Die einst blühende Textilmetropole St.Gallen verkommt immer mehr zur Verwaltungskrake. Es fehlt in St.Gallen an zentralen Lagen an attraktivem Raum für wissensbasierte Jobs aus dem Privatsektor.
Wer sich wesentliche Wachstumsindikatoren der Stadt St.Gallen vor das geistige Auge führt, müsste eigentlich ein Sodbrennen entwickeln. Die Bevölkerung stagniert und mäandert seit Jahren um die Marke von 80'000 Einwohnern. Jobs in wissensbasierten Dienstleistungen sind rückläufig. Die Gründerdynamik ist unterdurchschnittlich. Derweil frisst sich die Verwaltung immer stärker in bahnhofnahe Zentrumsquartiere und verdrängt so die Privatwirtschaft. St.Gallen mausert sich zur Wachstumsleiche der Ostschweiz – abgehängt von umliegenden Regionen. Eine beängstigende Entwicklung.
Talentschmiede fürs Staatswesen
Trotz der Universität St.Gallen HSG direkt vor Ort, welche die Top-Shots in Unternehmensfunktionen für Europa und Übersee ausbildet, bleiben in St.Gallen kaum Talente hängen. Wer sich die Studierendenzahlen der OST – Fachhochschule Ostschweiz am Standort St.Gallen zu Gemüte führt, stellt fest, dass das Gros der Absolventen auf Gesundheitsberufe oder Sozialarbeit akademisiert wird. Wenig überraschend haben sich die Beschäftigungsbeiträge im Hightech-Bereich sowie bei den wissensbasierten Dienstleistungen in den letzten Jahren in der Stadt wie auch Region St.Gallen – entgegen den schweizweiten Trends – negativ entwickelt. Das hat auch mit dem Angebot auf dem Arbeitsmarkt zu tun. Es gibt in St.Gallen schlicht zu wenig Arbeitsplätze im Privatsektor für wissensbasierte Talente. Die Stadtentwicklung und Liegenschaftspolitik von Kanton und Stadt verschärfen diese Fehlentwicklung. Sie haben sich im Zentrum der Stadt ganze Quartiere gesichert und verdrängen private Nutzer. Das heute privat genutzte Bürohaus "Union" mit bestens frequentierten Restaurants, Shops und Büros soll beispielsweise einer Staatsbibliothek weichen. Das führe zur Belebung der Innenstadt, so die Befürworter. Weder Kanton noch Stadt signalisieren aber, wo sie Realersatz für eine unnötige Verdrängung des privatwirtschaftlichen Wirkens anbieten.
Verwaltungsgebäude schrittweise freigeben
In St.Gallen fehlt ein zentral gelegener Schmelztiegel mit bester Erreichbarkeit für wissensbasierte Talente. Es fehlt an attraktivem Raum in modernen, grossflächigen Businesscentern mit preiswerten und vernetzten Arbeitsplätzen für staatsquotenfreie Tätigkeiten. Denn wissensbasierte Talente suchen sich Arbeitsorte im Stadtzentrum in Fussdistanz zum Hauptbahnhof. Der dezentral gelegene Innovationspark im Lerchenfeld bietet deshalb keine echte Abhilfe. Will St.Gallen also seinem Braindrain entgegenwirken und in Zukunft wieder wissensbasierte Talente gewinnen und halten, so müsste es die zahlreichen Verwaltungsgebäude von Kanton und Stadt in der Innenstadt zu privaten Wirtschaftsgärten umgestalten. Der Staat soll sich gezielt aus strategischen Lagen der Innenstadt zurückziehen, um eine bessere Durchmischung zu fördern. Gerade die Hauptpost, der Bereich Vadianstrasse mit zahlreichen Verwaltungsstellen oder das brachliegende Areal Bahnhof Nord bieten grosse Chancen für einen höheren Anteil an freiberuflichen und kreativen Jobs. Falls eine solche Transformation gelingt, greifen endlich auch die Chancen aus wichtigen Standortinitiativen (wie etwa Medical Cluster oder
Remo Daguati (*1975) betreut als unabhängiger Berater Standortförderungen sowie Arealentwicklungen im In- wie Ausland. Daneben wirkt er als Geschäftsführer des HEV Kanton und Stadt St.Gallen. Er ist zudem Mitglied (FDP) des Stadtparlaments St.Gallen.
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