Smartphone-Apps sind allgegenwärtig, Apps sind bequem, Apps sind oft gratis – doch bei Pilzbestimmungs-Apps heisst es: Augen auf. Ein Ostschweizer Pilzkontrolleur sagt, auf was man bei aller digitalen Unterstützung eben doch noch achten muss.
Eins gleich vorneweg: Auch die beste und neueste Smartphone-App kann die Pilzkontrolle nicht ersetzen. Diese Warnung, die man sehr ernst nehmen sollte, hört man unisono von App-Anbietern, von Pilzexperten und auch von Verantwortlichen von Tox-Info Zürich. Allein dieses Informationszentrum für Vergiftungsfälle registriert jährlich gegen 450 schwere Pilzvergiftungen – Tendenz steigend.
Allen Gefahren zum Trotz: Das Interesse, auch bei der jungen Generation, ist ungebrochen. Pilze sammeln ist und bleibt ein faszinierendes Hobby, das sich perfekt mit körperlicher Aktivität und dem Naturerlebnis im Wald vereinbaren lässt. Und im besten Fall wird man erst noch durch ein Festmahl belohnt.
Wechselnde Erscheinungsformen erschweren die Bestimmung?Im Alltag geht bekanntlich nichts mehr ohne Smartphone. Das kompakte und praktische Gerät ist immer dabei, selbstverständlich auch beim Pilze sammeln. Doch was taugen Bestimmungs-Apps, welche sind empfehlenswert? «Gar keins», sagt etwa der St.Galler Pilzkontrolleur Rolf Schättin, der während der Saison im Botanischen Garten die Erträge der Sammler untersucht. Der erfahrene Experte bekräftigt: «Lexika oder Apps soll man beim Sammeln bloss als mehr oder weniger nützliche Hilfsmittel betrachten. Auf der sicheren Seite ist man nur, wenn man die Pilze zur Kontrolle bringt. Denn zur Bestimmung braucht es viel Erfahrung; Geschmack und Geruch von fraglichen Exemplaren sind zudem elementar.»
Manuel Mettler, der als Pilzkontrolleur in Teufen amtet, schliesst sich dieser Meinung an. Je nach Witterung, Standort und Wachstumsphase der Pilze seien Abweichungen in Farbe und Aussehen häufig; Verwechslungen kämen oft bei sehr jungen Pilzen vor. Also: Unbekannte Exemplare besser meiden, ausserdem sollte man nur ausgewachsene Pilze auf die Kontrolle bringen. Und er merkt an: «Nicht nur Giftpilze, sondern auch überreife und faulende Exemplare können nach dem Verzehr Beschwerden verursachen. Auch wenn es schwer fällt, diese Objekte sollte man besser im Wald stehen lassen.»
Skepsis bei Gratis-Apps
Hört man sich in der Fachwelt weiter um, fällt immer wieder der Name derselben App: «Pilze 123». So auch beim Experten und Kursleiter Erich Herzig in Zollikofen bei Bern. Gratis-Apps indessen lehnt er ab; kein einziges genügt seinen Anforderungen. «Anwender, sowohl Anfänger als auch Profis, sollten Pilzsammel-Apps nicht als unfehlbares Hilfsmittel zum Sammeln, sondern als Informationsquelle benutzen, wie sie beispielsweise auch ein Lexikon in Buchform bietet», sagt auch er.
Und genau in diesem Bereich ist in den letzten Jahren viel passiert. Die Smartphone-App des deutschen Pilzsachverständigen Wolfgang Bachmaier etwa bietet registrierten Benutzern zusätzlich eine PC- oder Laptop-Version. Diese ermöglicht die eingehende Betrachtung von über 3000 Pilzarten am Grossbildschirm. Allerdings kostet diese App auch so viel wie ein Print-Lexikon: Rund 30 Franken. Wer vorläufig kein Geld ausgeben will, kann sich zum Schnuppern die durch Werbung finanzierte Gratis-App «Pilzator» herunterladen. Empfehlungen hierzu sind aber von Expertenseite nicht erhältlich.
On- oder offline?
Gedruckte Werke haben unbestrittene Vorteile, etwa qualitativ hochstehende Bilder, der schnelle Überblick, das Hin- und Herspringen von einer Seite zur anderen beim Vergleichen der Merkmale, das bequeme Lesen der Hintergrundinformationen und das Durchblättern des gesamten Werkes. Aber: Wer nimmt schon ein sperriges Lexikon mit in den Wald?
Das praktische, kompakte Smartphone ist dagegen, wie eingangs erwähnt, bei den meisten Sammlern ohnehin dabei. Für Apps sprechen gemäss Herzig weitere gewichtige Argumente: Zum einen bieten hochauflösende Bildschirme an modernen Kleingeräten brauchbares Anschauungsmaterial für die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale eines Speisepilzes direkt vor Ort. Wichtig: Manche bekannte und beliebte Sorte hat einen ungeniessbaren oder gar giftigen Doppelgänger.
Etwa der begehrte Fichtensteinpilz oder auch der Sommersteinpilz lassen sich anhand des Bestimmungssystems der App «Pilze 123» leicht vom ungeniessbaren Gallenröhrling unterscheiden.?Das helle, weissliche bis graue «Netz» am Stiel des Steinpilzes wird bei der empfohlenen App als wichtiges Unterscheidungsmerkmal einwandfrei in Grossaufnahmen dargestellt. Im Gegensatz dazu entlarvt das dunkle Netz des Gallenröhrlings den Übeltäter mit dem charakteristisch bitteren Geschmack. Diese Bitterstoffe können nicht Leben bedrohen, aber ohne weiteres ein liebevoll zhubereitetes Pilzragout ungeniessbar machen.
Fatale Verwechslungen
Lebensbedrohlich wird es indessen, wenn Laien beispielsweise tödlich giftige, junge Knollenblätterpilze mit kleinen (essbaren) Feldchampignons verwechseln. Im Falle einer Vergiftung treten die Symptome perfiderweise oft erst nach mehreren Stunden auf, und dann kann es für eine ärztliche Behandlung zu spät sein. Unheilbare, lebenslange Schädigungen an inneren Organen oder gar der Tod der Patienten sind die Folge. Aktuell meldet Tox-Info gleich zwei schwere Knollenblätter-Vergiftungen.
Deshalb aus aktuellem Anlass nochmals: Knollenblätterpilze erscheinen in verschiedenen Unterarten. Farbliche Abweichungen mit grünlichen, gelblichen, bräunlichen oder gar weissen Farbtönen können Laien leicht täuschen. Dazu jedoch Routinier Rolf Schättin: «Man erkennt den Knollenblätterpilz am ehesten am leicht süsslichen Geruch, der an Rosen erinnert.»
Ökologisches Verhalten
Eine App erleichtert ferner eine weitere wichtige Entscheidung. Lässt sich ein Pilz nicht einwandfrei bestimmen, sollte man auf keinen Fall alle vorhandenen Exemplare abernten. Erich Herzig: «In diesem Fall dreht man ein grösseres und ein kleines Exemplar sorgfältig am Waldboden ab und gibt es in einen separaten Behälter, damit ein Pilzkontrolleur den Fund untersuchen kann. Das ist sehr wichtig, um Bestände zu schonen. Denn selbst für den Menschen ungeniessbare Pilze erfüllen in Symbiose mit Pflanzen oft wichtige Funktionen im Ökosystem Wald.»
Christian Meyer (*1947) ist Betriebswirtschafter FH und seit 1998 als freier Journalist tätig. Er schreibt für verschiedene Medien über Foodtrends, Gastronomie, Reisen, Lifestyle und Gesellschaft. Christian Meyer lebt in Zürich.
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