Am Anfang stand der Ärger, am Schluss entstand daraus ein Start-Up. Patric Preite traf mit MuldenExpress.ch offenbar den Nerv der Zeit und wurde mit seiner Idee mit einem Zertifikat beim Digital Economy Award 2019 ausgezeichnet.
Bei diesem Beitrag handelt es sich um eine ergänzende Information zu einem im Printmagazin «Die Ostschweiz» publizierten Artikel. Das Magazin kann via abo@dieostschweiz.ch bestellt werden.
Sie haben bereits mehrere Start-Ups gegründet. War es schon immer ein Traum von Ihnen, ein Unternehmen auf die Beine zu stellen?
Patric Preite: Schon in der Schule habe ich gewusst, was ich machen muss, um zu dem zu kommen, was ich wollte. Ich habe Zeitungen ausgeliefert, Bäche gereinigt, Felder von alten Rüben gesäubert sowie mit dem verdienten Geld einen Commodore64 gekauft. Mit diesem Grundstock habe ich einen Softwarebetrieb gestartet, der gar nicht mal so schlecht lief. Später in der Arbeitswelt merkte ich schnell, dass mich sinnlose Regeln und Silos nicht nur nerven, sondern meist in der einen oder anderen Weise erfolgreiche, neue Projekte abwürgen. Darum der Schritt in die Selbstständigkeit, den ich nie bereut habe. Dazu bin ich von Haus aus eher ein Abenteurer und Macher und würde mich langweilen, wenn immer alles nach Plan gehen würde.
Ihre berufliche Laufbahn haben Sie bei einer Bank gestartet, waren dann auch bei Medienunternehmen und gründeten schliesslich vor zehn Jahren als Ein-Mann-Betrieb interactive friends ag. Sind Sie so risikofreudig oder wollen Sie sich auf kein bestimmtes Tätigkeitsfeld festlegen?
Patric Preite: Ganz sicher bin ich risikofreudig, gleichzeitig aber nicht kopflos. Ich gehe nur kalkulierte Risiken ein. Die verschiedenen Tätigkeitsfelder haben stark mit einer grundsätzlich offenen Haltung und einer grossen Portion Neugier zu tun. Ich erkenne Chancen, habe einen guten Riecher für kommende Trends und lasse mich auf diese ein, bevor ich einfach mal Nein sage. Ganz im Sinne eines agilen Vorgehens: planen, bauen, testen und zwar möglichst schnell.
So gingen Sie auch bei Ihrem Start-Up MuldenExpress.ch vor. Sie sagten, dass Sie zur «Veranschaulichung» kurzerhand ein eigenes Start-Up auf die Beine gestellt haben. War das wirklich so einfach, wie es sich liest?
Patric Preite: Das war tatsächlich so einfach. Wir haben ja alle Zutaten in der Agentur. Und bei uns gilt immer der «Lösungen statt Probleme»- Ansatz. Wieder einmal sind wir mit den Grundsätzen des Design Thinking gestartet. Am Anfang stand der Ärger, dass ich privat nicht online einfach eine Mulde bestellen konnte. Wir haben dann das Geschäftsmodell der Muldenentsorgung näher angeschaut, Enduser und Entsorger interviewt und schnell gemerkt, dass beide Seiten grosses Frustpotential haben. Die Enduser können nicht einfach online bestellen, ohne Muldenprofis zu werden, die Entsorger haben keine Zahlungssicherheit und einen riesigen, administrativen Aufwand pro Bestellung. Wir haben alle Bedürfnisse aufgenommen und sind schnell zum Schluss gekommen, dass wir eine eigene Plattform bauen. Gesagt, getan, getestet, innerhalb von sechs Monaten live gegangen und damit die analogen Standards der Branche aufgebrochen. Ohne Branchenprofis zu sein, konnten wir mit unseren Methoden und Tools ein neues Geschäftsmodell für die gesamte Branche planen, testen und umsetzen. Die damit gemachten Erfahrungen zu Automatisierung, Zahlungsmöglichkeiten und 24 Stunden-Lieferungen können wir 1:1 unseren Kunden weitergeben.
Wie kommt MuldenExpress.ch bei den Kunden an?
Patric Preite: Wir haben die ersten Monate nur sehr leicht für MuldenExpress.ch geworben, da wir die Plattform im Livebetrieb optimieren wollten. Die Userzahlen sprechen für ein nahtloses Annehmen der Enduser. Für unsere eigenen Kunden sind wir glaubwürdiger und um einige Erfahrungen reicher. Stolz sind wir auch auf die Verleihung eines Zertifikats beim Digital Economy Award 2019 im Hallenstadion Zürich. Wir haben dort ein Zertifikat in der Spezialdisziplin User Experience für MuldenExpress.ch erhalten.
Mit welchen Herausforderungen haben Sie am meisten zu kämpfen?
Patric Preite: Da wir von der Technik/Data kommen und dann den Bereich Marketing aufgebaut haben, dazu noch offen und neugierig sind, sind wir im Sinne von neuen Agentur-Geschäftsmodellen eher gut aufgestellt. Wir waren nie die «Klassiker», sondern schon immer eher eine Boutique-Agentur. Wir testen immer neue Tools, neue Möglichkeiten für unsere Kunden – das liegt in unserer DNA. Die Herausforderungen liegen in zwei Bereichen: Gute Mitarbeiter für den Standort St.Gallen zu bekommen und die Wertschätzung der Qualität unserer Dienstleistungen seitens Kunden aufrecht zu erhalten. In Zeiten, in denen vermeintlich alles for free heruntergeladen und genutzt werden kann, die Budgets kleiner werden und der Druck der Kunden steigt, ist ein einigermassen kostendeckendes Preismodell nur unter erheblichem edukativen Aufwand zu halten.
Gerade im Bereich Digitale Lösungen gibt es ein grosses Konkurrenzangebot. Wie schwer ist es, sich im Markt zu behaupten?
Patric Preite: So schwer, wie sich kundenzentriert zu positionieren und zu profilieren. Wir setzen stark auf persönliche Beziehungen, organisieren eigene «Digital Academy Event» (nächster am 21. Januar mit Uber und tomsfive), sind vernetzt (Co-Sponsor Schweizer KMU-Tag, Partner IT-ROCKT, Eventlocation Partnerschaft mit Startfeld, Speaker an externen Events) und halten nicht viel von Geheimniskrämerei. Statt sich um fast nicht bezahlbare Pitches zu reissen, bieten wir lieber kostenlose Potentialanalysen an. Damit können wir nicht nur unsere Expertise am besten zeigen, sondern auch schnell herausfinden, ob die Chemie überhaupt stimmt. Und wir versuchen stets, mit unserem Angebot fokussiert zu bleiben und nicht alles anzubieten, was wir auch noch könnten. Die grosse Kunst hier ist, immer zeitgemäss zu bleiben und den richtigen Fokus zu legen.
Sie haben es angesprochen: Das Gebiet der Digitalen Lösungen für Branchen ist extrem vielfältig. Wie schwierig ist es, für jede Firma die passende Lösung anzubieten? Dies fordert ja ein extrem breites Wissen.
Patric Preite: Wir stehen ja nicht alleine da – wir bringen das Wissen rund um digitale Lösungen, Digitalisierung und Transformation ein. Unsere Kunden das Branchenwissen. Unser kombiniertes Wissen bringt uns zur optimalen Lösung. Wir tasten uns methodisch an das Thema heran und gehen schrittweise vor. Jeder Schritt wird getestet und Learnings miteinbezogen, bevor wir zum nächsten Schritt gehen. Unsere MitarbeiterInnen sind, was Branchen anbelangt, zudem recht breit aufgestellt, da fast niemand einen linearen Lebenslauf mitbringt.
Welche nächsten Schritte stehen an?
Patric Preite: Kurzfristig möchten wir unser Angebot weiter konsolidieren, uns auf ausgewählte Kundensegmente spezialisieren und weitere Partnerschaften eingehen. Wir werden vermehrt Workshops anbieten und uns im Raum St.Gallen weiter verankern. Langfristig soll uns die Freude an der Arbeit erhalten bleiben. Wenn wir es schaffen, dass unsere Kunden positiv in die Zukunft schauen können, dann wissen wir, wir leisten eine sinnvolle und substanzielle Arbeit, die für die Menschen einen Unterschied macht. Dafür schulen wir unsere MitarbeiterInnen kontinuierlich und schaffen einen Arbeitsrahmen, der Lösungen begünstigt.
Patric Preite stammt aus Berneck und gründete 2009 die interactive friends ag, eine Digitalagentur mit Fokus Geschäftsentwicklung und damit einhergehend interne Prozessdigitalisierung und -automatisierung sowie digitales Marketing. Der Firma gehören 35 Mitarbeiter an, davon befinden sich 25 Entwickler in Indien. MuldenExpress.ch ist ein weiteres Start-Up des 43-Jährigen. Die automatisierte Plattform verbindet die Muldenbesteller mit den Entsorgungsdienstleistern.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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