Der Theaterkrimi wurde vom Premierenpublikum sehr wohlwollend aufgenommen. Die Gäste in der Alten Stuhlfabrik in Herisau äusserten sich nach der Welturaufführung am Freitagabend beeindruckt vom Stück, zur speziellen Inszenierung und der Leistung der Mitwirkenden.
Text: Monica Dörig
Der Applaus am Schluss war herzlich bis begeistert; einzelne Bravorufe waren zu hören. Der Zweiakter der Gaiser Autorin Anita Glunk feierte am Freitagabend im Kleintheater Stuhlfabrik Premiere. Für die Inszenierung, die mit verschiedenen Zeitebenen und Medien spielt, zeichnen Angélique Kellenberger auf der Bühne und Philipp Langenegger für die Videosequenzen verantwortlich. Die Formation Rondom de Säntis (Maya Stieger, Werner Alder, Peter Looser) sorgt als Hauskapelle der fiktiven Restaurant Rössli auf dem extra gebauten Geigenstuhl für den stimmungsvollen Live-Soundtrack. Das Bühnenbild (Familie Langenegger Kellenberger) wechselt zwischen mystischen Landschaftsfotografien und künstlerischen Darstellungen eines chaotischen Büros.
Bühnendarstellung, Film und Musik
In eben diesem Büro sitzt und tobt der abgehalfterte Journalist Harry Leu (Philipp Langenegger), der zu viel trinkt und von einem alten Kriminalfall besessen ist. Er will ihn in Buchform aufarbeiten. Der Urnäscher Schauspieler kann in dieser Rolle aus dem Vollen schöpfen, sowohl mit seinem komischen Talent als auch in der Darstellung eines Verzweifelten.
Seine Gespräche mit Zeitzeugen werden als Videos auf die Leinwand projiziert. Sie sind in einer schönen Bildsprache gedreht und einige mit Humor gewürzt – nicht zuletzt die drei möglichen Mord-Szenarien.
Beidseits der Bühne sind zwei weitere Hauptfiguren zu sehen: Der wegen Totschlags verurteilte Armenhausknecht Emil Moser (Benjamin Heutschi) und das Opfer, die leichtlebige Serviertochter Laura Schnider (Nadine Landert). Allein durch ihre starke Präsenz, mit ihrer Mimik, Stimme und Körpersprache vermitteln sie wie es Menschen ihres Standes in den Fünfzigerjahren hat ergehen können. Das löst Betroffenheit aus.
Undurchsichtige Rollen in der Geschichte, die sich auch noch Jahrzehnte danach überall in der Schweiz hätte ereignen können, spielen die boshaft lachenden und schwadronierenden Blasius Kobler (Gemeindepräsident) und Jakob Gertsch (Armenhausvater). Wie sie da aus dem Wirtshausfenster heraus spötteln, sind sie ein Symbol für die Ränkespiel der Mächtigen. Und erinnern ein wenig an die zwei hämischen «Zausel» aus der Muppet-Show. Hanspeter Ulli und Heini Hophan lieferten eine köstliche Performance. Und Caroline Felber als Frau Nigg, einst Haushälterin im Armenhaus, sorgte mit ihrer Vorliebe für Kirsch für den «Running Gag».
Beeindruckendes Gesamtkunstwerk
Das fast zwanzigköpfige Team hat ein beeindruckendes Gesamtkunstwerk gestaltet. Das Publikum, das zur Premiere zum Teil von weit her angereist ist, war sehr angetan und diskutierte anschliessend angeregt. Ein Besucher lobte, dass die Figuren nicht eindimensional gezeichnet sind, eine Besucherin schätzte, dass ein schweres Thema mit einer Portion Leichtigkeit vermittelt wurde, ohne in Klamauk abzudriften. Andere Besucher schwärmten von der Leistung der Profis auf der Bühne und der schönen Appenzellermusik. Komplimente erhielt auch der Techniker, der wegen der vielen kurzen Szenen, der zahlreichen Lichtwechsel und Einspielungen buchstäblich alle Hände voll zu tun hatte. Und ein älterer Herr sagte restlos begeistert: «Das gut durchdachte Stück geht einem unter die Haut: Humor gepaart mit tiefem Ernst, ausdrucksstark inszeniert.»
Einzigartiges Erlebnis
Für Autorin Anita Glunk, die unter anderem auch Kolumnen und Mundart-Kurzgeschichten schreibt, war die Aufführung des Dramas ein einzigartiges Erlebnis. Sie hat es in kurzer Zeit verfasst, nachdem die Idee vor gut einem Jahr Gestalt angenommen hatte. Inspiriert hat sie ein Kriminalfall, der 1959 in Gais geschehen ist und mit einem Indizienprozess endete. Ihr Stück ist jedoch fiktiv. «Ich habe die Buchstaben geliefert. Aber lebendig wurde die Geschichte erst durch die Umsetzung mit tollen Ideen», sagte Anita Glunk am Ende der Premiere sichtlich bewegt und glücklich. Es sei so geworden wie sie es sich vorgestellt habe.
Philipp Langenegger hat das Potenzial des Stücks früh erkannt und ist mit seiner «Truppe» das Risiko eingegangen, es auf die Bühne zu bringen. (Finanzielle Unterstützung bekam die bisher aufwendigste Eigenproduktion der
«Stuhlfabrik» vom Ausserrhoder Amt für Kultur, von Stiftungen und Sponsoren.) Neben den bereits Erwähnten haben Rahel Olesen als Harrys Ex-Freundin Eva, Thomas Götz als ehemaliger Gemeindebeamter und Urs Irniger als Lehrer Gröbli Auftritte, die im Gedächtnis bleiben.
Die beiden Vorstellungen am Freitag und Samstag waren nahezu ausverkauft. «Austerlingen – überall und nirgendwo» wird am nächsten Wochenende noch dreimal aufgeführt. Informationen und Tickets unter: www.stuhlfabrik-herisau.ch
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