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Zeyer zur Zeit

Skandal am Lilienberg

Der Stifter Walter Reist rotiert im Grab. Sein Begegnungszentrum Lilienberg schmeisst im letzten Moment den «Kontrafunk» raus. Der gefährde Ruf und Sicherheit.

«Die Ostschweiz» Archiv am 03. Oktober 2022

Christoph Vollenweider spart nicht mit salbungsvollen Worten. Der «Leiter Programm und Publikationen» des Lilienberg beklagte unlängst: «Die Cancel Kultur diffamiert Menschen, die eine «falsche» Meinung vertreten und gefährdet damit das freie Denken und somit eine Grundlage unserer Demokratie.»

Das brachte ihn zum unheilschwangeren Urteil: «Die Toleranz ist gefährdet und bedroht.» Hätte Vollenweiler etwas Ehre im Leib, müsste er per sofort und unter Protest zurücktreten.

Denn das neugegründete Internetradio «Kontrafunk» wollte in diesem Begegnungsort und Seminarhotel seine erste Versammlung abhalten. Zunächst liess sich alles wunderbar an. Man verdankte die Anfrage, sagte gerne zu, bestätigte die Reservation, erkundigte sich, ob es noch besondere Wünsche gäbe. Was halt ein Seminarhotel so macht, wenn es durch den Besuch einer grösseren Gruppe einen mindestens fünfstelligen Betrag einzunehmen gedenkt.

«Kontrafunk», der sich «Die Stimme der Vernunft» nennt, ist ein völlig unbescholtenes Unternehmen, das sich in seinem kurzen Leben nicht das geringste zuschulden kommen liess. Auch alle Teilnehmer haben bislang keinen Anlass zu Bedenken geboten, dass sie sich ungebührlich in einem Hotel aufführen würden.

Auch der Autor hätte zur Gästeschar gehört, die hier Vorträgen lauschen wollte, gemeinsam die Welt rund und wieder eckig diskutieren und dazu sicherlich auch das kulinarische Angebot des Hotels gewürdigt hätte. Vielleicht sogar auch das umfangreiche Wellness-Programm, um nicht nur den Geist, sondern auch den Körper zu pflegen.

Angereist wäre man aus nah und fern, aus dem gesamten Einzugsgebiet des Radios in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Geplant wäre ebenfalls ein vergnüglicher Ausflug auf den Bodensee gewesen.

Konjunktiv. Denn rund zwei Wochen vor dem geselligen Ereignis kam die kalte Dusche. Es bestehe «die begründete Annahme das (sic!) die Veranstaltung den reibungslosen Geschäftsbetrieb, die Sicherheit und den Ruf des Lilienberg» gefährde.

Die Direktion brachte noch ihre Hoffnung zum Ausdruck, dass man «Verständnis für diese Entscheidung» habe. Das ist dann allerdings schon der zweite Irrtum. Der erste besteht darin, dass nicht etwa «Kontrafunk», sondern die Präsidentin des Stiftungsrats Lilienberg Denise Rau den reibungslosen Geschäftsbetrieb und den Ruf des Lilienberg beschädigt.

Kaum ist der Gründer und Stifter verstorben, wird sein Anliegen gekübelt, hier einen Ort der Begegnung und des Austauschs zu schaffen. Stiftungsräte sind schon wegen kleineren Widerhandlungen gegen die Absichten eines grosszügigen Stifters von ihrer Funktion entbunden worden.

Abgesehen davon, dass eine so kurzfristige Absage trotz fester Vereinbarungen unanständig, unverständlich und mit Haftungsfolgen versehen ist: dem Lilienberg entgeht ein hübscher Batzen Geld. Dem Veranstalter «Kontrafunk» entstehen ärgerliche Kosten, denn viele der geplanten Veranstaltungen können so kurzfristig nicht ohne Schadenersatz abgesagt werden.

Natürlich bleibt die Frage, was die Stiftungspräsidentin plötzlich auf die Idee brachte, dass eine längst geplante und verabredete Veranstaltung plötzlich den Geschäftsbetrieb, den Ruf und gar die Sicherheit des Lilienberg gefährden könnte.

Stellte es sich heraus, dass unter den geladenen Gästen gesuchte Terroristen waren? Üble Systemfeinde, hetzende Rechtspopulisten, Rassisten, Sexisten? Einfach Schweinebacken, in deren Nähe sich kein anständiger Mensch und auch kein anständiges Tagungshotel blicken lassen möchte? Wäre der Lilienberg gar ein neuer Zimmerberg, Pardon, ein neues Zimmerwald geworden?

Hier muss eindeutig Gefahr im Verzug sein, müssen plötzlich schreckliche Geheimnisse von «Kontrafunk» oder einzelner Teilnehmer der Stiftungspräsidentin zur Kenntnis gebracht worden sein.

Als ebenfalls ausgeladener Gast interessierte es mich natürlich, darüber informiert zu werden, an welcher sicherheitsgefährdenden und rufschädigenden Versammlung ich beinahe teilgenommen hätte. Mich interessierte ebenfalls, welche Informationen Denise Rau denn dazu bewogen hatten, den Ruf des Lilienberg zu ramponieren und ihrem eigenen Leiter Programm ein hübsches Beispiel dafür zu liefern, wie die Cancel Culture Menschen und Meinungen diffamiert, das freie Denken gefährdet, «eine Grundlage unserer Demokratie».

Denn Meinungsfreiheit und freier Austausch von Meinungen sind doch wohl fundamental. Also hätte mich die Meinung von Rau brennend interessiert. Allerdings bekam meine höfliche Anfrage im Rahmen der Recherchen für diesen Artikel die mailwendende Antwort: «Ich darf Ihnen mitteilen, dass von unserer Seite her kein Interesse an einer Stellungnahme zu Ihrem Artikel besteht.»

Zur ruppigen Absage kommt nun noch eine Dialogverweigerung. Was wohl Walter Reist dazu gesagt hätte? Ob das Vollenweider, sollte er doch nicht kündigen, zum Anlass neuer Gedanken zu Toleranz und der Diffamierung von Menschen und Meinungen nimmt?

Auf jeden Fall sollte sich jeder Besucher des Lilienberg bewusst sein, dass sich hinter dem schönen Schein, der auf Hochglanz polierten Fassade und vielen hochgestochenen Worten die Geisteshaltung einer mittelalterlichen Inquisition verbirgt. Was für eine Schande, was für ein Elend, was für eine Heuchelei.

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