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Zeyer zur Zeit

Schulden: na und?

Auch der Kanton St. Gallen neu mit Schubumkehr: für 2021 ist ein «operatives Defizit» von einer schlappen Viertelmilliarde vorgesehen. Corona und so. Na und, geht doch.

«Die Ostschweiz» Archiv am 23. Januar 2021

Sparen war vorgestern. Ausgeglichenes Budget, Schuldenabbau, das war gestern. Heute ist: besondere Situation, besondere Massnahmen. Klotzen statt kleckern. Plus die ewige Mär: kurzfristig führt das tatsächlich in die dunkelroten Zahlen. Aber langfristig wäre alles andere noch viel teurer. Und wenn Leben auf dem Spiel stehen, kann Knausrigkeit wohl nicht die richtige Haltung sein.

Um das Schuldenmachen, als gäbe es kein Morgen mehr, gegen den gesunden Menschenverstand der Bürger durchzusetzen, ist kein Argument zu abstrus. Heutige Schulden sind die Gewinne von morgen. Noch nie war es so billig, Schulden zu machen. Wo das Geld herkommt, aus den Notenbanken, gibt’s noch beliebig viel mehr.

Oder wie das der Nobelpreisträger Paul Krugman sagt, nie um eine populistisch-bescheuertes Bonmot verlegen: wer heute verantwortlich handelt, sollte aufhören, sich über Schulden Sorgen zu machen. Es gibt auch Vertreter einer sogenannten «New Monetary Theory», die behaupten, da eine Notenbank nie pleite gehen könne im eigenen Währungsraum, und wenn gewisse Rahmenbedingungen eingehalten werden, könne so viel Neugeld wie gewünscht hergestellt werden. Es gibt nicht mal eine Inflation. So wie heute.

Der ehemalige Chefökonom des IMF fasste in einem sehr lesenswerten Buch die Geschichte von 800 Jahren Finanzkrisen zusammen: «Diesmal ist alles anders». Damit meint er, dass eine der Ursachen für Finanzzusammenbrüche ist, dass man angesichts der Vergangenheit immer wieder behauptet, es sei diesmal aber eine ganz andere Situation. Derselbe Kenneth Rogoff sagt heute: «Natürlich ist jetzt in dieser Ausnahmekrise nicht der Moment, auf die hohe Staatsverschuldung zu achten.»

Also ist das, was der Kanton St. Gallen macht, doch völlig richtig. Er gibt mehr aus, als er einnimmt, so muss man das doch heutzutage tun. Im besten Fall kriegt der Kanton – dank Negativzinsen – sogar noch Geld dafür, dass man ihm Geld leihen darf. Schliesslich werden die Schulden auch sinnvoll eigesetzt: für Erwerbsausfälle durch Lockdowns.

Eigentlich ist es doch bescheuert, dass wir nicht schon eher auf diese naheliegende Idee gekommen sind. Statt dass der Betrieb weiter hochklassige Stoffe herstellt, klappen wir ihn einfach zu. Samt allen Detailhändlern, die das verkaufen. Die Firmen bekommen Nothilfe, Kredite, à fonds perdu oder locker und zinsfrei irgendwann rückzahlbar. Die Angestellten werden nicht entlassen, sondern der Staat übernimmt ihr Gehalt; die letzten 15 Prozent legt der humane Arbeitgeber noch drauf.

Dafür stellt sich der Arbeitnehmer auch nicht an, wenn er statt offiziell einen Tag auch mal zwei oder drei arbeiten muss, wenn gerade etwas ansteht. Endlich, das Paradies auf Erden. Davon haben wir alle schon immer geträumt. Wir legen die Füsse hoch, der Rubel rollt, so lässt’s sich leben.

Dagegen haben es natürlich diese verdammten Spielverderber nicht leicht. Ob man die Schulden ewig stehenlassen könne? Ob die Nullzinsen nie mehr angehoben werden? Ob bis über beide Ohren des BIP verschuldete Staaten, die trotz Niedrigzinsen immer öfter als grössten Budgetposten «Schuldendienst» führen, überhaupt noch ihren eigentlichen Aufgaben nachgehen können? Ob der Staat all das Geld auch sinnvoll verwendet?

Wann reiner Wein eingeschenkt wird, dass die offiziellen Schulden des Staats oftmals ein Klacks sind gegen die impliziten Schulden? Was das schon wieder ist? Nun, eine staatliche Schummelei. Jeder Verantwortliche für eine Firmenbilanz käme dafür in den Knast. Wenn er in die Bilanz nicht die zu erwartenden zukünftigen Ausgaben aufnehmen würde. Beim Staat sind das die sogenannten Sozialversprechen. Also Altersvorsorge, Gesundheit, usw.

Was da an fest planbaren Schulden auf ihn zukommen, kann man ziemlich genau berechnen. Nur: der Staat muss gar keine normale Bilanz machen, er weist auch kein Eigenkapital aus. Schliesslich: Seit der Finanzkrise eins von 2008 befinden wir uns eigentlich konstant in einer besonderen Situation.

Weltweite Finanzkrise, Eurokrise, Chinakrise, Dollarkrise, Budgetdefizitkrise, immer ist Krise. Jetzt noch Corona, das ist sogar eine Superkrise. Bislang, ohne Lockdown zwei, haben die staatlichen Massnahmen bereits über 130 Milliarden Franken Schaden in der Schweiz angerichtet? Na und, das wird sich die reiche Schweiz doch wohl noch leisten können. Hier werden Schulden gemacht, nicht um sinnvoll und wertschöpfend zu investieren, sondern um Konsum zu finanzieren, der nicht mehr durch wertschöpfende Arbeit bezahlt werden kann?

Gegen all das setzen die Prediger der Schuldenmacherei die ewig gleichen Sprüche. Jetzt ist nicht der Moment, ein Staat funktioniert nicht wie das Budget eines Haushalts. Jetzt muss gehandelt werden, um Lösungen kümmern wir uns dann später. Dazu trägt auch die Ostschweiz ihr bescheidenes Scherflein bei. Rund 250 Millionen, was ist das schon heutzutage? Soviel verdient bereits Chefetage plus VR einer Grossbank. Und bei denen ist’s doch auch leistungs- und erfolgsunabhängig.

Also: Schulden sind geil, um das mal jugendsprachlich auszudrücken. Schulden sind mega. Ausgaben müssen erarbeitet werden? Wie altmodisch ist das denn!

Stölzle /  Brányik
Autor/in
«Die Ostschweiz» Archiv

«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.

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