Während die EU die Sperrung russischer TV-Sender offiziell anordnet, verzichtet der Bundesrat darauf. Dennoch nehmen die meisten Schweizer Medienanbieter russische Sender aus dem Angebot. Damit verfallen sie dem Safe-Spaces-Unsinn.
Während aktuell landauf, landab über den Russland-Ukraine-Krieg geschrieben oder Form und Umfang der verfassungsmässigen Neutralität der Schweiz debattiert wird, ist ein zentrales Element der Sanktionspolitik vergleichsweise wenig im Fokus der medialen Berichterstattung: nämlich die weitgehende Sperrung russischer Medien in Europa – zumindest für all jene, welche die Sperre nicht mit ausländischen VPN oder ähnlichem leicht umgehen, womit sich wie bei vielen digitalen Regulierungen bereits von Vornherein die Wirksamkeitsfrage stellt. Hierzu ist es im Blätterwald doch eher ruhig.
Dabei sind die Massnahmen, welche die EU bereits Anfang März ergriffen hat, alles andere als non-invasiv. So hat diese sämtlichen Anbietern in der EU verboten, die russischen Kanäle Sputnik News und Russia Today weiterhin auszustrahlen. Damit soll vordergründig verhindert werden, dass die westliche Bevölkerung mit Putins ‚Hass und Propaganda‘ konfrontiert wird. Der Schweizer Bundesrat hat wohl nicht zuletzt aufgrund der Niederlage in der Februarabstimmung zur staatlichen Medienförderung, bei welcher die Bevölkerung staatliche Medienbevormundung deutlich abgelehnt hat, hingegen darauf verzichtet, jene EU-Sanktion in seine auf Art. 184 Abs. 3 BV und Art. 2 EmbG abgestützte Notverordnung aufzunehmen.
Dennoch sind die Sender auch in der Schweiz weitestgehend nicht verfügbar. Denn nicht nur die drei grössten TV-Anbieter Sunrise UPC, Swisscom und Salt, sondern auch diverse kleinere Fernsehgenossenschaften oder -körperschaften haben die besagten russischen Sender umgehend aus ihrem Programm entfernt. Rechtlich ist dies soweit unproblematisch, gilt doch – aus freiheitlicher Sicht zurecht – in einer mehr oder weniger freien Marktwirtschaft mit gutem Grund Vertragsfreiheit und Privatautonomie. Erst bei einer besonderen Marktmacht im Sinne eines Mono-, Duo- oder Tripols greift allenfalls das Kartellrecht und könnte das Vorgehen der drei grössten Medienakteure allenfalls einen Verstoss gegen Art. 7 Abs. 2 lit. a KG darstellen (Verweigerung von Geschäftsbeziehungen ohne sachlichen Grund). Bis heute kennt das Schweizer Kartellrecht aber keine Konsumentenklage und dass die russischen Staatssender in der Schweiz Klage einreichen, ist praktisch ausgeschlossen. Und nicht besonders mächtige Unternehmen geniessen ohnehin (zurecht) weitestgehende Freiheit.
Der vorliegende Beitrag bezweckt also keineswegs, die Freiheit Privater in der Marktwirtschaft zu hinterfragen. Der Markt soll regulieren und selektieren. Der Autor dieser Zeilen ist gewiss kein Anhänger der Corona-Politik der letzten zwei Jahre. Und dennoch hätte er nichts dagegen, wenn ein Lokal nach wie vor auf der Maskenpflicht bestünde; er würde jenes einfach in Zukunft nicht mehr frequentieren, um auf Basis privater Diskriminierung seinen Beitrag für seine Ideale zu leisten, ohne sich für deren Durchsetzung staatlichen Zwangs zu bedienen, der bei Lichte betrachtet (fast) nur in den engen Schranken des Gewaltmonopols zulässig ist (Vermeidung von Selbstjustiz und wenige damit zusammenhängende Hilfsaufgaben). In rechtlicher Hinsicht ist damit gegen das Verhalten der Schweizer Telekommunikationsanbieter kaum etwas einzuwenden, denn auch die marktmächtigen Sunrise UPC, Swisscom und Salt könnten sich wohl auf einen sachlichen Grund berufen (insbesondere drohende Reputationsschäden), um ihre bis auf Weiteres gültige Sendersperre zu rechtfertigen.
Gesellschaftlich, kulturell und (natur-)rechtsphilosophisch wirft jenes Vorgehen aber diverse Fragen auf. Wo sind wir denn eigentlich angelangt, wenn man seinen Mitmenschen – also eigenständigen Individuen – einen angeborenen freien Willen und die Fähigkeit zu kritischem Denken abspricht? Ist es einer offenen und freien Gesellschaft würdig, den Menschen von der Realität abzuschirmen? Sind Menschen, welche Safe Spaces, Trigger Warnings oder weiteren Unsinn benötigen, um nicht in ihren Gefühlen verletzt zu werden, überhaupt reif für das Leben? Sind neumoderne medizinische Diagnosen wie Belastungsstörungen – sowie deren zugrundeliegende Symptome wie Antriebslosigkeit, wobei sich wohl jeder schon einmal „antriebslos“ gefühlt hat – nicht ein Zeichen eigenverantwortungsfeindlicher, postmoderner Verweichlichung? Führt das ungeschriebene Verbot, Gefühle zu verletzen, nicht zu einer langfristigen Abschaffung eines freien wissenschaftlichen Diskurses, wie er jahrhundertelang als akademische Tradition verstanden wurde? Muss man sich nicht geradezu von der irrationalen Vorstellung, wonach das Leben ein Ponyhof sei, teilweise verabschieden, um kritisch denken sowie (staatliche und anderweitige) althergebrachte Machtstrukturen kritisch hinterfragen zu können? Ist es schlecht, wenn – wie dies am Stadtzürcher Gymnasium des Autors seinerzeit der Fall war – im Geschichtsunterricht Auszüge aus Hitlers „Mein Kampf“ gelesen werden, damit man erkennt, wie menschenverachtend der Sozialismus (brauner und roter Prägung) wirklich ist? Oder noch extremer: Wenn man den Menschen von der Realität abschirmen will – sollen staatliche Richter von der Pflicht entbunden werden, Videos von Gewaltdelikten selber ansehen zu müssen, bevor sie einen Beschuldigten verurteilen?
Es sind Fragen, über welche nachzudenken dringend nötig ist – auch wenn in den letzten zwei Jahren der Staat uns das Denken betreffend unseren eigenen Körper bzw. unsere eigene Gesundheit abnehmen wollte. Nachdenken führt in Bezug auf das aktuelle Kriegsgeschehen natürlich nicht zu einer Verherrlichung von Putin – darum soll es in diesem Beitrag auf keinen Fall gehen; ein ehemaliger KGB-Agent ist wohl nur in den seltensten Fällen ein guter und ethisch integrer Mensch. Es führt aber auch dazu, dass man beispielsweise erkennt, dass Angela Merkel ebenso eine DDR-politische Vergangenheit hat, nämlich als Kulturreferentin und Sekretärin der damaligen „Freien Deutschen Jugend“. Mitnichten kann man also behaupten, dass der EU-Komplex sich immer nur an den humanitären Werten von „Menschlichkeit und Solidarität“ – was auch immer das genau sein soll – orientiert. Durch kritisches Nachdenken ergibt sich ferner, dass Grossmachtpolitik im Allgemeinen noch nie zu einer Deeskalation von Konflikten geführt hat. Der Blick auf die russische wie auch westliche Kriegsrhetorik öffnet letztlich wieder den Blick auf die Notwendigkeit von Machtbegrenzung: Weniger Staat, weniger Krieg.
MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.