öffentlich gerüffelt (ob gerechtfertigt oder nicht, spielt nur eine untergeordnete Rolle), eilt das ganze Medienrudel zur Hilfe herbei. Und wenn es dann auch noch lauthals nach Rücktritt schreit, wird es rasch sehr eng, wie figura zeigt. Da ist das Bauernopfer für den politisch Verantwortlichen das kleinere Übel, als es sich mit dem dominierenden Medienkonzern auf dem Platz zu verspielen. Auch das ist ein Klassiker. Lösen Sie sich deshalb, falls sie dieser Illusion noch anhängen, von der Vorstellung, Ihre Vorgesetzten oder irgendjemand würde Ihnen noch den Rücken stärken, wenn Ihr Rücktritt verlangt wird. Das gilt notabene auch, wenn Sie alles richtig und nichts Falsches gemacht hätten.
Punkt 10: Was kann man tun?
Was also tun im diesen Fall?
• Gegendarstellungen bringt meist nichts, wie wir an dieser Stelle schon früher ausgeführt haben.
• Gerichtlich gegen den fehlbaren Medienbetrieb vorzugehen, braucht einen langen Atem und viel Geld. Wir haben grad diese Woche mitbekommen, dass in der Causa Ringier AG vs. Spiess-Hegglin das Zuger Obergericht ein Urteil gefällt hat. Der Instanzenzug ist damit allerdings noch nicht ausgeschöpft. Nach sechs Jahren.
• Eine Beschwerde beim Presserat? Kann eine Möglichkeit sein, wenn der Medienschaffende tatsächlich seine Rechte und Pflichten verletzt hat. Bringt ihnen am Ende aber auch nicht mehr als (im besten Falle) die Genugtuung, dass der Journalist oder die Journalistin bei einer Verurteilung einen Tolggen im Reinheft hat. – Die Spruchpraxis des Presserates ist zudem bei gewissen Regeln, sagen wir einmal, speziell. Sprechen Sie deshalb am besten erst mit einem Fachmann, bevor sie am Ende den Aufwand für nichts betreiben. Zum Thema Litigatiom-PR werden wir in einer der kommenden Kolumnen kommen.
• Der Königsweg ist in der Regel allerdings der, das Gespräch mit dem Journalisten zu suchen und auf diesem Weg einzufordern, dass Fehler korrigiert werden. Manchmal will der nicht, dann geht’s halt die Hierarchieleiter hoch. Wir können uns an einen konkreten Fall erinnern, wo es die Intervention einer Verwaltungsrätin brauchte. In diesem Fall arbeitet unterdessen immerhin weder der Autor des inkriminierenden Artikels noch dessen damaliger Chefredaktor mehr für diese Zeitung. Das bleibt aber die Ausnahme. Viel öfter gelingt es, nach einer solchen Chropfleerete doch noch zu erreichen, was wir eigentlich schon unter Punkt 3 erreichen wollten: eine tragfähige und gute Arbeitsbeziehung, in der beide Seiten die Rolle des jeweils anderen respektieren.
Roger Huber (1964) und Patrick Senn (1969) sind ehemalige Ostschweizer Journalisten, die lange Jahre bei nationalen Medientiteln gearbeitet haben. Heute unterstützen Sie Organisationen und Führungskräfte in der Krisenkommunikation und sind Gründungsmitglieder des Verbandes für Krisenkommunikation vkk.
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