Ist es verantwortungslos, Kinder zu bekommen? Und noch mehr, sie fremdbetreuen zu lassen? Was bedeutet es, eine Frau in den 30ern zu sein? Die St.Galler Autorin Laura Vogt weiss, wovon sie schreibt. Wie sie mit Konflikten der heutigen Zeit umgeht, erklärt sie im Gespräch.
Laura Vogt, Sie wagen sich mit Ihrem neuen Buch an die Gefühlswelt von Frauen in den 30ern. Wie schwierig ist es, ein solches Thema in eine Geschichte zu packen?
Als Autorin empfinde ich es immer als eine schöne Herausforderung, mich in eine Figur hineinzuversetzen, egal, welches Alter sie hat. Dafür braucht es viel Zeit, Recherche und Aufmerksamkeit. Wenn ich damit beginne, an einem Roman zu arbeiten, konzentriere ich mich vorerst auf die Entwicklung der Hauptfiguren. In meinem neuen Roman «Die liegende Frau» sind das Romi, Szibilla und Nora.
Und wie gehen Sie vor?
Ich schreibe dann einfach darauf los, quasi aus ihnen heraus. Meist sind das Texte, die ich nachher wieder verwerfe – sie dienen nur dazu, an die Figur und ihre Lebenswelt heranzukommen, sie greifbar zu machen und zu erfahren, was sie beschäftigt. Als ich «Die liegende Frau» schrieb, war ich selbst im Alter meiner Hauptfiguren und ihre Themen haben auch mich umgetrieben. Insofern war es für mich wohl einfacher, mich Frauen in ihren 30ern zu anzunehmen.
Sie greifen in Ihrem Buch die Fragen auf, was Freiheit bedeutet – und was Verantwortung. Haben Sie für sich eine Antwort gefunden? Und wie ändert sich diese im Laufe der Jahre?
Literatur wirft Fragen auf, umkreist diese, tastet sie ab – darum geht es mir primär. Die Antworten sind bezogen auf die Figuren und ihre Konflikte und Fragen sekundär. In meinem Roman stecken ganz viele unterschiedliche Antworten: Jede der drei Hauptfiguren tickt anders, betrachtet die Welt auf ihre Weise, und beantwortet daher auch dieselbe Frage individuell nochmals neu.
Das heisst?
Szibilla zum Beispiel findet es aus ökologischer Sicht verantwortungslos, Kinder zu bekommen. Romi, die schwanger ist und bereits ein Kind hat, sucht dem gegenüber nach ihrem Weg, eine verantwortungsvolle Mutter zu sein, und kommt zum Schluss, dass sie dies eben genau dann ist, wenn sie auch ihren eigenen Bedürfnissen nachgeht und nicht rein gesellschaftskonform handelt.
Mich kitzelt, nebenbei gesagt, immer auch die Ambivalenz, die für mich den Menschen – und damit auch meine Figuren – so spannend machen. Nach der jahrelangen Arbeit an einem Roman gehe ich verändert hervor, habe viel gelernt, aber noch mindestens genauso viele Fragen im Kopf.
Das Thema trifft bei Ihnen ja gerade zu. Wie gern sind Sie eine Frau in den 30ern?
Eine schwierige Frage! Ich kann mich gut an das etwas ungute Gefühl erinnern, kurz bevor ich meinen dreissigsten Geburtstag feierte. Ich hatte nicht den Eindruck, diesem Alter gewachsen zu sein, und fragte mich, weshalb. Ich merkte: Wenn ich an meine Mutter und andere Frauen ihrer Generation in dieser Zeit ihres Lebens dachte, hatten diese immer etwas Gesetztes für mich gehabt, etwas Eindeutiges. Vielleicht sehen alle Kinder ihre Eltern so: gesetzt.
Sie hatten ein anderes Gefühl.
Meine Freundinnen und ich fühlten uns mit 30 weitaus jünger. Und das hat möglicherweise damit zu tun, dass wir mit dem Privileg aufgewachsen sind, viele Entscheidungsmöglichkeiten in Bezug auf unsere Zukunft zu haben: Es ist einfacher geworden, als Frau kinderlos zu bleiben, es gibt die Ehe für alle oder man bleibt gleich ehelos, die Berufswelt ist etwas offener geworden, Mutterschaft kann neu gedacht werden.
Gibt es auch etwas, was Sie am Frau-Sein nervt?
Auch wenn manchmal anderes behauptet wird: Die Gleichstellung zwischen Männern und Frauen* ist noch lange nicht vollzogen. Frauen verdienen im Schnitt noch immer weniger als ihre männlichen Kollegen, sind öfters von Belästigung und Diskriminierung betroffen, übernehmen weitaus mehr Care-Arbeit. Da gibt es noch viel zu tun!
Und im umgekehrten Fall: Was freut Sie so richtig?
Die Solidarität in Frauenfreundschaften, die spüre auch ich in meinen Freundschaften täglich. Dieser Zusammenhalt ist für mich mit nichts vergleichbar. Und diese Solidarität wächst!
Wären Sie gerne für eine gewisse Zeit ein Mann?
Nein, eigentlich nicht. Aber ich spreche sehr gerne mit meinem Bruder oder mit meinen Freunden übers Mann-Sein und finde es interessant, wie Männer ihre Rolle neu auszufüllen versuchen. Ich hoffe ja, dass die Kategorien Mann-Frau irgendwann nicht mehr schwarz-weiss gedacht werden, sondern grau. Oder besser noch: bunt!
Das Rollenbild einer Frau ändert sich ständig. War es früher einfacher, als eine Frau «nur» Mutter sein musste – oder ist das ein verklärtes Bild?
Natürlich ist es eine Herausforderung, alles unter einen Hut zu bekommen, wenn beide Elternteile berufstätig sind. Der Vater meiner Kinder und ich vergleichen fast täglich unsere Agenden, müssen Absprachen treffen, Kinderhüte finden, und so weiter. Dieser Koordinationsaufwand war vor dreissig, fünfzig Jahren nicht zu leisten, weil die Organisation an einer einzigen Person hing – meist an der Mutter. Ob das besser war? Klar ist: Frauen hatten damals sehr viel weniger Möglichkeiten. Und überhaupt – wer hatte schon das Privileg, «nur» Mutter zu sein? Meine Grosseltern beispielsweise führten einen kleinen Bauernhof, auf dem alle arbeiten mussten. Ich glaube, meine Grossmutter ist bei all der Verantwortung immer wieder an ihre Grenzen gekommen.
Sie haben keine eindeutige Antwort?
Sie stellen eine grosse Frage, die den Rahmen dieses Interviews sprengt! Mir ist es aber wichtig, noch zu betonen, dass es nicht «die» richtige Lebensweise gibt. Darum geht es auch in «Die liegende Frau». Heute gibt es mehr Möglichkeiten, ein Leben zu gestalten, aber es gibt noch immer viele gesellschaftliche Sanktionen. Arbeitet eine Frau zu 100 Prozent, gilt sie als Rabenmutter. Betreut eine Frau ihre Kinder zu 100 Prozent, gilt sie als konservativ – jetzt mal plakativ gesagt. Daher plädiere ich auch hier für Solidarität, und für Dialog!
Wie sind Sie eigentlich auf das Thema gestossen?
Die Themen von «Die liegende Frau» haben schon seit ein paar Jahren in mir gearbeitet. Beziehungen, Familie, Prägungen haben mich auch in meinen ersten zwei Romanen beschäftigt. Mit meinem dritten Buch bin ich, wie ich finde, noch einen Schritt weiter gegangen.
Bild: Ayse Yavas
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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