Kennen Sie das? Sie fühlen sich «Sch…» und möchten Ihrem Frust Luft machen, einfach mal ausrufen! Ihr Gesprächspartner aber kann mit Ihrer miesen Stimmung nichts anfangen, ist überfordert und beginnt, Sie mit Ratschlägen zu überhäufen, Sie zu beschwichtigen oder zu belehren.
Ich wette, Ihre Stimmung wird sich nicht aufheitern. Warum bringen mir all die gutgemeinten Worte nichts, und weshalb lege ich solche Gespräche nicht als wertvoll in meiner Erinnerung ab?
Ich möchte hier nicht über «richtige» oder «falsche» Reaktionen berichten, denn diese Wertung führt nicht weiter. Ich kann lediglich aufzeigen, wie Probleme in Beziehungen entstehen, weil der bewussten Kommunikation zu wenig Beachtung geschenkt worden ist. Kürzlich habe ich bei einem Gespräch über die allgegenwärtige Sorge mit Corona Folgendes erlebt:
Ich lege meinen Kummer auf den Tisch. Ich erzähle von meiner Not und meinen Befürchtungen für die Zukunft. Beklemmung macht sich breit, doch diese auszuhalten fällt meinem Gegenüber schwer. Der Gesprächspartner beginnt, mir einen Vortrag zu halten, was ich am besten tun sollte, «ich bräuchte doch nur....» und «ich müsste jetzt halt....» Mit jedem weiteren Ratschlag spüre ich, wie ich wütender werde. Er hat keine Ahnung, wie die Situation für mich wirklich ist! Obwohl ich mein Metier kenne, gelingt es mir in diesem Moment nicht, das gewünschte Register zu ziehen und so kippt die Stimmung, der Abend ist gelaufen.
Vor über 25 Jahren besuchte ich einen Kommunikationsgrundkurs nach Thomas Gordon. Das Thema zog mich in den Bann. Welch Faszination: die vielen Möglichkeiten, die sich mir schon mit wenigen Werkzeugen eröffneten! Ich sog alles in mir auf und eignete mir ein breites Wissen an. (u.a. Gewaltfreie Kommunikation von Marshall G. Rosenberg & Friedemann Schulz von Thun). Aus dem facettenreichen Inhalt der Kommunikationstheorie ist für mich das Aktive Zuhören ein zentraler Aspekt. Was genau ist das?
Aktives Zuhören bedeutet, wahrzunehmen, wie es meinem Gegenüber im Moment geht. Aktiv heisst in diesem Kontext, dass ich wachsam sowohl auf den Inhalt, als auch auf die Stimmung höre und diese in meinen eigenen Worten zusammenfasse. Wenn es mir gelingt, das ganze Spektrum von Worten, Mimik, Gesten und Tonfall wahrzunehmen, dann bin ich empathisch. Ich spiegle das Gehörte wertfrei zurück. Dies hilft meinem Gegenüber bei der eigenen Lösungsfindung und erweist sich oft als Geschenk für beide. Wer schon mal Raum bekommen hat, in welchem er nicht verurteilt wurde, und wo die Sorgen frei von der Seele geredet werden konnten, weiss, wie wohltuend dies ist.
Auf mein Beispiel bezogen hätte mein Kollege in etwa so reagieren können: «Du sorgst dich echt um deine Zukunft». «So ist es.» Wer sich verstanden fühlt, öffnet sich! Es ist ein Gefühl von «Ja, genau!» Und das gibt Platz für Weiteres, dann kann es in die Tiefe gehen. Ich erzähle von meinen Bedenken. «Meine Kurse leben vom persönlichen Austausch. Dieser braucht Nähe. Zwei Meter Abstand und Plexiglas, wie kann ich da eine einladende Atmosphäre gestalten?» Eine empathische Antwort könnte lauten: «Du kannst dir schwer vorstellen, bei diesen Auflagen eine vertrauensvolle Stimmung für deine Arbeit zu schaffen.» - «Ja, genau!» Jetzt fühle ich mich wahrgenommen. Nach und nach finde ich einen Lösungsansatz und kann diesen ausformulieren. Selbst wenn keine Lösung in Sicht ist, hilft mir aktives Zuhören, gedanklich Ordnung zu schaffen. Unerwünscht erteilte Ratschläge dagegen fördern den inneren Rückzug. Deshalb: statt zu trösten oder zu beraten, vorerst einfach mal nur verstehen wollen.
Der Umgang mit Krisen ist sehr unterschiedlich
Es gibt Menschen, die haben die geschenkte Ruhe durch Corona genossen. Sie freuten sich über die unerwartete Möglichkeit, endlich mal ihr Zuhause auszumisten, Zeit für Dinge zu haben, die sonst stets zu kurz kommen. Dann gibt es Menschen, die mit ihrer Arbeit stark ausgelastet waren und immer noch sind, die unser System in all den vergangenen Wochen getragen haben. Wieder andere Menschen verkrochen sich voller Angst in ihr Zuhause, getrauten sich kaum mehr nach draussen. Und dann sind da Menschen, die sich über die Zukunft sorgen. Wann können sie ihre Arbeit wieder aufnehmen? Können sie überhaupt in der Art und Weise wieder tätig sein, wie dies vor dem 16. März 2020 der Fall war?
Egal, wer zu welcher Gruppe gehört: Mit aktivem Zuhören kann ich Teil all dieser verschiedenen Welten werden und mein Gegenüber verstehen lernen. Statt small talk zu betreiben, bereichern Begegnungen mit Gesprächspartnern denen ich mich mit-teilen kann mein Leben. Die Kunst der Kommunikation ist lernbar, und selbst wenn mein Gespräch nicht so verlaufen ist, wie ich mir das vorgestellt habe, kann ich aufgrund meiner Kommunikationskenntnisse im Nachhinein wenigstens erkennen, wo ich meinen Teil zum Stimmungstief beigetragen habe. Nicht Perfektion an sich ist mein Ziel, sondern die Fähigkeit immer wieder neu Chancen zu packen, wo ich mit meinen Mitmenschen einen achtsamen Austausch pflegen kann.
Annette von Schulthess-Mettler ist Erwachsenenbildnerin SVEB und Kommunikationstrainerin. Sie lebt in St.Gallen.
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