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Klartext von Gracia

Salonfähige Verbote

In St. Gallen wurde gegen das Burkaverbot das Referendum egriffen. Ich habe dieses Referendum ebenfalls unterzeichnet. Geht es um drängende gesellschaftliche Probleme, scheint der Ruf nach Verboten heute salonfähig.

Giuseppe Gracia am 25. April 2018

Ob Juso, SVP, Grüne, CVP oder FDP: man setzt auf Verordnungen, Quoten, Regulierungen und Staatsprogramme. Wer solche Eingriffe nicht mag und unter Freiheit etwas versteht, das der Staat zulassen und in Ruhe lassen muss, und nicht etwas, das er regulieren und orchestrieren soll, der hat den politischen Mainstream verlassen. Wer selbst zur Burka oder zum Minarett Verbote ablehnt, gilt als Verharmloser der Islamisierung, als Freund der textilen Frauenunterdrückung.

Als Autor eines islamkritischen Romans habe ich allerdings nicht das Geringste übrig für gewaltbereite Machos, die ihren Traum vom Harem mit Gott verwechseln. Genauso wenig mag ich jedoch die pseudochristlich-abendländische Leitkultur-Front, die ihren Traum von der burkafreien Gesinnungsnation mit dem liberalen Rechtsstaat verwechselt. Es sind Politiker und Opinion Leaders, die meinen, erfolgreiche Integration gelinge nur mit einer staatlich verordneten Monokultur. Deswegen wollen sie einen gedanklichen Grenzzaun gegen fremdländische Identitäts-Verwirrungen in unseren Köpfen hochziehen und geben sich dabei auch noch feministisch.

Natürlich brauchen wir Sicherheit und Kampfbereitschaft. Die Durchsetzung des Rechts, eine Migrations- und Integrationspolitik ohne Streichelzoo, sondern mit der Botschaft: wir sind überzeugte, militärisch gerüstete Verteidiger der Freiheit. Wir bieten allen eine Chance, die bereit sind, ihren Teil zu leisten, in Loyalität zum Rechtsstaat. Grundrechtsverletzungen, sei es Diskriminierung der Frau oder Herrschaft über eine Tochter, werden hart bestraft. Wir brauchen diese Verteidigung, aber was hilft dabei ein Burka-Verbot?

Der Kampf gegen Frauenunterdrückung ist nicht zu gewinnen mit staatlicher Zwangsentblössung. Der Staat ist kein feministischer Psychoanalytiker, der um die unbewusste Knechtschaft aller seiner Patientinnen weiss und diese auch gegen ihren Willen «befreien» darf. Der Staat darf nicht als Religionspolizei über konfessionelle Konflikte innerhalb des Islam entscheiden, das heisst: auch nicht über die Frage, ob die Burka nun eine religiöse Kleidung oder ein rein politisches Symbol der Unterdrückung sei. Ich will keinen Staat, der sich anmasst, per Ferndiagnose den inneren Freiheitsgrad aller Muslimas zu beurteilen. Das ist kein Staat mehr, der sich als Rechtsgemeinschaft, sondern als Wertegemeinschaft versteht, mit dem Auftrag, neben dem Gesetz auch bestimmte innere Haltungen durchzusetzen.

Wer für ein Burka-Verbot plädiert zum Schutz der westlichen Kultur, setzt gerade diese Kultur aufs Spiel. Er verrät die gleiche zivilisatorische Perle des Westens, die Freiheit, welche die Islamisten bekämpfen. Aus Terror- und Überfremdungsangst gibt er dem Staat weltanschauliche Urteilskompetenzen und eine Gestaltungsmacht über den öffentlichen Raum der Bürger zurück, die ihm seit der Aufklärung nicht zustehen. Dieser Verrat führt zu einem Vorrang kulturell-moralischer Kategorien vor dem Grundrecht, zu einer Vermischung von Staatsmacht und Fragen des Lebensstils.

Nicht einmal die USA, traditionell patriotisch und wehrhaft, sind bisher so weit gegangen. Wenn wir das in der Schweiz zulassen, werden wir es in Zukunft vielleicht erleben, dass «unsere Werte», unsere «Kultur» über der persönlichen Freiheit steehen. Wer immer dann die Macht hat, «unsere Kultur» zu definieren, wird einen unerwünschten Lebensstil verbieten können, selbst wenn niemand gegen das Gesetz verstossen hat: allein mit dem Argument des Schutzes der Kultur. Dann wird sich zeigen, wie es um die Freiheit von Juden, Christen oder staatskritischen Freidenkern steht. Man wird sehen, was es bedeutet, wenn sich alle als Teil einer Gesinnungsgemeinschaft fühlen müssen und per Mehrheitsentscheid zum richtigen Leben mit der richtigen Kleidung geführt werden.

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Giuseppe Gracia

Giuseppe Gracia ist Schriftsteller und Kommunikationsberater. Sein neuer Roman «Auschlöschung» (Fontis Verlag, 2024) handelt von der Selbstauflösung Europas.

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