logo

Zur China-Affäre am Zürichsee

Stadtpräsident Martin Stöckling: «Niemand wurde um seine Rechte geprellt»

Beim Landverkauf an chinesische Firmen schrillen bei vielen die Alarmglocken. Der Fall aus Rapperswil-Jona machte in den letzten Tagen weit über die Stadtgrenzen Schlagzeilen. Stadtpräsident Martin Stöckling erklärt den Verkauf aus seiner Sicht.

Michel Bossart am 05. April 2023

Im Stadtteil Jona verkaufte der Stadtrat vor zwei Jahren ein 2000 Quadratmeter grosses Grundstück. So weit so unspektakulär. Doch bei der Käuferin handelt es sich mit der Sinoswiss Holding AG um eine Firma in chinesischem Besitz, die auf dem Grundstück – in unmittelbarer Nähe zur Fachhochschule OST – ein «Innovation Center» errichten will. In gewohnt polemischer Manier griff Verleger Bruno Hug das Thema auf seinem Portal Linth24 auf und findet den Deal «rundum faul» und dass er «stinkt». Sein Hauptvorwurf: Das Volksmitspracherecht beim Landverkauf wurde unterlaufen.

Doch Hug ist bei weitem nicht der Einzige, bei dem dieser «Hinterzimmer-Deal» Unbehagen auslöst: Hanspeter Raetzo, ehemaliger städtischer SP-Präsident hat beim Kanton eine Beschwerde eingereicht. Ihm stösst sauer auf, dass der Verkauf für 2,4 Millionen Franken abgewickelt wurde, der Verkehrswert des Grundstücks aber unter der Schwelle von 2 Millionen Franken gelegen haben sollte, so dass der Kaufvertrag nicht dem fakultativen Referendum unterstellt werden musste. Auch Kantonsrat Andreas Bisig (GLP) hat die Angelegenheit aufgegriffen und will von der Regierung mit einer einfachen Anfrage wissen, inwieweit diese selbst in dieses Geschäft involviert war und wie sie die Gefahr einschätze, dass unerlaubt Wissen und Technologien von Start-ups vom Zürichsee ins Reich der Mitte transferiert werden.

«Die Ostschweiz» hat bei Stadtpräsident Martin Stöckling (FDP) nachgefragt und wollte von ihm seine Sicht auf das Verkaufsgeschäft in Erfahrung bringen.

Herr Stöckling, hätten Sie mit so viel Widerstand und Kritik am Stadtrat gerechnet?

Wir haben den Vertrag mit Sinoswiss im Jahr 2021 abgeschlossen. Inzwischen sind zwei Jahre vergangen, während derer sich die globalen Rahmenbedingungen in eine durchwegs ungünstige Richtung entwickelt haben. Die Wahrnehmung von China hat sich klar verschlechtert. Die kritische Aufnahme in der Bevölkerung und in den Medien überrascht mich daher aus heutiger Sicht nicht. Dass der Landverkauf kritisiert wird, gehört auch zu einer normalen politischen Debatte. Überrascht hat mich hingegen, dass diverse Medien schwere Vorwürfe unkritisch als Fakten übernahmen, ohne dass ich beziehungsweise die Stadt Stellung dazu nehmen konnte. So entstand das Bild, wir hätten die Bevölkerung um die Volksrechte oder Einspruchsrechte geprellt, was schlicht falsch und tatsachenwidrig ist. Und dass ich mich von Nationalrätin Jaqueline Badran auf Twitter als «dumme Nuss» beschimpft lassen muss, hat mich verwundert und befremdet.

Am meisten scheinen die Kritiker darüber verärgert zu sein, dass der Handel unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Können Sie den Unmut darüber nachvollziehen?

Der Stadtrat war der Überzeugung, dass wir mit China auch dann Handel betreiben müssen, wenn wir mit der Politik des Landes nicht einverstanden sind. Wir sind in vielen Bereichen davon abhängig. Deshalb haben wir Hand geboten zum Landverkauf, mit Blick auf die Chance, für die lokale, regionale und überregionale Wirtschaft wertvolle Impulse zu generieren und für Unternehmen den Zugang zum chinesischen Markt zu erleichtern. Das kann man selbstverständlich anders beurteilen und durchaus auch kritisieren.

Eine grobe Unterstellung ist allerdings der Vorwurf, wir hätten den Landverkauf geheim halten wollen, um die Bevölkerung um ihre politischen Rechte zu prellen. Bei der Übertragung des Grundstücks stellte sich zunächst die Fragen nach einer Bewilligungspflicht nach der Lex Koller. Dieser Entscheid lag erst im Februar 2022 vor. Sodann ist die Wirksamkeit des Kaufvertrags an eine Baubewilligung gebunden. Daher war eine öffentliche Kommunikation erst im Zusammenhang mit dem Baugesuch vorgesehen. Das ist der richtige Zeitpunkt, da das Baugesuch publiziert und aufgelegt werden muss, womit sich erst die Möglichkeit von Einsprachen ergibt. Vorher hatte die Bevölkerung keine Gelegenheit, Einfluss zu nehmen, weil der Verkauf des Grundstücks in der abschliessenden Kompetenz des Stadtrats liegt.

Wie oft werden in Rapperswil-Jona Deals in ähnlicher Grössenordnung abgeschlossen?

Solche Projekte gehören in einer Stadt wie Rapperswil-Jona nicht zum Tagesgeschäft und kommen höchstens alle paar Jahre vor. Die Fragestellung mit China tauchte zudem erstmalig auf. Aus diesem Grund haben wir auch bei verschiedenen Stellen Unterstützung angefragt, so zum Beispiel bei der Wirtschaftsförderung des Kantons.

Denken Sie, dass die Kritik am Landverkauf hauptsächlich sinophobischer Natur ist?

Ich denke, dass viele Menschen China aufgrund der staatlichen Politik zunehmend kritisch bis ablehnend gegenüberstehen. Das kann ich verstehen. Das Konzept «Wandel durch Handel» hat sich als Illusion entpuppt. Da ist eine Ernüchterung eingetreten, die auch mich ergriffen hat. Aber dennoch können wir die Handelsbeziehungen zu China nicht einfach abbrechen, wenn wir uns nicht selbst schaden wollen. Wie wir mit dieser Problematik umgehen sollen, ist eine schwierige Frage, die uns in Zukunft wohl noch stark beschäftigen wird.

Hat die sofortige Freistellung des Stadtschreibers Reto Rudolf Ende März etwas mit diesem «China-Deal» zu tun?

Nein.

Im Nachhinein: Muss sich der Stadtrat in dieser Angelegenheit Vorwürfe gefallen lassen oder würde er bei einer nächsten Gelegenheit wieder genauso vorgehen?

Ihre Frage ist sehr hypothetisch, da sich die Geschichte ja niemals eins zu eins wiederholt. Im Nachhinein ist man jedenfalls immer klüger – zumal ja bereits zwei Jahre seit der Unterzeichnung des Kaufvertrags verstrichen sind und sich die politische Grosswetterlage unterdessen recht dramatisch geändert hat.

Einige Highlights

Uzwilerin mit begrenzter Lebenserwartung

Das Schicksal von Beatrice Weiss: «Ohne Selbstschutz kann die Menschheit richtig grässlich sein»

am 11. Mär 2024
Im Gespräch mit Martina Hingis

«…und das als Frau. Und man verdient auch noch Geld damit»

am 19. Jun 2022
Das grosse Gespräch

Bauernpräsident Ritter: «Es gibt sicher auch schöne Journalisten»

am 15. Jun 2024
Eine Analyse zur aktuellen Lage

Die Schweiz am Abgrund? Wie steigende Fixkosten das Haushaltbudget durcheinanderwirbeln

am 04. Apr 2024
DG: DG: Politik

«Die» Wirtschaft gibt es nicht

am 03. Sep 2024
Gastkommentar

Kein Asyl- und Bleiberecht für Kriminelle: Null-Toleranz-Strategie zur Sicherheit der Schweiz

am 18. Jul 2024
Gastkommentar

Falsche Berechnungen zu den AHV-Finanzen: Soll die Abstimmung zum Frauenrentenalter wiederholt werden?

am 15. Aug 2024
Gastkommentar

Grenze schützen – illegale Migration verhindern

am 17. Jul 2024
Sensibilisierung ja, aber…

Nach Entführungsversuchen in der Ostschweiz: Wie Facebook und Eltern die Polizeiarbeit erschweren können

am 05. Jul 2024
Pitbull vs. Malteser

Nach dem tödlichen Übergriff auf einen Pitbull in St.Gallen: Welche Folgen hat die Selbstjustiz?

am 26. Jun 2024
Politik mit Tarnkappe

Sie wollen die angebliche Unterwanderung der Gesellschaft in der Ostschweiz verhindern

am 24. Jun 2024
Paralympische Spiele in Paris Ende August

Para-Rollstuhlfahrerin Catherine Debrunner sagt: «Für ein reiches Land hinkt die Schweiz in vielen Bereichen noch weit hinterher»

am 24. Jun 2024
Politik extrem

Paradox: Mit Gewaltrhetorik für eine humanere Gesellschaft

am 10. Jun 2024
Das grosse Bundesratsinterview zur Schuldenbremse

«Rechtswidrig und teuer»: Bundesrätin Karin Keller-Sutter warnt Parlament vor Verfassungsbruch

am 27. Mai 2024
Eindrucksvolle Ausbildung

Der Gossauer Nicola Damann würde als Gardist für den Papst sein Leben riskieren: «Unser Heiliger Vater schätzt unsere Arbeit sehr»

am 24. Mai 2024
Zahlen am Beispiel Thurgau

Asylchaos im Durchschnittskanton

am 29. Apr 2024
Interview mit dem St.Galler SP-Regierungsrat

Fredy Fässler: «Ja, ich trage einige Geheimnisse mit mir herum»

am 01. Mai 2024
Nach frühem Rücktritt: Wird man zur «lame duck»?

Exklusivinterview mit Regierungsrat Kölliker: «Der Krebs hat mir aufgezeigt, dass die Situation nicht gesund ist»

am 29. Feb 2024
Die Säntis-Vermarktung

Jakob Gülünay: Weshalb die Ostschweiz mehr zusammenarbeiten sollte und ob dereinst Massen von Chinesen auf dem Säntis sind

am 20. Apr 2024
Neues Buch «Nichts gegen eine Million»

Die Ostschweizerin ist einem perfiden Online-Betrug zum Opfer gefallen – und verlor dabei fast eine Million Franken

am 08. Apr 2024
Gastkommentar

Weltweite Zunahme der Christenverfolgung

am 29. Mär 2024
Aktionswoche bis 17. März

Michel Sutter war abhängig und kriminell: «Ich wollte ein netter Einbrecher sein und klaute nie aus Privathäusern»

am 12. Mär 2024
Teuerung und Armut

Familienvater in Geldnot: «Wir können einige Tage fasten, doch die Angst vor offenen Rechnungen ist am schlimmsten»

am 24. Feb 2024
Naomi Eigenmann

Sexueller Missbrauch: Wie diese Rheintalerin ihr Erlebtes verarbeitet und anderen Opfern helfen will

am 02. Dez 2023
Best of 2023 | Meine Person des Jahres

Die heilige Franziska?

am 26. Dez 2023
Treffen mit Publizist Konrad Hummler

«Das Verschwinden des ‘Nebelspalters’ wäre für einige Journalisten das Schönste, was passieren könnte»

am 14. Sep 2023
Neurofeedback-Therapeutin Anja Hussong

«Eine Hirnhälfte in den Händen zu halten, ist ein sehr besonderes Gefühl»

am 03. Nov 2023
Die 20-jährige Alina Granwehr

Die Spitze im Visier - Wird diese Tennisspielerin dereinst so erfolgreich wie Martina Hingis?

am 05. Okt 2023
Podcast mit Stephanie Stadelmann

«Es ging lange, bis ich das Lachen wieder gefunden habe»

am 22. Dez 2022
Playboy-Model Salomé Lüthy

«Mein Freund steht zu 100% hinter mir»

am 09. Nov 2022
Neue Formen des Zusammenlebens

Architektin Regula Geisser: «Der Mensch wäre eigentlich für Mehrfamilienhäuser geschaffen»

am 01. Jan 2024
Podcast mit Marco Schwinger

Der Kampf zurück ins Leben

am 14. Nov 2022
Hanspeter Krüsi im Podcast

«In meinem Beruf gibt es leider nicht viele freudige Ereignisse»

am 12. Okt 2022
Stölzle /  Brányik
Autor/in
Michel Bossart

Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).

Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.