Wie hat man vor 100 Jahren unterrichtet? Ein hübsches Museum in Amriswil bringt die Vergangenheit zum Leben. Ich bin trotzdem froh, nicht damals gelebt zu haben.
Wenn ich nicht für «Die Ostschweiz» schreibe, unterrichte ich an einer Sekundarschule am linken Zürichseeufer. Wobei ich gleich präziseren muss: Ich bin dort Klassenassistent. Viele wissen nicht, was das ist. Am besten lässt sich meine Tätigkeit mit der eines Gangos vergleichen. Ich kopiere für den Lehrer, ich verteile Leimstifte und wenn sich jemand verletzt hat, hole ich Pflästerlis aus dem Lehrerzimmer.
Die meiste Zeit stehe ich aber nur herum. Wie die Wachen vor dem Buckingham Palace. Wenn mich die Schülerinnen und Schüler etwas fragen, dann immer: «Darf ich auf Toilette?» Es hat sich eingebürgert, dass mich die Schüler in der Pause auf den Rücken hauen und laut schreien: «Mister Frenkel, geiler Siech!» Es gibt für einen Klassenassistenten kein grösseres Lob.
Vor 100 Jahren hat noch alles anders ausgesehen. Der Lehrer stand vor 50 Kindern und schlug mit dem Massstab um sich herum. Ich denke, in 10 Jahren wird es zehn Klassenassistenten pro Zimmer geben. Das hoffe ich. Klassenassistent ist ein toller Job für Leute, die sich gerade in einer Sinnkrise befinden. Auch für Alkoholiker eignet sich der Beruf, für Ausgesteuerte und für Menschen, die möglichst wenig Verantwortung in ihrem Leben übernehmen möchten.
Jetzt habe ich aber schon so viel über mich geschrieben, dass ich fast kein Platz mehr habe, über das Schulhausmuseum in Amriswil zu berichten. Da war ich nämlich am Mittwoch.
Ich war leider der einzige Besucher. Das ist etwas mühsam, weil man dann die geballte Aufmerksamkeit der Museumsleiterin hat. Sie war aber sehr nett und hat mich gleich gefragt, ob ich ein Lehrer sei. Ich war sehr stolz. Eigentlich bin ich nur Klassenassistent, aber man muss ja nicht immer gleich alles relativieren.
In einem alten Klassenzimmer sah alles noch so aus, als hätte gerade die Pausenglocke die Kinder aufgeschreckt. Auf den kleinen Bänkchen befinden sich Tintenfässchen und Federhalter.
Ich stellte mich neben dem kleinen Lehrerpult und verharrte etwa 10 Minuten. Ich stellte mir vor, der kleine Hans zupft gerade an meiner Hose: «Sie Herr Frenkel, darf ich schnell auf die Toilette?» Gütig nickte ich ihm zu. Aber schon bald fragte mich der kleine Adolf: «Ich muss auch dringend!» Ich guckte ihn streng an: «Du, sicher nicht!»
Die Dielen knarrten unter meinen Füssen. Etwa 50 Kinder haben da Platz in diesem Klassenzimmer. Früher hat man als Lehrperson noch Eselsmützen verteilen dürfen. In der hintersten Bankreihe sah ich eine Halterung für Zappelphilipps.
War nicht alles schlecht früher.
Wo: Weinfelderstrasse 127, 8580 Amriswil
Wann: Mittwoch und Sonntag, jeweils zwischen 14 und 17 Uhr
Mehr Infos: www.schulmuseum.ch
Beni Frenkel (*1977) ist Journalist und Autor. Er lebt in Zürich.
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