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Gastkommentar

Ökonomische Diskrimierung von Zuwanderern kann gerechtfertigt sein

Der Appenzeller Ständerat Andrea Caroni (FDP) fordert in einem Postulat, dass der Bundesrat in einem Bericht verschiedene Aspekte einer Zuwanderungsabgabe prüft. Was ist von der Idee zu halten?

Thomas Baumann am 04. März 2024

Die Idee einer Zuwanderungsabgabe existiert bereits seit über zehn Jahren. In der Schweiz wird sie insbesondere vom Freiburger Wirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger vertreten. Er schlägt eine jährliche Abgabe in der Höhe von ungefähr 5000 Franken vor, welche Zuwanderer während einiger Jahre zu entrichten haben.

Doch wer deswegen in Professor Eichenberger einen Isolationisten oder gar Ausländerfeind vermutet, hat die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Er selbst nennt seine Idee nämlich einen «Vorschlag zur Rettung des freien Personenverkehrs» und sieht ihn vor allem als Alternative zu starren Kontingenten.

Nicht überraschend für einen Wirtschaftsprofessor: Er möchte lieber den freien Markt die Frage der Zuwanderung über Preissignale regeln lassen — und nicht Politiker oder Verwaltungsbeamte.

Doch warum soll man überhaupt die Zuwanderung regeln? Die Annahme, dass es ohne Regeln nicht geht, zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Personenfreizügigkeit mit der EU: Rechts will die SVP entweder mit Zuwanderungskontingenten oder einer starren Obergrenze wie der Volksinitiative «Keine 10-Millionen-Schweiz!» die Zuwanderung begrenzen.

Schreckgespenst «Lohndruck»

Links versuchen die Gewerkschaften demgegenüber die Quadratur des Kreises: Migranten sollen zwar willkommen sein — aber die Löhne dennoch nicht sinken. Dabei ist klar: Vergrössert sich das Angebot eines Guts (in diesem Fall: der Ware Arbeitskraft), dann sinkt dessen Preis. Oder im Fall der Arbeitskräfte: der Lohn. Kein Wunder heisst das Schreckgespenst der Gewerkschaften seit Einführung der Personenfreizügigkeit «Lohndruck».

Durch eine Zuwanderungsabgabe würden ausländische Arbeitskräfte automatisch teurer und somit weniger nachgefragt werden. Sie wirkt quasi wie ein Zoll auf Arbeitskräfte. Am Beispiel eines Zolls lassen sich der Vorteile einer solchen Abgabe gerade sehr gut aufzeigen: Koste ein Kilo Kartoffeln aus einheimischer Produktion einen Franken — ein Kilo aus ausländischer Produktion hingegen nur 50 Rappen.

Um eine ungenügende Produktion im Inland auszugleichen, könnte man ausländischen Produzenten nun erlauben, die fehlende Menge im Inland zu demselben Preis wie die inländischen Produzenten abzusetzen. Natürlich reiben sich da die ausländischen Produzenten die Hände: Ein Absatzpreis von einem Franken bei Produktionskosten von 50 Rappen verspricht einen fetten Extragewinn!

Dazu gäbe es aber (zumindest theoretisch) eine Alternative: ein Zoll von 50 Rappen pro Kilo. Die Schweiz könnte dann immer noch ausreichend Kartoffeln importieren, aber die 50 Rappen Differenz zwischen Produktions- und Absatzpreis fliessen nicht mehr den ausländischen Produzenten als Extraprofit zu, sondern bleiben in der Schweiz.

Zuwanderungsabgabe wirkt wie ein Zoll

Bei der Personenfreizügigkeit verhält es ähnlich: Ausländische Arbeitskräfte wären eigentlich bereit, zu einem tieferen als dem schweizerischen Durchschnittslohn zu arbeiten. Schliesslich verdienen sie damit immer noch mehr als in ihrem Heimatland. Nur ist dies aufgrund der flankierenden Massnahmen zur Personenfreizügigkeit, welche «Lohndumping» explizit untersagen, nicht möglich. So erhalten ausländische Arbeitskräfte denselben Lohn wie einheimische — und freuen sich entsprechend über diesen unverhofften Zusatzgewinn.

Da bei ausländischen Arbeitskräften der bezahlte Lohn über dem Lohn liegt, zu dem diese zu arbeiten bereit wären, besteht für hiesige Arbeitgeber natürlich immer die Versuchung, beim Lohn zu tricksen. Daher auch der nicht unerhebliche Kontrollaufwand für die Durchsetzung der flankierenden Massnahmen.

Ein Zoll oder eine Abgabe auf ausländischen Arbeitskräften könnte dieses Problem (zumindest in der Theorie) elegant lösen: Zwischen den Lohn, welchen die Arbeitnehmer netto erhalten und den Lohn, welchen die Arbeitgeber bezahlen, wird quasi ein Keil geschoben.

Ausländische Arbeitnehmer erhalten dadurch netto nach Steuern und Abgaben weniger als einheimische Arbeitnehmer, Arbeitgeber müssen hingegen sowohl einheimischen wie ausländischen Arbeitskräften denselben Bruttolohn zahlen. Der Anreiz für Lohndumping entfällt, und die Abgabe — also die Differenz zwischen dem Marktlohn und dem Lohn, zu dem die ausländischen Arbeitnehmer zu arbeiten bereit sind — kommt nicht mehr dem Ausland respektive den ausländischen Arbeitern zugute, sondern bleibt wie bei einem Zoll in der Schweiz.

Zuwanderungsabgabe als «Kurtaxe»

Meist wird als Zweck einer Zuwanderungsabgabe angegeben, dass damit die Kosten der Zuwanderung gedeckt werden sollen. Sie soll quasi wie eine Kurtaxe wirken: Immigranten profitieren von der gut ausgebauten Infrastruktur in der Schweiz, ohne dass deren Vorfahren viel dazu beigetragen hätten. In die Röhre schauen dabei die Einheimischen, welche diesen Kapitalstock neu mit den Zuwanderern teilen müssen. Eine solche «Kurtaxe» soll also für die Mitbenutzung dieses über Jahrhunderte aufgebauten Kapitalstocks entschädigen.

Der Elefant im Raum ist aber letztlich nicht der «Dichtestress» in seinem verschiedenen Ausprägungen wie Wohnungsnot, überfüllte Züge und überlaufene touristische Hotspots, sondern der Kapitalstock in der Produktion. Die Schweiz verfügt historisch über einen relativ grossen Kapitalstock pro Person und entsprechend hohe Löhne. Zuwanderung verteilt diesen Kapitalstock auf mehr Arbeitskräfte und führt dadurch zu tieferen Löhnen.

Daher erklären sich auch die flankierenden Massnahmen, insbesondere der Lohnschutz. Man versucht damit, künstlich ein Lohnniveau aufrechtzuerhalten, das sich immer weiter vom Marktgleichgewicht entfernt.

Entschädigung für Lohneinbussen

Die Alternative, idealtypisch, dazu wäre: Ein neues, tieferes Lohnniveau zulassen und dafür die Verlierer zu kompensieren, so dass niemand schlechter gestellt wird. Sinkt das Lohnniveau eines durchschnittlichen einheimischen Arbeitnehmers infolge der Zuwanderung beispielsweise von 6000 auf 5500 Franken und wäre ein ausländischer Arbeitnehmer bereit, schon für 4000 Franken im Monat zu arbeiten, dann könnte man diesen mit einer «Extrasteuer» von 1500 Franken pro Monat belegen.

Mit dieser «Extrasteuer» könnte in diesem Beispiel ein ausländischer Arbeitnehmer drei einheimische Arbeitnehmer für deren Lohneinbusse vollumfänglich entschädigen. Niemand ist dabei schlechter gestellt als vorher: Bei einem Marktlohn von 5500 Franken erhalten einheimische Arbeitnehmer nach wie vor 6000 Franken (Lohn plus Kompensation) und auch die ausländischen Arbeitnehmer sind gegenüber ihrer Situation im Heimatland besser gestellt, was sich aus der Tatsache ergibt, dass sie zu diesem Lohn weiterhin bereit sind, zu migrieren.

Soweit die Theorie. Die Wirklichkeit ist natürlich deutlich komplizierter und darum lässt sich ein solches System in dieser Grössenordnung auch nicht umsetzen. So schlagen Reiner Eichenberger und Prof. David Stadelmann beispielsweise bloss eine Zuwanderungsgebühr «von insgesamt wenigstens 15'000 bis 25'000 Franken oder während z.B. vier Jahren rund 4'000 bis 6'000 Franken jährlich» vor. Mit solchen Beträgen würde sich natürlich kaum ein allgemein sinkendes Lohnniveau der einheimischen Bevölkerung kompensieren lassen.

Rentensystem als implizite Zuwanderungssteuer

Der Vorstoss von Ständerat Caroni ist nicht der erste, der eine Zuwanderungsabgabe zur Diskussion stellt. In Beantwortung einer Interpellation von Nationalrat Roland Rino Büchel aus dem Jahr 2020 hielt der Bundesrat fest: «Der Bundesrat teilt die Ansicht nicht, dass die Bilanz der Personenfreizügigkeit negativ ist. So leisten EU- und EFTA-Staatsangehörige beispielsweise heute deutlich mehr Beiträge an die Sozialversicherungen, als sie daraus beziehen.»

Natürlich ist die Antwort des Bundesrats reichlich kurzsichtig. Schliesslich leisten die Versicherten ihre Beiträge nicht einfach pro bono, sondern den geleisteten Beiträgen stehen Rentenversprechen gegenüber, welche in den meisten Fällen die geleisteten Beiträge wiederum deutlich übersteigen {https://www.dieostschweiz.ch/artikel/die-sp-und-ihre-fata-morgana-von-den-reichen-ahv-beitragszahlern-3OyO5NM}.

Vielleicht ist der Bundesrat aber auch einfach klarsichtig und sieht einen Zusammenbruch insbesondere der AHV schon jetzt voraus. So sind derzeit rund ein Drittel der Erwerbstätigen aber nur rund elf Prozent aller Rentner Ausländer. Selbst unter dem Vorbehalt, dass sich viele Ausländer im Laufe ihres Lebens einbürgern lassen, ist der Anteil der Ausländer bei den Rentnern immer noch deutlich tiefer als bei der erwerbstätigen Bevölkerung.

Damit finanzieren tatsächlich nicht bloss die Jungen die Alten, sondern auch Ausländer die Rente Einheimischer mit. Das ist auch Reiner Eichenberger nicht entgangen. So titelte er in einem Beitrag in der Handelszeitung: «Das Rentensystem ist eine Zuwanderungssteuer». Und dies bereits jetzt in ziemlich grossem Massstab.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
Thomas Baumann

Thomas Baumann ist freier Autor und Ökonom. Als ehemaliger Bundesstatistiker ist er (nicht nur) bei Zahlen ziemlich pingelig.

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