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Abt Ulrich Rösch

Netzwerker, Stratege, Sanierer: Wie der «rote Ueli» die Ostschweiz veränderte

Der St. Galler Abt Ulrich Rösch legte im Spätmittelalter eine klassische Tellerwäscherkarriere hin. Er agierte wie ein heutiger Konzernsanierer. Ohne sein Wirken wäre die Ostschweiz heute eine andere.

Adrian Zeller am 17. August 2018

Würde Ulrich Rösch heute leben, hätten es die Headhunter wohl scharenweise auf ihn abgesehen. Selten vereinigt eine Führungspersönlichkeit so viele Fähigkeiten in sich wie «Rote Ueli», wie er bis heute schmunzelnd genannt wird; er soll rothaarig gewesen sein. Er war so etwas wie ein Naturtalent im Management.

Äbte waren mitunter adliger Abstammung, nicht so Ulrich Rösch. Umso erstaunlicher ist seine steile Karriere. Er kam 1426 als Sohn eines frommen Bäckers in Wangen in Allgäu zur Welt. Jemand in seinem Umfeld muss früh eine ausserordentliche Begabung bemerkt haben, Ulrich wurde ins Kloster St. Gallen vermittelt. Dort stieg er auf der untersten Sprosse der Klosterhierarchie ein, als «ein kuchibuob und aller dienstlüten knecht».

Steuer herumgerissen

Mit 25 ging es mit dem Aufstieg los, Rösch wurde so etwas wie ein Klosterverwalter. Der damalige Abt wurde von seinen Vorgesetzten nach einer Visitation wegen Führungsschwäche suspendiert; Rösch wurde zum Sachwalter und später vom Papst zum Abt ernannt. Im Alter von 37 Jahren war er auf den obersten Karrierestufen angelangt.

Rösch wird als schlau, machtbewusst und sehr ehrgeizig charakterisiert. Dass sich sein Vorgänger für die Klosterverwaltung als unfähig erwies, eröffnete ihm grossen Spielraum. Heute würde man sagen: nach dem schleichenden Niedergang des Klosters unter seinem Vorgänger, schaffte er den Turnaround. Seien Mitbrüder bezeichneten ihn gar als zweiten Gründer des Klosters St. Gallen.

Aufblühen des Kulturlebens

Abt Ulrich straffte die Disziplin im Klosterleben, er tilgte aufgelaufene Schulden und er trieb schon lange ausstehende Abgaben ein. Alle in allem: er brachte den Haushalt ins Lot. Heutige Ökonomen würden feststellen, dass Rösch wie ein Firmensanierer wirkte, er hatte das Kloster innert kurzer Zeit wirtschaftlich konsolidiert und machte es zu einem Zentrum der Renaissance-Kultur.

In der Folge erteilte er grosszügig Bauaufträge in der Region. Viele Kirchen wurden aus- und umgebaut. Rund 20 Jahre lang beschäftigte er zudem den Winterthurer Künstler Hans Haggenberg, eine Schlüsselfigur der spätgotischen Malerei. Er hat in Kirchen und Residenzen Bildnisse hinterlassen. Auch wertvolle Buchmalereien gehen auf Röschs Zeit zurück. Während seiner Ära vergrösserte sich die Klosterbibliothek erheblich. Die Klosterschule ihrerseits wurde neu belebt.

Und er sorgte auch für einen wirtschaftlichen Aufschwung, indem er sich zusätzliche Marktrechte sicherte. In Rorschach liess er zudem das Hafenviertel umbauen, um den Umschlagplatz von Gütern zu fördern und zu verbessern. Rorschach war das Scharnier zu seinem Herrschaftsbereich. Gleichzeitig wurde auch die Infrastruktur für die Schiffer gefördert, etwa in Form von Tavernen und Badstuben. In seinem ganzen Einflussgebiet sorgte er für eine gute Versorgung mit Lebensmitteln.

Geschickter Machtpolitiker

Im Weiteren wurde Rösch mit heiklen päpstlichen und kaiserlichen Missionen beauftragt, etwa als Vermittler bei Konflikten von hochgestellten Persönlichkeiten. Im Gegenzug wusste er sich vom Papst und vom Kaiser geschätzt und abgesichert, insofern war er auch ein geschickter Netzwerker und Machtstratege.

Grosser Landbesitz

Es wurde ihm eine mustergültige Verwaltung der Klosterbesitztümer attestiert. Er gestaltete einen straff organisierten Klosterstaat. In seinem Einflussbereich vereinheitlichte er die Rechtsprechung, er kaufte verpfändete Rechte und Güter zurück. Entlegene Güter veräusserte er, nähergelegene kaufte er hinzu. Er bereinigte damit das umfangreiche Immobilienportefeuille des Klosters. Er konnte zudem das Toggenburg dem Klosterbesitz einverleiben. Schliesslich hatte sich sein Hoheitsgebiet mehr als verdoppelt. Das Kloster St. Gallen wurde zum damals grössten Landbesitzer der Schweiz.

Konsequente Strategie

Sein machtbewusster und zielstrebiger Regierungsstil kam nicht überall gut an, Rösch hatte unter seinen Untertanen auch Gegner. Darin dürfte er sich von einem heutigen Sanierer kaum unterscheiden. Und auch die Trennung von zwei Mönchen hat Parallelen zur heutigen Umgestaltung von Unternehmen, sie mochten seinen neuen Stil nicht mittragen. Es kam zu Aufständen und zu Verleumdungen. Rösch wird jedoch attestiert, dass er sich stets an Recht und Gesetz hielt, beides aber hartnäckig und unerbittlich durchsetzte.

Wegzug des Klosters vereitelt

Ein Teil der heutigen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Struktur des Kantons St. Gallen hat ihre Wurzeln im Wirken von Abt Ulrich. Auf der Linie zwischen dem Bodensee und Wil hat er viele Spuren hinterlassen, in Rorschach etwa geht das ehemalige Kloster Mariaberg auf ihn zurück. Durch wiederkehrende Querelen mit der Stadt St. Gallen plante Rösch das Kloster nach Rorschach zu verlegen, dieser Plan wurde allerdings durchkreuzt, Aufständische zerstörten die im Bau befindliche Klosteranlage. Später wurde es in einer neuen Version wieder errichtet. Vom Kloster Mariaberg aus wollte Rösch das Rheintal unter seine Herrschaft bringen.

In St. Gallen beigesetzt

In Wil kaufe er verschiedene Liegenschaften um den Hof und liess die einstige Wehranlage in eine mächtige Residenz aus- und umbauen. Zudem liess er im Estrich einen dreigeschossigen Kornspeicher konstruieren.

Da sich Rösch in St. Gallen nicht sicher fühlte, verbrachte er viel Zeit in Wil. Durch ständige Querelen in der Stadt St.Gallen, auch im Zusammenhang mit der Reformation, war der Hof zeitweise die Hauptresidenz von Abt Ulrich.

Seine besondere Verbundenheit mit Wil dürfte auch mit der Witwe Schnetzer in Zusammenhang stehen, mit ihr hatte Rösch zwei oder drei Söhne; dazu gibt es unterschiedliche Angaben. 1491 verschied der Klosterreformer in Wil. Er wurde im Kreuzgang des St. Galler Kathedrale beigesetzt.

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Autor/in
Adrian Zeller

Adrian Zeller (*1958) hat die St.Galler Schule für Journalismus absolviert. Er ist seit 1975 nebenberuflich, seit 1995 hauptberuflich journalistisch tätig. Zeller arbeitet für diverse Zeitschriften, Tageszeitungen und Internetportale. Er lebt in Wil.

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