logo

Vorsorgliche Medienzensur

Sperrung russischer Medien: Angst vor der freien Kontroverse

Während die EU die Sperrung russischer TV-Sender offiziell anordnet, verzichtet der Bundesrat darauf. Dennoch nehmen die meisten Schweizer Medienanbieter russische Sender aus dem Angebot. Damit verfallen sie dem Safe-Spaces-Unsinn.

Artur Terekhov am 19. März 2022

Während aktuell landauf, landab über den Russland-Ukraine-Krieg geschrieben oder Form und Umfang der verfassungsmässigen Neutralität der Schweiz debattiert wird, ist ein zentrales Element der Sanktionspolitik vergleichsweise wenig im Fokus der medialen Berichterstattung: nämlich die weitgehende Sperrung russischer Medien in Europa – zumindest für all jene, welche die Sperre nicht mit ausländischen VPN oder ähnlichem leicht umgehen, womit sich wie bei vielen digitalen Regulierungen bereits von Vornherein die Wirksamkeitsfrage stellt. Hierzu ist es im Blätterwald doch eher ruhig.

Dabei sind die Massnahmen, welche die EU bereits Anfang März ergriffen hat, alles andere als non-invasiv. So hat diese sämtlichen Anbietern in der EU verboten, die russischen Kanäle Sputnik News und Russia Today weiterhin auszustrahlen. Damit soll vordergründig verhindert werden, dass die westliche Bevölkerung mit Putins ‚Hass und Propaganda‘ konfrontiert wird. Der Schweizer Bundesrat hat wohl nicht zuletzt aufgrund der Niederlage in der Februarabstimmung zur staatlichen Medienförderung, bei welcher die Bevölkerung staatliche Medienbevormundung deutlich abgelehnt hat, hingegen darauf verzichtet, jene EU-Sanktion in seine auf Art. 184 Abs. 3 BV und Art. 2 EmbG abgestützte Notverordnung aufzunehmen.

Dennoch sind die Sender auch in der Schweiz weitestgehend nicht verfügbar. Denn nicht nur die drei grössten TV-Anbieter Sunrise UPC, Swisscom und Salt, sondern auch diverse kleinere Fernsehgenossenschaften oder -körperschaften haben die besagten russischen Sender umgehend aus ihrem Programm entfernt. Rechtlich ist dies soweit unproblematisch, gilt doch – aus freiheitlicher Sicht zurecht – in einer mehr oder weniger freien Marktwirtschaft mit gutem Grund Vertragsfreiheit und Privatautonomie. Erst bei einer besonderen Marktmacht im Sinne eines Mono-, Duo- oder Tripols greift allenfalls das Kartellrecht und könnte das Vorgehen der drei grössten Medienakteure allenfalls einen Verstoss gegen Art. 7 Abs. 2 lit. a KG darstellen (Verweigerung von Geschäftsbeziehungen ohne sachlichen Grund). Bis heute kennt das Schweizer Kartellrecht aber keine Konsumentenklage und dass die russischen Staatssender in der Schweiz Klage einreichen, ist praktisch ausgeschlossen. Und nicht besonders mächtige Unternehmen geniessen ohnehin (zurecht) weitestgehende Freiheit.

Der vorliegende Beitrag bezweckt also keineswegs, die Freiheit Privater in der Marktwirtschaft zu hinterfragen. Der Markt soll regulieren und selektieren. Der Autor dieser Zeilen ist gewiss kein Anhänger der Corona-Politik der letzten zwei Jahre. Und dennoch hätte er nichts dagegen, wenn ein Lokal nach wie vor auf der Maskenpflicht bestünde; er würde jenes einfach in Zukunft nicht mehr frequentieren, um auf Basis privater Diskriminierung seinen Beitrag für seine Ideale zu leisten, ohne sich für deren Durchsetzung staatlichen Zwangs zu bedienen, der bei Lichte betrachtet (fast) nur in den engen Schranken des Gewaltmonopols zulässig ist (Vermeidung von Selbstjustiz und wenige damit zusammenhängende Hilfsaufgaben). In rechtlicher Hinsicht ist damit gegen das Verhalten der Schweizer Telekommunikationsanbieter kaum etwas einzuwenden, denn auch die marktmächtigen Sunrise UPC, Swisscom und Salt könnten sich wohl auf einen sachlichen Grund berufen (insbesondere drohende Reputationsschäden), um ihre bis auf Weiteres gültige Sendersperre zu rechtfertigen.

Gesellschaftlich, kulturell und (natur-)rechtsphilosophisch wirft jenes Vorgehen aber diverse Fragen auf. Wo sind wir denn eigentlich angelangt, wenn man seinen Mitmenschen – also eigenständigen Individuen – einen angeborenen freien Willen und die Fähigkeit zu kritischem Denken abspricht? Ist es einer offenen und freien Gesellschaft würdig, den Menschen von der Realität abzuschirmen? Sind Menschen, welche Safe Spaces, Trigger Warnings oder weiteren Unsinn benötigen, um nicht in ihren Gefühlen verletzt zu werden, überhaupt reif für das Leben? Sind neumoderne medizinische Diagnosen wie Belastungsstörungen – sowie deren zugrundeliegende Symptome wie Antriebslosigkeit, wobei sich wohl jeder schon einmal „antriebslos“ gefühlt hat – nicht ein Zeichen eigenverantwortungsfeindlicher, postmoderner Verweichlichung? Führt das ungeschriebene Verbot, Gefühle zu verletzen, nicht zu einer langfristigen Abschaffung eines freien wissenschaftlichen Diskurses, wie er jahrhundertelang als akademische Tradition verstanden wurde? Muss man sich nicht geradezu von der irrationalen Vorstellung, wonach das Leben ein Ponyhof sei, teilweise verabschieden, um kritisch denken sowie (staatliche und anderweitige) althergebrachte Machtstrukturen kritisch hinterfragen zu können? Ist es schlecht, wenn – wie dies am Stadtzürcher Gymnasium des Autors seinerzeit der Fall war – im Geschichtsunterricht Auszüge aus Hitlers „Mein Kampf“ gelesen werden, damit man erkennt, wie menschenverachtend der Sozialismus (brauner und roter Prägung) wirklich ist? Oder noch extremer: Wenn man den Menschen von der Realität abschirmen will – sollen staatliche Richter von der Pflicht entbunden werden, Videos von Gewaltdelikten selber ansehen zu müssen, bevor sie einen Beschuldigten verurteilen?

Es sind Fragen, über welche nachzudenken dringend nötig ist – auch wenn in den letzten zwei Jahren der Staat uns das Denken betreffend unseren eigenen Körper bzw. unsere eigene Gesundheit abnehmen wollte. Nachdenken führt in Bezug auf das aktuelle Kriegsgeschehen natürlich nicht zu einer Verherrlichung von Putin – darum soll es in diesem Beitrag auf keinen Fall gehen; ein ehemaliger KGB-Agent ist wohl nur in den seltensten Fällen ein guter und ethisch integrer Mensch. Es führt aber auch dazu, dass man beispielsweise erkennt, dass Angela Merkel ebenso eine DDR-politische Vergangenheit hat, nämlich als Kulturreferentin und Sekretärin der damaligen „Freien Deutschen Jugend“. Mitnichten kann man also behaupten, dass der EU-Komplex sich immer nur an den humanitären Werten von „Menschlichkeit und Solidarität“ – was auch immer das genau sein soll – orientiert. Durch kritisches Nachdenken ergibt sich ferner, dass Grossmachtpolitik im Allgemeinen noch nie zu einer Deeskalation von Konflikten geführt hat. Der Blick auf die russische wie auch westliche Kriegsrhetorik öffnet letztlich wieder den Blick auf die Notwendigkeit von Machtbegrenzung: Weniger Staat, weniger Krieg.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Artur Terekhov

MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.