Bis in die 1980er-Jahre kam es im Kanton Thurgau zu fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, Fremdplatzierungen und Medikamententests. Ein neues Buch aus dem Verlag Saatgut erinnert an die leidvollen Erfahrungen der Betroffenen – und lässt sie zu Wort kommen.
Ein während langer Zeit verdrängtes Kapitel der Thurgauer Geschichte findet seine Aufarbeitung: Im Rahmen des Denkmalprojekts «Zeichen der Erinnerung» gedenkt der Kanton der fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, Fremdplatzierungen und Medikamententests in der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen, die zwischen 1940 und 1980 stattgefunden haben. Mit einem von der Künstlerin Karolin Bräg gestalteten Haus aus Stein, auf dem Zitate zum Nachdenken und Erinnern anregen, setzt der Kanton Thurgau ein Denkmal gegen das Vergessen. Der Gedächtnisort wird auf dem ehemaligen Spitalfriedhof Münsterlingen eingerichtet.
Teil dieses «Zeichens der Erinnerung» ist auch das gleichnamige Buch, das ebenfalls Karolin Bräg konzipiert hat. Es erscheint Ende Oktober im Verlag Saatgut zeitgleich mit der Einweihung des Denkmals.
Das Buch ist eine eindringliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und erinnert an die leidvollen Erfahrungen der Betroffenen, die selbst zu Wort kommen und ihre Erlebnisse aus eigener Perspektive schildern. Die Künstlerin Karolin Bräg führte zahlreiche Gespräche mit Menschen, die auf unterschiedliche Weise mit den Geschehnissen verbunden sind. Eine Auswahl von Zitaten hat sie für das Buch zusammengestellt. Damit gibt die Künstlerin den Betroffenen eine Stimme und verwebt ihre Aussagen zu einem berührenden Zeugnis, das uns unmittelbar an den Lebensgeschichten teilhaben lässt.
Vernissage und Einweihung am 27. und 28. Oktober
Am Freitag, 27. Oktober 2023, um 20 Uhr, ist die Kulturwissenschaftlerin Prof. Dr. Aleida Assmann im Gasthof zum Trauben in Weinfelden zu Gast. Aleida Assmann ist eine Koryphäe der Erinnerungsforschung. Sie spricht in ihrem Vortrag «Der Weg vom Vergessen zum Erinnern» darüber, wie wichtig die öffentliche Anerkennung des geschehenen Unrechts für Betroffene ist. Nach dem Vortrag wird das im Saatgut Verlag erscheinende Buch vorgestellt und anschliessend zum Apéro geladen.
Am Samstag, 28. Oktober 2023, um 10 Uhr, wird das «Zeichen der Erinnerung» auf dem ehemaligen Spitalfriedhof beim Gemeindehaus Münsterlingen feierlich eingeweiht. Unter anderem spricht die Künstlerin Karolin Bräg über ihr Werk und eine musikalische Intervention gibt den Stimmen der Betroffenen Raum. Zwei Partnerzeichen kommen am See bei der Psychiatrischen Klinik Münsterlingen und in Kalchrain zu stehen. Die ehemalige Abdankungshalle des Spitalfriedhofs wird zudem zu einem Raum der Vermittlung. Das Buch ist ein weiteres Element dieser umfassenden Aufarbeitung.
Die beiden Veranstaltungen sind öffentlich. Eine Anmeldung ist nicht nötig.
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