Eine Frau auf dem Kriegspfad. Ein Rufmord, der durch nichts wiedergutgemacht werden kann. Und viele willige Helfer, die jede Berufsehre vermissen lassen. Ein Skandal.
Was als Breitseite gegen den ehemaligen «Magazin»-Chefredaktor Finn Canonica begann, entwickelte sich schnell zum Skandal. Zum Medienskandal. Wie es der «Spiegel» zulassen konnte, dass seine ehemalige Mitarbeiterin Anuschka Roshani mit einer öffentlichen Hinrichtung ihren ehemaligen und langjährigen Chef als eine Art Schweizer Ausgabe von Harvey Weinstein verunglimpfte, ist unerhört.
Schlimmer noch als im Fall des Schwindlers Relotius versagten hier alle Kontrollen, entlarvten sich die Behauptungen des «Spiegel», man habe die Vorwürfe nachgeprüft und verfüge über genügend Zeugenaussagen und Dokumente, die sie bestätigen würden, als hohles Geschwätz. Zumindest wurden vom «Spiegel» in den nun anrollenden Prozessen kein einziger dieser «Belege» eingereicht. Nachrecherchen ergaben, dass der «Spiegel» mit keinem einzigen aktuellen «Magazin»-Mitarbeiter in Kontakt getreten war.
Desgleichen gilt auch für die von der einschlägig bekannten Salome Müller in der «Zeit» zeitgleich erhobenen Behauptungen, es gäbe eine ganze Reihe von bestätigenden Aussagen, leider aber anonym. In Wirklichkeit war Müller von Roshani angefüttert worden; man kennt sich seit dem Protestbrief von 78 erregten Tamedia-Mitarbeiterinnen, den die eine initiierte und die andere unterschrieb. Die beiden renommiertesten Blätter des deutschen Journalismus liessen sich instrumentalisieren und an der Nase herumführen – und können es bis heute nicht eingestehen.
Roshani stilisierte sich dem Zeitgeist und den Narrativen entsprechend als Opfer eines verbal übergriffigen, versexten und sie mobbenden Chefs. Der sie über Jahre hinweg quälte, ohne dass sie vom Tamedia-Verlag trotz Beschwerden beschützt worden sei.
Auf diese offensichtlich weitgehend erfundene Geschichte, die Rache einer verschmähten Frau, stiegen wie Pavlowsche Hunde die übrigen Medien ein und begannen zu sabbern. Wobei Roshani nicht von Canonica verschmäht wurde, sondern zu ihrem grossen Schmerz wurde ihre Bewerbung auf seine Stelle (die er damals noch innehatte) von der Tamedia-Geschäftsleitung zurückgewiesen.
Wir haben hier eine klassische Täter-Opfer-Umkehr. Roshani fabuliert sich als verfolgte Unschuld, dabei ist sie die verfolgende Schuld. Opfer ist Canonica; niemals mehr wird sein Ruf wiederhergestellt werden können. Völlig unabhängig davon, wie viele der Behauptungen von Roshani widerlegt werden.
Denn die Medien tun inzwischen weitflächig das, was früher dem Boulevard vorbehalten war. Skandalisieren, verurteilen, nachtreten («war alles noch viel schlimmer!»). Um dann in tiefes Schweigen zu verfallen, wenn sich (mal wieder) herausstellt, dass zu voreilig, zu oberflächlich, ohne jegliche Eigenrecherche einseitig und falsch berichtet wurde.
Dabei wäre es in diesem Fall kinderleicht gewesen. Genügend von Roshani als Zeugen aufgeführte Journalisten stehen im Telefonbuch. Aber nur der «Schweizer Journalist», was ihm hoch anzurechnen ist, machte sich die Mühe, zum Telefonhörer zu greifen. Worauf ihm von allen Gesprächspartnern bestätigt wurde, dass die Behauptungen Roshanis, soweit sie sich auf öffentliches Verhalten Canonicas auf der Redaktion beziehen, ins Reich der Fantasie gehören ...
Die wirkliche Geschichte ist so einfach wie banal: eine langjährige und privilegierte Journalistin, die paradiesische Freiheiten geniesst, möchte angesichts des näherrückenden Endes ihrer Tätigkeit noch einen Sprung nach oben machen. Also Chefredaktorin werden. Daher bewirbt sie sich um die Stelle ihres Chefs und versucht, ihn wegzumobben. Das gelingt ihr, aber statt befördert zu werden, wird sie gefeuert; zu viele der von ihr und ihrem Mann konstruierten Vorwürfe erwiesen sich bei genauerer Betrachtung als falsch.
Aus dieser Enttäuschung entstand ein furienhaftes Rachebedürfnis. Gegen ihren Vorgesetzten, der ihr im Licht stand, gegen ihren Verlag, der sie verschmäht hatte.
Roger Schawinski hat darüber ein Buch geschrieben: «Anuschka und Finn. Die Geschichte eines Medien-Skandals». Er tut nochmals gründlich das, was die meisten Medien sträflich vernachlässigt haben. Er nähert sich dem Thema mit den klassischen journalistischen Fragen: Was stimmt an den Vorwürfen? Was lässt sich belegen? Was stimmt nachweislich nicht, wer hat hier gelogen, geschwiegen, bewusst die Unwahrheit gesagt, bewusst nicht die Wahrheit gesagt?
Peinlich, aber wahr: Schawinski tut das, was eigentlich alle sogenannten Qualitätsmedien unterlassen hatten. Er hat mit dem Opfer gesprochen, hat sich alle verfügbaren Dokumente wie Untersuchungsberichte besorgt und klopft vor allem die Anschuldigungen von Roshani auf ihren Wahrheitsgehalt ab. Er nennt den miesen Informanten beim Namen, der noch Jahre nach seinem Abgang beim «Magazin» mit unwahren Behauptungen sein Rachebedürfnis befriedigen wollte – und Roshani mit seinen wilden Anschuldigungen fütterte. Die nicht wusste, dass ein seriöser Untersuchungsbericht sie bereits als unwahr entlarvt hatte.
Natürlich hat er auch der gescheiterten Anklägerin Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die schweigt aber verkniffen.
Alleine die ausführlichen Zitate aus der Klageschrift des Anwalts von Canonica machen klar, auf welch tönernen Füssen Roshanis Anschwärzungen stehen. Aber es gibt noch eine viel entlarvender Entdeckung, die Schawinski gemacht hat. Im Jahr 2014, als drastische Sparmassnahmen umgesetzt werden mussten, gab es einen grossen Aufruhr in der «Magazin»-Redaktion. Es erschien ein Artikel im «Schweizer Journalist», der von einem Klima der Angst auf der Redaktion berichtete und das mit anonymen Zeugenaussagen untermauerte.
Allerdings wurde dem eine Stimme entgegengestellt, die klarstellte, dass trotz Sparzwang die Redakteure des «Magazins» sich immer noch einer ganz privilegierten Stellung erfreuen konnten. Diese Stimme gehörte … Anuschka Roshani. Die inzwischen behauptet, sie sei damals unerträglich gequält und gemobbt worden. Ist das peinlich.
Schawinski stellt die entscheidende Frage. Wenn sie angeblich 14 Jahre lang versucht habe, der unerträglichen Qual durch Canonicas Behandlung zu entfliehen: «Weshalb hat sie, eine intelligente, selbstbewusste und starke Frau es nicht geschafft, sich einer solchen Pein zu entziehen? Weshalb ist sie geblieben, bis ihr gekündigt wurde?»
Darauf findet der Radio-Journalist die einzig richtige Antwort:
«Entweder ist sie eine in der Wolle gefärbte Masochistin. Oder dann handelt es sich um eine wenig glaubwürdige, boshafte Lügengeschichte, mit der sie in einem furiosen Rundumschlag an prominentester Stelle das ihr Widerfahrene der ganzen Welt mitteilen möchte, und um gleichzeitig von ihrem ehemaligen Arbeitgeber eine grosse materielle Entschädigung herauskitzeln zu können. Die zweite Antwort ist wohl die richtige.»
Zum ersten Mal beschreibt Schawinski ausführlich seine leidvollen Erfahrungen mit dem Mann der «Verlegersgattin» (so bezeichnete sich Roshani gerne und ohne Selbstironie). Der Verleger von Kein & Aber kommt dabei nicht gut weg, offensichtlich ist er vom gleichen Schlag wie seine Gattin.
Wer die unsäglichen Mechanismen des heutigen Elendsjournalismus gut dokumentiert und geschrieben vorgeführt haben möchte, sollte unbedingt dieses Buch lesen. Und Propaganda dafür machen, denn die mitschuldig gewordenen Medien, die sich einmal mehr instrumentalisieren liessen, weil die Grundstory wie bei Relotius in ihre Weltsicht passte, werden das Buch möglichst ignorieren. Oder unter einem Vorwand behaupten, dass das doch nur eine weitere eitle Selbstdarstellung Schawinskis sei, kaum lesenswert, uninteressant.
Davon sollte man sich aber nicht abhalten lassen, es zu lesen. Denn es lohnt die Lektüre zehnmal mehr als jede beliebige Ausgabe eines «Spiegel», eines «Tages-Anzeiger». Von den übrigen Schweizer Medien ganz zu schweigen; denn für einmal hat hier auch die NZZ versagt. Wie alle anderen auch.
Nach der Lektüre ist man versucht, all diesen Organen, «Spiegel», «Zeit», Tamedia, CH Media, «Blick» und NZZ die einfache Frage zu stellen: schämt Ihr Euch denn überhaupt nicht? Leider kennen wir die Antwort.
Roger Schawinski: Anuschka und Finn. Die Geschichte eines Medienskandals. Radio 1 Verlag.
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