«Blowin’ in the Wind» ist ein Protestlied von Bob Dylan, das zu einer Hymne der Bürgerrechtsbewegung wurde. Werden die Rechte der Bürger wegen Windrädern nun auch vom Winde verweht?
Die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich EKZ wollen im Thurgau bis zu 265 Meter hohe überdimensionierte Windräder aufstellen. In Thundorf, einer Standortgemeinde, sprachen sich zwei Drittel der Bevölkerung respektive 282 Ja-Stimmende an einer ausserordentlichen Gemeindeversammlung im April 2023 für einen Mindestabstand von 850 Metern aus. Das passt den Energiekolonisatoren natürlich gar nicht: Es sei gelungen, die lokale Bevölkerung «zu verunsichern und Ängste zu schüren», meinte ein Sprecher und fragte mit drohendem Unterton: «Schaffen wir so die Energiewende?».
«Rechte von den Gemeinden wegnehmen»
Der EKZ-Projektleiter des Windparks Thundorf sprach direkt nach dem Mindestabstandsbeschluss von Thundorf am 27.04.2023 im Radiointerview davon, dass man nun die Rechte von den Gemeinden wegnehmen müsse. Die Lösung gegen widerspenstige Bevölkerungen ist daher die sogenannte «Windoffensive»: Grosse Solar- und Windkraftwerke sollen schneller gebaut werden können.
Neu soll der Kanton, in dem das Werk gebaut werden soll, sämtliche Bewilligungen erteilen – die Standortgemeinde hat also nichts mehr zu sagen. Neu ist nur noch eine Art «Opting in» vorgesehen, eine Widerspruchslösung: Kantone, in welchen nach wie vor die Gemeinden über Windräder auf ihrem Gebiet entscheiden wollen, müssen dies explizit so vorsehen.
Nur noch «Opting in»
In meinem Heimatkanton stehen wir auch vor der Frage, ob das Volk bei Windkraftanlagen etwas zu sagen haben soll oder nicht. Bis vor kurzem schien die Mitsprache der Bevölkerung unwidersprochen.
Der Grosse Rat des Kantons Thurgau betonte parteiübergreifend die zwingend notwendige Akzeptanz und den Volksentscheid der betroffenen Gemeinden. So hielt Kantonsrat Pretali (FDP) für seine Fraktion fest, dass klar sei, dass der Ausbau der Windkraft nicht möglich sei, solange die Akzeptanz für Windkraft fehle. Denn erst an konkreten Projekten werde es sich zeigen, ob es Interessenten gelinge, die betroffene Bevölkerung vom Projekt zu überzeugen.
«Das Volk hat immer das letzte Wort!»
Der FDP-Sprecher weiter: «Es muss sich nun zeigen, ob die lokale Bevölkerung bereit ist (…) Sprechen sich die Stimmberechtigen gegen solche Nutzungszonen für Windenergie aus, kann dort auch kein Windrad gebaut werden.» Schon 2020 hatte er auf die Volksrechte verwiesen: «In der Schweiz entscheiden (…) die Stimmberechtigten der Standortgemeinden direkt über die notwendige Zonenplanänderung. Später entscheidet die Gemeindebehörde über die Baubewilligung von Windenergieanlagen.»
Sein Parteikollege Eugster ergänzte: «Eine Anlage braucht unbedingt die Akzeptanz in der Bevölkerung.» Und Mitte-Parlamentarier und eine Art kantonaler Energiewendepapst Gemperle stellte klar: «Das Volk hat immer das letzte Wort!»
Auch die Linke hatte für einmal ein Herz fürs Volk
Auch nach Kantonsrat Kappeler (GP) ist zu fragen, ob die betroffene Gemeinde ja zu einem Windpark sage. Und gemäss Kantonsrätin Steiger Eggli (SP) «muss eine Form der Energiegewinnung, die sich ökologisch nennen will, Rücksicht auf die Natur und auch den Menschen nehmen.»
Schliesslich beruhigte FDP-Regierungsrat Schönholzer, FDP, die Gemüter: Es sei ja so, «dass eine Bewilligung von Grosswindanlagen in jedem Fall ein vorgängiges Nutzplanverfahren und auch eine Baubewilligung brauche, dann haben die Gemeinden schon noch zu gegebener Zeit das Wort. Dieses Vertrauen (…) dürfen Sie haben.»
Mitbestimmung der Bevölkerung hatte auch Bundesrätin S. Sommaruga versprochen: «Im gemeinsamen Erarbeiten solcher Konzepte haben wir in der Schweiz grosse Tradition.»
«Gemeinden entscheiden, ob ein Windpark gebaut wird»
Und weiter: «Mindestabstände wird man in der Schweiz nicht brauchen, da die betroffenen Gemeinden in der Schweiz mitbestimmen können und die gesamten Rekursmöglichkeiten haben.» Im Mitwirkungsbericht zur Richtplanänderung Windenergie schrieb der Kanton Thurgau ebenfalls, dass ja die Gemeinden über die Nutzungszonen entscheiden würden und damit, ob ein Windpark gebaut werde oder nicht.
Noch in der Vernehmlassung auf Bundesebene betreffend Änderung Energiegesetz vom 17. Mai 2022 hatte der Regierungsrat explizit geschrieben, wie wichtig die Gemeindeautonomie im Thurgau sei und lehnte jedwelche Beschränkung dieser explizit und unmissverständlich ab.
Zweifel an der Verfassungsmässigkeit
Damals sprach man Klartext: «Gemäss der Vorlage soll die Planungs- und Bewilligungskompetenz für die bedeutendsten Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien in den Bereichen Wasserkraft und Windenergie neu auf kantonaler Stufe angesetzt werden. Die Gemeinden würden mit anderen Worten in diesem Bereich über keine Kompetenzen mehr verfügen. (…) Dies würde eine weitgehende Beschränkung der Gemeindeautonomie darstellen. (…) Es ist aus unserer Sicht zu bezweifeln, dass sich die Verfassungsmässigkeit (…) begründen lässt. Die Gemeindeautonomie geniesst in der Schweiz und insbesondere auch im Kanton Thurgau einen sehr hohen Stellenwert. Die Akzeptanz der fraglichen Grossprojekte führt nur über eine positive Grundstimmung in den Gemeinden.»
Diese bürgerfreundliche Haltung ist bereits vom Winde verweht worden: Eine geplante Revision des Planungs- und Baugesetzes, schön mitten in den Sommerferien mit kurzer undurchsichtiger Medienmitteilung publiziert, würde dem Kanton die Kompetenz erteilen, kantonale Nutzungszonen auch ausserhalb der Bauzone vorsehen zu können. Ziel ist es hier wohl, dass künftig auch Windparks als kantonale Nutzungszonen ausserhalb der Bauzonen definiert werden können.
Damit könnte die lokale Bevölkerung komplett aus dem Entscheid ausgeschlossen werden. Und auch beim geplanten «Opting in», also der Möglichkeit der Kantone, die Bevölkerung über Windräder auf ihrem Gemeindegebiet abstimmen zu lassen, wird sich zeigen, ob die bisherigen demokratiefreundlichen Absichtserklärungen noch gelten.
Oder ob sie schon vom Winde verweht wurden… The answer my friend, is blowin’ in the wind…..
(Bild: Depositphotos.com)
Hermann Lei (*1972) ist Anwalt und Thurgauer SVP-Kantonsrat.
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