Wir haben uns bei Lubera vorgenommen, in den nächsten 10 Jahren einen Schwerpunkt unserer Forschungs- und Züchtungsarbeit auf mediterrane oder besser allgemein südliche Pflanzen zu legen.
Die Tomate, die schon lange bei uns Gastrecht geniesst, aber mit unserem Klima und den Niederschlägen nicht so recht warm geworden ist; die Süsskartoffel, ebenfalls aus Südamerika, die gerade auf dem Sprung ist, Westeuropa und Mitteleuropa zu erobern. Dann die Feigen, die von der arabischen Halbinsel in den mediterranen Raum kamen und mit ihrem parthenokarpen Sorten schon lange auch nördlich der Alpen expandieren. Zitruspflanzen und Maulbeeren, die einen langen Weg vom Fuss des Himalayas über China und Indien, dann über Persien und Palästina bis Mediterranien hinter sich gebracht haben und sich seit der Renaissance über die Orangerien auch in Mittel- und Nordeuropa festsetzen. Dazu Kaki, Feijoa, Granatäpfel und einiges mehr.
Werden wir jetzt zu botanischen Pflanzenlandesverrätern, weil wir so intensiv auf fremdländische, ausländische Pflanzen schielen. Ist das alles nicht unnatürlich oder sogar schädlich? Sind es nicht gerade diese mit und ohne Hilfe des Menschen einwandernden Pflanzen, die unsere alten einheimischen Pflanzen verdrängen? "Zuwanderer bedrohen Lebensraum", so betitelte kürzlich der St. Galler Bauer einen Artikel über das Referat einer Beamtin aus dem Amt für Fischerei und Jagd des Kantons St. Gallen, wahrscheinlich um anzudeuten, dass sonst ein "Volk ohne Raum", eine einheimische Pflanzengesellschaft ohne Raum folgern würde. Ob sich die wackere Beamtin der historischen Assoziation bewusst ist? Fast schon weinerlich bat die Schreibtischtäterin zum Schluss darum, den einheimischen Arten sowohl bei den Tieren als auch bei den Pflanzen überhaupt eine Chance zu geben… Und dazu sei halt der bedrohliche Aufmarsch der fremden Pflanzen und Tiere in heroischem Kampfe aufzuhalten (na ja, zugegeben, ich übertreibe ein bisschen…).
Ein paar Gedanken dazu seien mir aber erlaubt; es ist ja Saure-Gurken-Zeit, und da poppt halt auch der Pflanzenfremdenhass zuverlässig immer wieder auf, wie wenn wir im Sommer nichts Gescheiteres zu tun hätten…
Der Täter ist der Mensch, und nicht die Pflanze: Beim Nachvollzug von 1000 Jahren Pflanzen-Einwanderungsgeschichte auf den britischen Inseln ist kein einziger Fall gefunden worden, in dem eine einwandernde Pflanze eine einheimische Pflanze direkt verdrängt hätte. Pflanzen kommen und Pflanzen gehen. Vor allem erfolgreich einwandernde Pflanzen suchen opportunistisch die Lücken, die sich auftun – und die sind in der Regel menschengemacht: Industrieeinöden, zubetonierte Landschaften, intensive Landwirtschaft. Und es ist grundsätzlich gut, dass sie diese Lücken füllen. Immer wieder gerne erinnere ich mich an den kurzen Moment Pflanzenglück, als ich am Rande des City Airports in London eine Buddleja entdeckte. Die Dame vom Fischereiamt des Kantons St. Gallen hätte sie wohl als Bedrohung empfunden.
Mehr Diversität ist eindeutig besser, produktiver, sicherer (auch aus Sicht des Menschen) als weniger Diversität. Also sind mehr verschiedene Pflanzen besser als weniger. Folglich bedauern wir zu Recht die Abgänge, wir versuchen sie auch – wenn immer möglich – zu verhindern. Wir freuen uns aber grundsätzlich immer über die Pflanzen-Zugänge – und dabei insbesondere über vitale, vermehrungsfähige und überlebensfähige Zuwanderer, weil sie die Grundlage des Lebens sind. In jeder mit und ohne Hilfe des Menschen zuwandernde Pflanze gleich eine Gefahr zu sehen, wie die Dame vom Fischerei- und Jagd-Amt, ist nicht nur falsch, sondern nachgerade pervers. Und auch zutiefst unehrlich, weil wir uns und den Rest der Menschheit ohne fremde Pflanzen nie und nimmer ernähren könnten…
Ist es jetzt wichtiger, das Alte zu erhalten, als das Neue zu begrüssen. Das will uns natürlich das Gewohnheitstier in uns allen zuflüstern: Bleib doch beim Alten und Bekannten und Bewährten, das wird schon gut sein… Wer aber den inneren denkfaulen Schweinehund überwindet und klar und vernünftig denkt, kommt zu einem anderen Schluss: Diversität entsteht am Ende vor allem aus dem Neuen, nicht aus dem Alten. Wir wissen heute: Unzugängliche und unentdeckte Inseln hatten vor den menschengemachten Importen zwar fast immer eine ganz besondere und spezielle Flora und Fauna, aber gleichzeitig auch eine relativ arme. Durch die einwandernden Pflanzen hat auf allen Inseln die Diversität nicht etwa abgenommen, sondern zugenommen. Diversität entsteht nun mal aus dem Neuen; der Genpool trocknet ohne Neuzugänge langsam aber sicher aus.
Seit Vavilow, einem russischen Forscher, der den Blick auf die Pflanzengeschichte und die Geschichte der Kulturpflanzen nachhaltig veränderte, reden wir von Zentren der genetischen Vielfalt. Und diese liegen nun mal eher nicht bei uns im Norden, sondern in historisch und klimatisch begünstigteren Regionen, in China, am warmen Fuss des Himalayas, in Südamerika, eher nicht in Bümpliz bei Bern oder in Ekern bei Bad Zwischenahn bei Oldenburg bei Bremen. Wenn etwa doch, bitte ich um sachdienliche Mitteilungen.
Könnte es einen Grund geben, dass das Eigene und Bekannte bei den Pflanzen systematisch wertvoller und besser wäre als das Fremde und Ausländische? Dann wäre ja auch das negative Vorurteil gegen die fremdländischen Pflanzen berechtigt, die grundsätzlich des Pflanzenkannibalismus' verdächtigt werden, weil sie einheimische Pflanzen, wenn nicht gar auffressen, so doch zumindest unfair verdrängen… Ja, dieses Vorurteil wäre richtig, wenn einheimische Pflanzen in einem starren und sich kaum verändernden Umweltsystem idyllisch eingebettet wären, so dass alles Fremde und Neue nur stören würde… Erstens funktionieren aber Ökosysteme nicht nach diesem idyllisch-romantischen Trugbild, und zweitens gibt es da einen ganz bösen Täter…den Menschen. Blicken Sie doch mal kurz rundherum und zurück. Wie hat Ihr Dorf, wie hat Ihre Stadt vor 40 oder 50 Jahren ausgesehen, welche Autobahnen gab es in Ihrer Kindheit. Wie viele Spuren haben sie jetzt, wo haben Sie auf den Feldern und Wiesen gespielt, wo jetzt Stapler fahren? Wir verändern die Umwelt massiv und in einer Geschwindigkeit, in der uns schwindlig werden könnte (wenn es uns nicht regelmässig gelingen würde, einen externen Bösewicht, wie z.B. die erfolgreichen Einwanderungspflanzen zu finden). Ja klar, und obendrauf kommt noch die Klimaveränderung, die Klimaerwärmung. Und genau da, in diesem sich rapide und menschengemacht verändernden Umfeld verliert das Alte, Bestehende noch schneller, noch klarer den Gewöhnungsvorteil; es braucht dringend neue Pflanzen, die im Menschen Zeitalter, im Anthropozän bestehen können!
Freuen wir uns über das Neue und Andere – auch bei den Pflanzen. Was nicht heisst, dass wir das einheimische Pflanzenschaffen nicht gebührend zu würdigen wissen. Aber alleine wird es nicht reichen...
Gärtnern Sie weiter.
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt
Markus Kobelt ist Gründer und zusammen mit seiner Frau Magda Kobelt Besitzer von Lubera.
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