Der österreichische Verbraucherschutzverein bereitet derzeit eine Sammelklage gegen den österreichischen Staat vor. Es geht um Tausende Touristen, die sich beim Besuch von Skibars in Ischgl mit dem Coronavirus infizierten und zu Hause viele weitere Menschen angesteckt haben.
Betroffen sind vor allem Touristen aus Deutschland, doch der Urlaubsort Ischgl im Tirol ist auch bei Ostschweizern sehr beliebt dank der geografischen Nähe; Tirol liegt im Westen von Österreich. In Österreich sind Sammelklagen anders als in der Schweiz oder in Deutschland möglich. Experten räumen dem Unterfangen aber dennoch wenig Erfolgsaussichten ein.
Der Obmann des Verbraucherschutzvereins, Dr. Peter Kolba, äussert sich gegenüber Skiurlaubern folgendermassen: «Wenn Sie sich in der Zeit ab 5.3.2020 in den Ski-Gebieten Ischgl, Paznauntal, St. Anton am Arlberg, Sölden oder Zillertal aufgehalten haben und kurz darauf feststellen mussten mit dem Corona-Virus infiziert worden zu sein, dann haben Sie - wenn sich Nachlässigkeit durch Berichte oder im Strafverfahren beweisen lassen - Schadenersatzansprüche gegen die Tiroler Behörden und auch gegen die Republik Österreich.»
Daraufhin haben sich laut einer Mitteilung des Vereins mehrere Tausend Betroffene bei dem Verein gemeldet. Aus den Medien wurde zudem bekannt, dass der Verbraucherschutzverein mittlerweile rund ein Dutzend Beamte und Politiker bei der zuständigen Staatsanwaltschaft angezeigt hat.
Doch bis ein etwaiges Strafverfahren eröffnet und vermeintlich Verantwortliche strafrechtlich verurteilt werden, dürften Jahre ins Land gehen, wie Fachleute übereinstimmend sagen. Und ob im Anschluss eine zivilrechtliche Sammelklage Aussicht auf Erfolg hätte, bezweifelt Rechtsanwalt Arndt Eversberg, Vorstand der Roland ProzessFinanz AG. «Die Erfahrungen mit der österreichischen Justiz nach der Kaprun-Tragödie zeigen, dass die Erfolgsaussichten etwaiger Kläger eher gering einzuschätzen sind.»
Eversberg bezieht sich damit auf ein tragisches Unglück, das zwei Jahrzehnte zurückliegt. Am 11. November 2000 starben 155 Menschen zwischen Kaprun und dem Gipfel des Kitzsteinhorn. Damals blieb der Waggon mit dem Namen «Kitzsteingams» in einem Felsschacht stehen. Aus dem unteren Führerstand des Zuges schlugen Flammen. Binnen weniger Minuten entstand ein mörderischer Grossbrand.
Rund vier Jahre später fiel in Salzburg ein Urteil, das als das umstrittenste in der österreichischen Nachkriegsgeschichte gilt: Nach rund zweijähriger Prozessdauer sprach ein Salzburger Richter sechzehn angeklagte Männer von jeder Verantwortung an der Brandkatastrophe frei. Und die Berufung vor dem Oberlandesgericht Linz scheiterte ebenso wie Bemühungen um eine Wiederaufnahme des Verfahrens. Ebenso misslangen Versuche, die österreichische Justiz über Zivilverfahren in den USA oder den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte auszuhebeln.
«Der Fall zeigt, dass Amtshaftungsklagen gegen Staaten und ihre Repräsentanten politisch vielfach ungewollt sind. In der jetzigen Situation kommt hinzu, dass die Republik Österreich sehr viel unternimmt, den Coronavirus zu bekämpfen und die wirtschaftlichen Folgen für die Bürger abzumildern. Juristische Einzelaktionen Betroffener sind angesichts der Gesamtsituation unpassend», ist Eversberg überzeugt. Er ist seit 20 Jahren in der Prozessfinanzierungsbranche tätig und hat tausende Zivilklagen finanziert.
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