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Zeyer zur Zeit

Sag nein!

Der Worte sind genug gewechselt. Bei Abstimmungen gibt es nur zwei Optionen. Ja oder nein. Oder Abstinenz. Aber das ist keine dritte. Also bleibt nur ein Nein.

«Die Ostschweiz» Archiv am 24. November 2021

Selten ging es vor einer Abstimmung so hoch zu und her. Verantwortungsloses Querulantentum versus ausufernder Kontrollstaat. Sinn, Nutzen, Kosten. Wer nein stimmt, ist ein Nazi, mindestens ein Rechtspopulist. Wer ja stimmt, ist ein freiheitsfeindlicher Untertan, mindestens ein obrigkeitshöriger Trottel.

Siegt das Ja, wird alles gut – oder es droht Knechtschaft. Siegt das Nein, wird alles gut – oder es droht der Zusammenbruch. Es ist allerdings nur eines sicher: diese beiden Prognosen werden nicht eintreffen.

Ginge es nur um die Abwägung von vernünftigen Argumenten dafür oder dagegen, die Entscheidung wäre nicht leicht. Da bewegen wir uns in der Trennschärfe von 50 zu 50. Oder 51 zu 49, dafür oder dawider. Aber es ist keine Entscheidung zwischen Diktatur oder Freiheit. Auch keine zwischen unverantwortlichem Egoismus oder staatstragendem Gemeinsinn.

Hilfreich bei der Entscheidungsfindung ist etwas ganz anderes. Vertrauen wir den Exponenten eines Ja? Also dem Bundesrat, den meisten Parteien, eigentlich allen Massenmedien? Haben die glaubhaft und anständig die Argumente dargelegt, die ihrer Meinung nach für ein Ja sprächen?

Haben die den Rahmen gewahrt, der zum Fundament einer Abstimmung gehört: wer wie auch immer abstimmt, hat sicherlich seine ehrenwerten Gründe dafür? In der Schweiz, in der ständig abgestimmt wird, sollte immer gelten: vor einer Abstimmung kann auch mal geholzt werden. Ein solcher Kampf ist kein Kindergeburtstag und auch kein Streichelzoo, wo man den Widerpart niederknutscht.

Natürlich haben sich auch Befürworter des Referendums gelegentlich schwer im Ton vergriffen. Aber die Zuspitzung der Befürworter des verschärften Covid-Gesetzes, dass jeder Gegner automatisch dem rechtsradikalen Lager, mindestens aber der SVP angehöre, ist zutiefst undemokratisch. Es verwechselt absichtlich Haltung mit Gesinnung.

Am hässlichsten lässt sich das an den Reaktionen illustrieren, die Sibylle Berg einkassieren musste, als sie sich als Gegnerin des Gesetzes positionierte. Als Linke, und aus linken Gründen. Nämlich als Kämpferin gegen einen Überwachungsstaat und eine Spaltung der Gesellschaft.

Statt sich inhaltlich mit Argumenten auseinanderzusetzen oder ihr Gelegenheit zu geben, ihre Position zu erläutern, wurde sie plötzlich wie eine Verräterin geächtet. Man machte sich über sie lustig, («ach Sibylle»), heuchelte Besorgnis über ihren Geisteszustand, entzog ihr Gunst und Sympathie, natürlich durften auch Boykottaufrufe nicht fehlen. Was die Haltung der Befürworter des Gesetzes suspekt macht: sie sind nicht für eine argumentative Auseinandersetzung zu haben.

Sie bestreiten schlichtweg, dass man aus ehrenwerten, vernünftigen, bedenkenswerten Gründen gegen dieses Gesetz sein könnte. Dagegensein ist für sie mehr eine Krankheit, eine Verirrung, Ausdruck tiefster Verantwortungslosigkeit, brachialem Egoismus, fehlendem Gemeinsinn. Plus Unvernunft, bis ins Pathologische hineinragende Verschwörungstheorien treiben Menschen zu einem Nein.

Während die Ja-Sager unbestreitbar und indiskutabel nicht nur Recht haben, sondern auch rational, verantwortungsbewusst, vernünftig und im Einklang mit der einzig richtigen Wahrheit leben.

Unabhängig vom Für und Wider: gegen diese Haltung, gegen diese arrogante Rechthaberei, gegen diese antidemokratische Verabsolutierung der eigenen Meinung, gegen diese Verweigerung einer Debatte, gegen all das muss man eine Antwort an der Urne geben. Sie kann nur NEIN lauten.

Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

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