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Zeyer zur Zeit

Schlag gegen die Pressefreiheit

Das Parlament hat eine einschneidende Gesetzesänderung verabschiedet. Das Wort «besonders» wurde gestrichen. Das hat besonders gravierende Folgen für die Medien.

«Die Ostschweiz» Archiv am 11. Mai 2022

Im Windschatten der Ukraine und des Gezeters über Pressezensur in Russland hat nun auch der Nationalrat fast einstimmig der Änderung von Art. 266 der Zivilprozessordnung zugestimmt. Das tat zuvor schon der Ständerat, womit der Skandal perfekt ist.

Was für ein Skandal?

Es geht um die Möglichkeit, mit einer sogenannten superprovisorischen Verfügung die Publikation eines Artikels zu verhindern. Es handelt sich hier um den einzigen Gesetzesartikel, der etwas in unserem Rechtssystem sonst Wesensfremdes regelt. Nämlich eine präventive staatliche Massnahme, ohne dass der davon Betroffene Gelegenheit hat, vorab dazu Stellung zu nehmen, Protest einzulegen, seine Position zu verteidigen.

In der Annahme, dass im Bereich der Medien die Publikation eines Artikels nicht wiedergutzumachende Schäden auslösen könnte. Daher kann eine Superprovisorische eine Veröffentlichung untersagen, sollte die «einen besonders schweren Nachteil» bewirken.

Wobei «besonders schwer» für Juristen nicht das Gleiche ist wie «schwer». Da ein Richter ohne Anhörung der Gegenpartei entscheiden muss, bedeutet «besonders schwer» eine höhere Hürde als nur «schwer». Federführend bei diesem schweren Anschlag auf die Pressefreiheit ist der Anwalt und Glarner FDP-Ständerat Thomas Hefti. Was ihn dabei geritten hat, sagt er nicht.

Er (mitsamt den anderen verantwortungslosen Gesellen, die bei diesem Frontalangriff auf eine der wichtigsten Kontrollinstanzen einer offenen und demokratischen Gesellschaft mitmachen), behauptet, dass die Medien eben immer übergriffiger und mächtiger würden, der Einzelne ihnen ohnmächtig ausgeliefert sei, daher bessere Möglichkeiten haben müsse, sich schon im Vorfeld einer ungeheuerlichen Beschädigung durch Skandalberichte zu schützen. Eben mit einer Superprovisorischen, bei der er «nur» noch einen «schweren Nachteil» geltend machen müsse.

Das Argument ist so fadenscheinig und falsch, dass es sich nur um den verzweifelten Versuch handeln kann, einen insgeheim geplanten heimtückischen Angriff zu legitimieren, nachdem nun doch der Scheinwerfer der Öffentlichkeit darauf gerichtet war. Das Argument ist fadenscheinig, weil eine solche Senkung der Hürde weder dem öffentlich hingerichteten gefallenen Raiffeisen-Star Pierin Vincenz genützt hätte. Noch dem schweizerisch-angolanischen Geschäftsmann, der zuerst mithilfe der Panama-Papers ans Kreuz genagelt wurde, dann aber von allen, restlos allen Vorwürfen freigesprochen.

Das Argument ist falsch, weil die Medien gar nicht mehr das Monopol auf solche Schädigungen haben; ein Shitstorm auf den asozialen Plattformen kann viel verheerender sein. Warum dann dieser Angriff? Ganz einfach. Die wenigen verbliebenen Recherchiermedien sollen weiter eingeschüchtert werden. Man muss sich dazu den Ablauf konkret vorstellen.

Ein russischer Oligarch in seiner Villa in Lausanne kriegt mit, dass ein Medium über die schmutzige Herkunft seines Vermögens recherchiert. Er nimmt sich den besten Anwalt, der mit Geld zu haben ist, behauptet eine mögliche, aber sicher schwere Rufschädigung, die Verletzung seiner Privatsphäre, ungeheuerliche wirtschaftliche Nachteile durch die Publikation – und hat gute Chancen, dass sie unterbleibt.

In einer historisch einmaligen gemeinsamen Erklärungen hatten alle Schweizer Medien (mit Ausnahme der staatsnahen SRG) Bundesrat und Parlament inständig gebeten, diese Streichung nicht zuzulassen. Selbst die zuständige Bundesrätin setzte sich dagegen ein – alles vergeblich.

Der Rechtsprofessor, Wendehals und Bundesratsaspirant Daniel Jositsch stimmte sowohl in der Kommission wie im Ständerat dafür. Da das Internet nichts vergesse, liessen sich Fehlinformationen nie mehr beseitigen, behauptete Jositsch. Wieso das mit einer Erleichterung des Verpassens eines Maulkorbs ausschliesslich für regelmässig erscheinende Medien geheilt werden soll, weiss auch nur Jositsch selbst.

Trotz all dieser Proteste – die von den Medienhäusern viel zu zaghaft lanciert wurden, man schielte allzu lange auf die Subventionsmilliarde – ist die Tat nun vollbracht. Es braucht nur die Behauptung eines «schweren Nachteils», um mittels Superprovisorischer die Publikation eines unliebsamen Artikels zu untersagen – und meistens auch zu verhindern.

Welches Schindluder schon jetzt mit diesem Instrument betrieben werden kann, illustriert nicht zuletzt der Fall Jolanda Spiess-Hegglin. Sie erwirkte eine superprovisorische Massnahme gegen ein noch nicht einmal geschriebenes Buch mit der Behauptung, dass dort vermutete Persönlichkeitsverletzungen ihr einen nicht wiedergut zu machenden Schaden zufügen würden.

Nachdem dieses kühne Ansinnen vom Zuger Kantonsgericht abgeschmettert wurde, gelangte sie ans Bundesgericht und rekurrierte sogar nochmals gegen das auch dort abschlägige Urteil. Damit verzögerte sie die Publikation einer Recherche über die Ereignisse bei der Zuger Landammannfeier von 2014 (!) um weitere Jahre.

Ob und wann dieses Buch nun erscheinen wird – und welchen Leserzuspruch es erhalten wird – steht in den Sternen. JSH finanzierte ihre juristischen Anstrengungen mit Spenden, sonst wäre ihr eine solche Prozessiererei gar nicht möglich gewesen. Für eine reiche Person oder Firma ist das überhaupt kein Problem, ein paar zehntausend Franken zu investieren, um einen unliebsamen Medienbericht zu unterdrücken.

Indem nur noch ein «schwerer Nachteilt» statt eines besonders schweren behauptet werden muss, wurde die Hürde zur Erlangung einer Superprovisorischen deutlich tiefergelegt. Das wird die Medien noch ängstlicher machen, bei vermuteter oder tatsächlicher Gegenwehr eines Betroffenen – wohlgemerkt im Vorfeld einer Publikation – die Rechercheergebnisse auch tatsächlich zu veröffentlichen.

Normalerweise erfährt der Kritisierte immer im Voraus von einer geplanten Publikation. Denn es gehört sich, ihn zuvor mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu konfrontieren und Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Stattdessen wird er einfach seinen Anwalt anrufen und auffordern, sofort eine Superprovisorische auf den Weg zu bringen ...

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