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Volksschule

Stefan Köllikers Ideen zur Bekämpfung des Lehrermangels sind umstritten

Am Bildungstag hat der St.Galler Bildungsminister Stefan Kölliker am Wochenende Ideen präsentiert, um dem Lehrermangel entgegenzuwirken. Der Rorschacher Schulratspräsident Guido Etterlin und Emil Wick, Schulleiter in Mörschwil, sind skeptisch - auch gegenüber dem Vorgehen des Regierungsrats.

Astrid Nakhostin am 15. September 2023

Am Bildungstag in St.Gallen hat Regierungspräsident und Bildungsminister Stefan Kölliker am Wochenende Ideen präsentiert, um dem Mangel an Lehrpersonen entgegenzuwirken. Zur Entlastung der Lehrkräfte schlägt er Unterrichtsblockzeiten von 8 bis 13 Uhr vor, mit fördernden, ergänzenden Angeboten nachmittags, oder eine Erhöhung der Schulwochen von 39 auf 41, vor. Alternativ könnten die Schulwochen seiner Meinung nach auch um eine, also auf 38, reduziert werden, was den Lehrkräften mehr Zeit für die Unterrichtsvorbereitung gäbe.

Guido Etterlin

Guido Etterlin, Stadtrat und Schulratspräsident Rorschach.

«Die Ostschweiz» hat dazu den Rorschacher Schulratspräsidenten Guido Etterlin und den Mörschwiler Schulleiter Emil Wick befragt. Beide stehen den Vorschlägen des Regierungspräsidenten skeptisch gegenüber und sehen andere Ansätze, um den Lehrberuf wieder attraktiver zu machen.

«Unausgereifte Lösungsversuche»

Der Rorschacher Schulratspräsident Guido Etterlin hält die Vorschläge von Stefan Kölliker für «unausgereifte Lösungsversuche, die wenig durchdacht und leider nicht mit den wichtigen Akteuren im Bildungswesen abgestimmt wurden». Die Vorschläge am Bildungstag seien ein Alleingang des Bildungschefs. «Pikant» sei, dass der ihm zur Seite stehende kantonale Bildungsrat offensichtlich nicht informiert gewesen sei.

Guido Etterlin fragt sich, ob der noch amtierende Regierungsrat bei seinen Ideen, insbesondere bei der neu vorgeschlagenen Unterrichtsblockzeit von 8 bis 13 Uhr, auch an die Kinder gedacht habe: «Aktuell dauern die Blockzeiten für Kindergartenkinder im zweiten Jahr und für die Schülerinnen und Schüler der Primarstufe von 8.00 bis 11.40 Uhr.

«Erfahrungsgemäss sind vier Lektionen für die jüngeren Kinder wirklich anstrengend, und ich kann mir nicht vorstellen, wie wir sie bis 13 Uhr sinnvoll unterrichten sollen, ausser wir würden eigentliche Tagesschulen bauen, wo der Rhythmus dann aber komplett anders wäre», so Guido Etterlin.

«Der Respekt vor der Expertise der Lehrpersonen hat abgenommen»

Auch eine Erhöhung der Anzahl Unterrichtswochen von 39 auf 41 und die damit verbundene Umverteilung des Pflichtpensums auf zwei zusätzliche Wochen sei für die Belastung der Lehrpersonen «nicht matchentscheidend». Diese würden dann zwar um eine Lektion pro Woche entlastet werden, welche dann aber in den beiden zusätzlichen Unterrichtswochen kompensiert werden würde.

Um dem Mangel an pädagogischen Fachkräften entgegenzuwirken und den Lehrerberuf wieder attraktiver zu machen, bräuchte es nach Meinung von Guido Etterlin andere Massnahmen: Zum einen müsse der Lehrberuf als solcher aufgewertet werden, denn der Respekt vor der Expertise der Lehrperson habe in den letzten Jahren abgenommen.

Zum anderen müsse auch die Konkurrenzfähigkeit der Anstellungsbedingungen sowie die zeitliche Entlastung der Lehrkräfte für die neben dem Unterrichten wichtigen Berufstätigkeiten angestrebt werden. So wandern in den Grenzgebieten zum Kanton Zürich Lehrpersonen systematisch ab.

Hinzu kommt, dass die Nachbarkantone eine viermonatige Kündigungsfrist haben und der Kanton St. Gallen drei Monate. In der Praxis hat das zur Folge, dass im Kanton St. Gallen Lehrpersonen noch einen Monat länger abgeworben werden können. Ausserdem wünscht sich Guido Etterlin, dass es wieder mehr männliche Lehrpersonen in diesem stark feminisierten Beruf gäbe – wobei er damit keineswegs die grossen Leistungen der Pädagoginnen abwerten möchte.

Aber das System Schule lebe von einer guten Balance. Zu guter Letzt sei auch die Pädagogische Hochschule gefordert. Sie müsse einen Weg finden, viel mehr Studierende auszubilden.

Entlastungsfaktor Teamzusammenarbeit

In der Schule Rorschach gibt es im Moment keine Vakanzen. Einfach sei dies nicht gewesen und habe einen Kraftakt der Schulleitungen in den Monaten Mai und Juni erfordert, so Etterlin. Dass alle Stellen zum Schulbeginn besetzt werden konnten, führt der Schulratspräsident auf eine seit 20 Jahren erfolgreiche pädagogische Schulentwicklung zurück.

Das Schulsystem in Rorschach sei zwar anspruchsvoll aber auch attraktiv - insbesondere in Hinblick auf die ausgereiften pädagogischen Konzepte und das interdisziplinäre Zusammenwirken im Team, was einen hohen Entlastungsfaktor mit sich bringe.

Emil Wick

Emil Wick, Schulleiter Schulgemeinde Mörschwil.

Auch in der Schule Mörschwil konnten in diesem Jahr alle Stellen besetzt werden. Schulleiter Emil Wick merkt an, dass weniger Bewerbungen auf Ausschreibungen eingingen als bisher, und einzelne Stellen relativ lange ausgeschrieben werden mussten, bis geeignete Bewerbende gefunden wurden. Dass Mörschwil bei den Lehrkräften begehrt ist, führt er unter anderem darauf zurück, dass die Schulgemeinde versucht, auf die individuellen Bedürfnisse der Lehrpersonen, insbesondere den gewünschten Arbeitsumfang, einzugehen.

Den von Stefan Kölliker in den Raum gestellten Blockzeiten von 8 bis 13 Uhr steht Emil Wick ähnlich skeptisch gegenüber wie Guido Etterlin: «Gerade die jüngeren Kinder sind schon jetzt nach der letzten Lektion um 11.45 Uhr müde, und ich bezweifle, dass bei einer Verlängerung bis 13 Uhr noch der nötige Lerneffekt erzielt werden kann. Wir möchten in den Präsenzzeiten einen Lernfortschritt erzielen und nicht einfach `Hüteaufgaben‘ erfüllen». In der Oberstufe würde das allenfalls anders aussehen.

Eine Ermüdung der Kinder stelle man im Schulalltag generell auch nach jeweils sieben bis acht Unterrichtswochen fest und die bisherige Ferienaufteilung habe sich insgesamt bewährt. Dies spreche aus seiner Sicht gegen eine Verlängerung der Unterrichtswochen auf 41.

Abwanderung von ausgebildeten Lehrkräften vermeiden

Auch eine generelle Reduktion der Unterrichtswochen von 39 auf 38 ergibt für ihn wenig Sinn. «Die Arbeitsbelastung während der 39 Unterrichtswochen ist insbesondere für die Klassenlehrerinnen und -lehrer sehr hoch, da sie für Arbeiten rund um die Klasse, Absprachen im Klassenteam und auch Gespräche mit den Eltern führen müssen. Für sie wäre eine Reduktion der Unterrichtszeit, beziehungsweise ein zusätzliches Zeitgefäss während der Unterrichtswochen nötig, damit sie sich solchen Aufgaben besser widmen können», findet der Mörschwiler Schulleiter.

Um dem generellen Mangel an Lehrkräften entgegenzuwirken, müsse man nach Meinung von Emil Wick die bereits tätigen Pädagoginnen und Pädagogen «bei Laune» halten und versuchen, eine Abwanderung zu vermeiden. In Mörschwil habe sich dazu bewährt, ansprechende Arbeitsbedingungen und Pensen zu schaffen, Intensivweiterbildungen und Zusatzausbildungen zu ermöglichen und, wenn immer möglich, auf Wünsche nach unbezahltem Urlaub einzugehen.

Revision Volksschulgesetz in der nächsten Legislaturperiode

Welche der Ideen von Stefan Kölliker dann tatsächlich zum Tragen kommen, wird sich bei der Totalrevision des Volksschulgesetzes in der nächsten Legislaturperiode zeigen. Mit einer Verabschiedung dieses Gesetzes wird in zwei bis drei Jahren gerechnet.

(Bilder: Archiv, PD)

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Autor/in
Astrid Nakhostin

Astrid Nakhostin (1959), freischaffende Journalistin, hat Betriebswirtschaftslehre studiert und war 26 Jahre lang als Marketingleiterin bei St.Gallen-Bodensee Tourismus tätig. Die letzten fünf Jahre gehörte sie dem Redaktionsteam des Swissregio Media Verlags an, zuletzt als Redaktionsleiterin der Bodensee Nachrichten.

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