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Gastbeitrag

Pflegepersonal als «Castingfehler»: Wir müssen reden!

Pflegerinnen und Pfleger, die sich nicht gegen Covid-19 impfen liessen, seien verantwortungslos, sagt Mauro Poggia, Gesundheitsdirektor des Kantons Genf, in einem Interview. Er wünscht sich eine Debatte. Die kann er haben. – Ein Gastbeitrag von Madleina Manetsch.

Madleina Manetsch am 12. Juli 2021

Mauro Poggia (im Bild), Genfer Gesundheitsdirektor, geht im «Tagesanzeiger» vom 10. Juli 2021 noch weiter. Er nennt die impfunwilligen Pflegenden auf Facebook und Twitter «erreur de casting». Also einen «Castingfehler».

Poggia wollte anscheinend bewusst diese Provokation auslösen. Es braucht eine Debatte, sagt er.

Ja, allerdings braucht es eine Debatte. Dringend.

Ich stecke mitten im Kuchen. Und mit mir viele Kolleginnen und Kollegen. Die kennen die Situation im Gesundheitsdienst. Seit langer Zeit. Vor einem Jahr nannten sie uns «Helden». Nun sind wir verantwortungslos. Die, die von dieser Impfung sich distanzieren. Rücksichtslos und skrupellos. Sogar asozial nennen sie uns. Es sei ein Armutszeugnis der Pflegenden und allen Menschen, welche die Impfung verweigern.

Die Corona-Krise zieht sich dahin. Was wird eigentlich von mir erwartet ?

Ich gehöre zum Pflegefachpersonal und bin weder eine Heldin noch eine Gefahr für andere Menschen. Ich bin keine Impfgegnerin und keine Corona-Leugnerin. Ich will einfach meine Arbeit gut und liebevoll ausführen. Mit der richtigen Hygiene und den Schutzmassnahmen.

Mein Wunsch, mich täglich von diesem Dilemma zu distanzieren, gelingt mir noch nicht. Die Impf-Euphorie bereitet mir schlaflose Nächte. Während die einen losstürzen und es kaum erwarten können sich die Wunderspritze zu injizieren, machen die anderen sich grosse Sorgen um die Nebenwirkungen und mögliche Langzeitfolgen dieser Impfung. Der Swissmedic kommt hier eine grosse Verantwortung zu. Mir scheinen noch viele Fragen ungeklärt.

Bundesrat Alain Berset äusserte sich auch zu dieser Thematik. Bereits im September 2020 erklärte Berset auf SFR, was ein Impfobligatorium bedeuten könnte. Nämlich, dass das Pflegepersonal geimpft werden soll, um weiterhin mit älteren Menschen arbeiten zu können. Und die, die das nicht wollen, werden woanders arbeiten müssen. Ohne Kontakt zu den Risikogruppen. Ich frage mich, ob Herr Berset ahnt, was das bedeutet? Welche Schwierigkeiten sich dadurch anbahnen? Was das für die Patientinnen und Patienten heissen mag? Und schlussendlich auch für das Pflegepersonal?

Seit Jahren fehlt Personal im Gesundheitswesen. Massiv. Kommt ein solches Impfobligatorium, wird noch mehr Personal fehlen. Was abermals bedeutet, dass die Pflegequalität darunter leidet.

Ob der Impfzwang in der Schweiz tatsächlich kommen wird, ist eine umstrittene Diskussion.

Der Staat kann noch keine Bürgerinnen und Bürger zur Covid19-Impfung zwingen.

Aber der Bundesrat kann ein Impfobligatorium beschliessen. Laut Epidemiengesetz.

Wir wissen alle, dass die Pflegepersonen schweizweit nicht im Überfluss vorhanden sind.

Was ein solches Impfobligatorium auslösen würde, will ich mir gar nicht vorstellen. Ich befürchte, dass Herr Poggia und Herr Berset Pflegepersonal aus dem Ärmel schütteln können. Fehlt dann noch mehr Pflegepersonal, frage ich mich ernsthaft, wie alle Pflegeverrichtungen professionell ausgeführt werden sollen . Eng wird es werden. Kurz wird die Zeit. Noch kürzer.

Dabei ist Zeit für die, die auf das Pflegepersonal angewiesen sind, wahrhaftig wichtig.

Zeit für die tägliche Pflege und Betreuung.

Zeit für die basale Stimulation.

Zeit für aktive und passive Bewegungen.

Zeit für die Kinästhetik.

Zeit für die vorhandenen Ressourcen.

Zeit für die Alltagsgestaltung.

Zeit für die Wundbehandlung.

Zeit für die Medizinaltechnik.

Zeit für die Medikation.

Zeit zum Zuhören.

Zeit, um die Hand zu halten.

Zeit für eine gute Palliativmedizin.

Die Auflistung könnte noch viel länger sein. Unendlich, sozusagen.

Die Covid19-Impfung soll die Pandemie schnell beenden. Einen absoluten Schutz bietet sie dennoch nicht. Das zeigen verschiedene Pflegeheime, die erneut Corona- Ausbrüche erleben.

Nichtsdestotrotz wird ein Sündenbock gesucht. Für die neuen Infektionen. Die Schuld den Ungeimpften aufzuladen, scheint somit sehr praktisch zu sein.

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Autor/in
Madleina Manetsch

Madleina Manetsch (*1973), Fachfrau Gesundheit EFZ, arbeitet in der Langzeitpflege und - betreuung in einer privaten Spitex im Kanton Zürich.

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