Wir sollen Minderheiten stärken, indem wir ihnen dieselben Rechte geben, aber auch dieselben Pflichten auferlegen.
Diskriminierung gehört nicht in eine moderne, zivilisierte und mit durchdachten Regeln und Gesetzen geformte Welt. Seit Anbeginn wird diskriminiert. Leidtragende der Diskrimierung sind meistens Minderheiten, die infolge der geringeren Anzahl schwächer sind, leiser sind, weniger Stimmen haben.
Entsprechend ist es unsere Pflicht, als respektvolle und verantwortungsvolle Bürger, nicht zu diskriminieren. Wir sollen Minderheiten stärken, indem wir dieselben Rechte geben, aber auch dieselben Pflichten auferlegen. So kann eine Minderheit erblühen, an der Zahl zunehmen und zu einem gewichtigen Teil der Gesellschaft werden. In gegenseitigem Respekt bitte – wohlgemerkt.
Diese Veränderung vom Kleinen ins Grosse existiert auch umgekehrt: Vom Grossen ins Kleine. Einstmals grosse Anteile einer Bevölkerung schrumpfen und bleiben als Minderheit zurück. Eine solche Veränderung geschieht auch in der Stadt St. Gallen. Und das jüngst im Parlament diskutierte Thema des «Mittagstischangebots für die Oberstufe» zeigte dies nur zu gut:
Unsere Gesellschaft verändert sich. Immer mehr Eltern arrangieren sich damit, dass beide arbeiten gehen und die Kinder mit Fremdangeboten beschäftigt werden. Auch dann, wenn es aus wirtschaftlicher Sicht nicht notwendig wäre. Schon heute investiert die Stadt jährlich Millionen in ein Angebot, dass in einigen Jahren noch stärker florieren wird – nur schon alleine deshalb, weil die Kinder unserer Stadt heutzutage schon im Kindergarten und der Primarschule an eine Mittagsverpflegung ausserhalb von Zuhause angewöhnt werden.
Es handelt sich hierbei klar um eine gesellschaftliche Veränderung. Darum, dass Eltern den Fokus anderst setzen und darum, dass Kinder je länger je mehr schon früh aus dem familiären Thema wie dem gemeinsamen Essen herauswachsen. Solche gesellschaftlichen Veränderungen kann man nicht aufhalten. Im Gegenteil – sperrt man sich dagegen, verbaut man sich die Chance, eine attraktive Stadt zu bleiben.
Die Stadt St. Gallen muss und soll deshalb die Angebote für Kinder und Jugendliche im ausserfamiliären Umfeld weiter ausbauen und fördern. Alleine schon, um attraktiv zu bleiben. Ob diese Veränderung für die Gesellschaft – und die Kinder selbst – auf lange Sicht nur Gutes bringt, kann heute noch nicht beurteilt werden. Entsprechend sind wir alle in der Pflicht, ein wachsames Auge darauf zu werfen und verantwortungsvoll zu agieren.
Eine noch grössere Verantwortung ist es aber, sicherzustellen, dass niemand diskriminiert wird. Nämlich die Minderheiten.
Mit dieser gesellschaftlichen Veränderung erwächst nämlich eine neue Mehrheit, deren Kinder mehr Zeit ausserhalb des familiären Umfelds verbringen. Entsprechend schrumpft die Anzahl derjenigen Familien, die davon überzeugt sind, dass die Zusammenkunft über Mittag wichtig ist. Dass die Ansprechperson für die Kinder Mutter und/oder Vater sind. Dass die Bezugsperson optimalerweise auch Mutter oder Vater ist. Kurz: Eltern, die die naturgegebene Aufgabe, den Nachwuchs persönlich grosszuziehen, auch wirklich leben.
Wir müssen uns ermahnen, dass wir diese Eltern nicht diskriminieren. Auch dann nicht, wenn sie in einigen Jahren in der Minderheit sind. Auch dann nicht, wenn hundert Studien davon erzählen, wie gut Mittagstische sind. Und vor allem auch nicht im Lichte dessen, dass diese Eltern infolge ‚nur‘ eines Einkommens mit geringeren finanziellen Mitteln auskommen müssen, Steuern zahlen und mit diesem hart erarbeiteten Steuergeld die neue, gesellschaftliche Veränderung mit-finanziert wird.
Im Gegenteil, diesen Eltern gebührt Respekt für die persönliche Aufopferung für deren Kinder. Und es wäre nur zu Begrüssen, wenn der Staat diese Leistung und diese Dedizierung auch stärker würdigen würde.
Christian Neff (*1974) ist Gründer und Partner der Advice Online AG, einer Software-Firma für Banken und KMU. Der SVP-Stadtparlamentarier wohnt in St.Gallen.
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