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Im Gespräch mit Daniel Fässler

Sind die Appenzeller die wahren Ostschweizer?

CVP-Nationalrat und Landammann Daniel Fässler ist erstaunt darüber, wie einfach es sich Ostschweizer Medien und Wirtschaftsverbände machen, wenn sie «Ostschweizer Interessen» beschreiben und dabei in erster Linie an die Stadt St.Gallen denken.

Marcel Baumgartner am 16. September 2018

Daniel Fässler, wir Ostschweizer klagen ja gerne darüber, dass wir in Bern vergessen gingen, dass die Schweiz bei Winterthur aufhöre. Lässt man uns in Bern effektiv links liegen?

Jede Randregion hat das Gefühl, vernachlässigt zu werden. 15 der 26 Kantone sind Grenzkantone, und weitere sieben Kantone (UR, SZ, OW, NW, GL, AR, AI) werden zumindest wirtschaftlich als peripher liegend betrachtet.

Wir Ostschweizer sind daher nicht die Einzigen, die sich zu wenig wahrgenommen fühlen. Bevorzugt behandelt werden wir aber sicher nicht. Dies liegt m. E. weniger an der derzeit fehlenden Vertretung im Bundesrat, als vielmehr an der geografischen Lage der Bundesstadt und der darin begründeten ungenügenden Vertretung der Ostschweiz in Chefpositionen der Bundesverwaltung.

Manchmal täte allerdings etwas mehr Selbstkritik gut: Dass der Schweizerische Innovationspark keinen Netzwerkstandort Ost erhält, ist eigenem Unvermögen geschuldet. Und die Schaffung eines Metropolitanraumes St.Gallen kann nicht gelingen, wenn sich Teile des Kantons St.Gallen an der Metropolitankonferenz Zürich beteiligen.

Andere Regionen schaffen es, sich besser Gehör zu verschaffen. Die Ostschweizer Kantone ziehen mitunter nicht immer am gleichen Strick. Braucht es hier ein vermehrtes Zusammengehen?

Ein Problem der Ostschweiz ist, dass wir selber die Ostschweiz je nach Bedarf anders definieren. Politisch ist die Sache klar: In der Ostschweizer Regierungskonferenz (ORK) sind die Regierungen der Kantone Glarus, Schaffhausen, Appenzell Ausserrhoden, Appenzell Innerrhoden, St.Gallen, Graubünden und Thurgau zusammengeschlossen.

Doch faktisch verstehen sich insbesondere die Bewohner von Graubünden und Schaffhausen selber nicht als Ostschweizer. Und die Glarner werden von den Ostschweizern nicht als ihresgleichen angesehen.

Umgekehrt wiederum sieht es in einzelnen Teilen der Kantone St.Gallen und Thurgau aus, die ihre Orientierung in Richtung Zürich haben. Manchmal könnte man meinen, Appenzell Ausserrhoden und Appenzell Innerrhoden seien die einzigen Kantone, die sich vorbehaltlos als Ostschweizer Kantone bezeichnen.

Ich bin daher immer wieder erstaunt, wie einfach es sich Ostschweizer Medien und Wirtschaftsverbände machen, wenn sie «Ostschweizer Interessen» beschreiben und dabei in erster Linie an die Stadt St.Gallen denken.

Mit diesem Exkurs ist das Entscheidende gesagt: Wir Ostschweizer haben selber ein Problem, uns zu definieren und zu identifizieren. Trotz dieser nicht einfachen Ausgangslage ist die Zusammenarbeit zwischen den ORK-Kantonen gut, jedenfalls viel besser, als immer wieder beklagt wird. Dass man nicht immer am gleichen Strick ziehen kann, ist angesichts der heterogenen Ausgangslage klar. Dies heisst aber nicht, dass man sich nicht nach Kräften unterstützt.

Sie selbst sind seit Dezember 2011 im Nationalrat und gelten als einflussreicher Politiker. Wie stark können Sie diesen Einfluss zugunsten des Kantons Appenzell Innerrhoden einsetzen?

Ich darf seit 2008 das Amt des Landammanns von Kanton Appenzell Innerrhoden ausüben. Es ist daher klar, dass ich als (einziger) Nationalrat vor allem die Interessen unseres Kantons wahrnehme. Diese sind meistens mit den Interessen der übrigen Ostschweiz identisch.

Da ich der einzige Bundesparlamentarier bin, der gleichzeitig in einer Kantonsregierung Einsitz hat, gelingt es mir gut, bei Bundesrat, Verwaltung und Ratskollegen das nötige Gehör zu finden. Dabei suche ich selten den Weg über die Öffentlichkeit. Ein rascher Erfolg in der Sache ist mir wichtiger als eine Nennung in der Tagespresse.

Welches grundsätzliche Bild, vielleicht auch welche Vorurteile haben Ihre Parlamentskollegen von Ihrem Heimatkanton?

Appenzell Innerrhoden wird dank der Landschaft, dem Hauptort Appenzell, dem Alpstein und unseren Traditionen als Idylle wahrgenommen. Wichtige «Botschafter» sind dabei die landesweit bekannten Produkte wie Bier, Biberli, Mineral und Flauder, Alpenbitter oder Käse.

Dass wir wirtschaftlich ausserhalb dieser Branchen und des Tourismus noch mehr zu bieten haben, realisieren nur jene Kollegen, die sich mit statistischen Angaben befassen. Diese nehmen dann erstaunt zur Kenntnis, dass Innerrhoden beim Finanzausgleich pro Kopf weniger aus dem Ressourcenausgleich erhält als St.Gallen und Thurgau. Und dass Innerrhoden nach Graubünden beim Tourismus den zweithöchsten Beschäftigungsanteil hat.

Was können andere Kantone in wirtschaftlicher Hinsicht von Innerrhoden lernen?

Es liegt mir fern, Ratschläge zu erteilen. Denn als Präsident der Volkswirtschaftsdirektoren-Konferenz der Ostschweizer Kantone und des Fürstentums Liechtenstein (VDK Ost) weiss ich, dass jeder Kanton seine eigenen Herausforderungen hat. Und ich weiss auch, dass sich die Ostschweizer Kantone wirtschaftlich zu behaupten wissen, obwohl verschiedene wertschöpfungsstarke Branchen bei uns untervertreten sind.

Und in welchen Belangen hat Ihr Kanton noch Nachholbedarf?

Appenzell Innerrhoden hat sich in den letzten zehn bis 20 Jahren sehr stark entwickelt. Der Geburtenrückgang konnte mit einer massvollen Zuwanderung vor allem aus dem Inland kompensiert werden. Stärker als die Bevölkerung ist die Beschäftigung gewachsen, die Wachstumsraten lag in den letzten Jahren über dem Ostschweizer Durchschnitt.

Als Folge davon haben sich die Pendlerströme verändert, denn die jüngere Generation hat vermehrt die Chance, im eigenen Kanton zu arbeiten. Wenn diese Entwicklung fortgesetzt und damit der Braindrain weiter reduziert werden kann, ist das wichtigste Ziel erreicht.

Das Interview wurde ursprünglich im Magazin «Leader» publiziert.

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Autor/in
Marcel Baumgartner

Marcel Baumgartner (*1979) ist Co-Chefredaktor von «Die Ostschweiz».

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