Der Mensch entwickelt sich zurück. Ein Monat dauert diese Urkatastrophe schon, alle müssen sich irgendwie total umorientieren und vieles verändert sich gezwungenermassen.
Die Haare auf dem Kopf stehen einem zu Berge wie beim Struwwelpeter, alle Versuche, sie zu bändigen, schlagen fehl. Gel wirkt kontraproduktiv und der Partner traut sich nicht, den Ersatz-Coiffeur zu mimen. Glatzen werden überwachsen, schwarze Haare werden grau, blonde wieder schwarz und rote auch schon mal weiss.
Die pure Natürlichkeit setzt sich durch, der Mensch wird reduziert auf das, was er wirklich hat.
Dort, wo Frauen sich gerne am meisten als Frau definieren, sind die Fingernägel. Die Nagelstudios sind zu und die eigenen Fähigkeiten reichen gerademal zu einer ungenauen Einfarbigkeit. Keine Minikunstwerke in vielen Farben mit Glitzersteinen in fünf Zentimeter Länge.
Der Nagel wird wieder ein Nagel und viele Frau finden vielleicht zu ihrer Ur-Rolle zurück, mit Händen auch zu arbeiten und sie nicht nur zu betrachten.
Die diesjährige Sommermode findet mangels Boutiquen nicht statt, also muss das eigene Mode-Ego zufrieden sein mit uralten Jeans aus dem letzten Jahr oder gar noch früher, weil man aus aktuellen Gründen die letztjährigen schon weggegeben hat.
Plötzlich sind zerrissene Hosen kein Mode-Gag mehr, sondern brutale Realität, bei der man sich ja nicht wohlfühlen kann, weil sie natürlich entstanden sind und keine chinesische Wanderarbeiterin sie mit ihrer letzten Kraft extra zerreissen musste.
Die Kommunikation reduziert sich auf steinzeitliche Werte zurück (so rudimentär wie Lucy und Petty - oben auf dem Foto aus Lyon - gesprochen haben).
Erst waren wir «zufrieden mit den radikalen Einschnitten durch den Bundesrat», dann: «Ja, wenn es sein muss, machen wir mit», später: «Es wird Zeit» und jetzt: „Scheeeisse!»
Unsere Zukunft ähnelt ebenfalls der Entwicklung in der Steinzeit:
Es gibt keine schnellen Fortschritte mehr in allen Bereichen des Lebens. Alles bleibt beim Alten oder es wird sogar weniger. Hoffnungslosigkeit macht sich breit, dass man sich nicht mehr wie bisher endlos weiterentwickeln kann.
So ähneln wir auch ziemlich stark dieser Lucy und Petty, denn sie konnten auch nicht wissen, wie lange die Steinzeit noch dauern würde:
Sind es noch 30'000 oder nur 15'000 Jahre?
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.