Nichtssagend und schöngefärbt. So liest sich der Bericht der Schweiz zur Umsetzung der so genannten «Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung», den Bundesrätin Leuthard am 17. Juli in New York der UNO vorlegen wird.
Um was geht es? Vor knapp drei Jahren hatten alle UNO-Mitglieder der Agenda feierlich zugestimmt. Diese will mit ihren 17 «Zielen für eine nachhaltige Entwicklung» die Herausforderungen der Welt angehen und strebt Lösungen an, die wirtschaftlich, gesellschaftlich und ökologisch verträglich sind. Auch die Schweiz muss diese Ziele im Inland angehen und zu deren Erreichung in Entwicklungsländern beitragen.
Eigentlich sollte der Bundesrat nun der UNO Bericht erstatten, welche Fortschritte aber auch Lücken es bei der Umsetzung der Agenda 2030 in der Schweiz gibt und wo Handlungsbedarf besteht. Doch er legt einen nichtssagenden Kurzbericht vor, mit dem er signalisiert: mehr oder weniger alles im grünen Bereich, denn die Schweiz sei «bereits sehr weit» und belege «Spitzenplätze im internationalen Vergleich». Nur in Sachen Umwelt, Biodiversität, natürliche Ressourcen und Konsumverhalten sei noch einiges zu verbessern.
Ursprünglich hatte der Bundesrat ja noch einen Bericht in Aussicht gestellt, der auch Defizite benennt – auf der Grundlage einer breiten Bestandsaufnahme und sehr aufwändigen Konsultation von Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Wissenschaft im letzten Sommer. Doch übernommen wurde davon so gut wie nichts. Aussenminister Cassis wies den ersten, ausführlichen Entwurf zurück. Dieser nannte auch Spannungsfelder wie «Interessenkonflikte zwischen nationalen Politiken und internationalen Vereinbarungen» (Stichwort: Finanz- und Steuerpolitik) oder «Auswirkungen von nationalen Politiken speziell auch auf Entwicklungsländer» (Stichwort: Rohstoffhandel). Erst auf Druck von Politik und Zivilgesellschaft wurde diese 76-seitige Version wenigstens als «Grundlage» für den Länderbericht auf der Website des Bundes freigegeben.
Warum diese Angst vor einer selbstkritischen Berichterstattung? Vielleicht wurde dem Bundesrat ja plötzlich bewusst, dass die Agenda 2030 nicht einfach nur für Entwicklungsländer gedacht ist, sondern alle Staaten betrifft, und dass es nicht nur um Ökologie geht, sondern ebenso um einen sozialen und wirtschaftlichen Umbau. Vielleicht werden keine schwerwiegenden Nachhaltigkeitsdefizite benannt, um nicht darauf verpflichtet zu werden, diese auch anzugehen, was aufwändig und kostspielig wäre: Nach wie vor prägt hierzulande die soziale Herkunft die schulischen und beruflichen Perspektiven, führen die bestehenden Treibhausgasemissionen jedes Klimaziel ad absurdum, landet ein Drittel aller Lebensmittel im Abfall, nehmen Vermögenskonzentration und soziale Ungleichheit immer weiter zu. Und die Schweiz müsste für die Zielerreichung der Agenda 2030 ihre Aussenwirtschafts-, Steuer- und Finanzpolitik nachhaltig umbauen und ihre internationale Zusammenarbeit deutlich verstärken.
Während also der Bundesrat eine selbstkritische Beurteilung umgeht, machen sozial-, umwelt- und entwicklungspolitische Organisationen mobil: Zusammengeschlossen in der «Plattform Agenda 2030» zeigen sie in ihrem aktuellen Bericht auf, wo die Defizite liegen, und fordern entschlossenes Handeln: beispielsweise bei der Armutsbekämpfung, der Bildung und Gesundheit für alle, der Geschlechtergleichstellung, bei Konsum und Produktion, beim Umweltschutz. Auch die Plattform wird ihren Bericht nächste Woche in New York vorstellen – ihre Botschaft: Für einen Kurzwechsel braucht es Taten, nicht schöne Worte.
Geert van Dok ist Ethnologe (lic. phil. hist.) und arbeitet seit über 20 Jahren als Experte für Entwicklungspolitik. Seit 2016 verantwortet er die entwicklungspolitische Öffentlichkeitsarbeit von Helvetas gegenüber Politik, Verwaltung und Gesellschaft in der Schweiz und ist Autor des Positionspapiers «Im Zeichen der Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung».
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