Roger Bischof (Bild: zVg.)
Überfischte Meere, Haiarten, die vom Aussterben bedroht sind: Der St. Galler Roger Bischof arbeitet beim Verein Sharkproject. Er sagt: Die Chance, dass die meisten von uns ein Produkt, wofür Haie sterben mussten, im Badezimmerschrank haben, ist relativ gross.
Roger Bischof, in den Sommermonaten machten die Schlagzeilen über Haisichtungen an Stränden wieder die Runde. Wie sehr nervt es Sie inzwischen, wenn die Tiere oftmals als «menschenfressende Ungeheuer» dargestellt werden?
Es tut weh! Für mich ist es immer noch unverständlich, dass Haie nicht einfach als die Tiere gesehen werden können, die sie sind. Tiere, die in den Meeren zu Hause sind, die da hingehören, weil sie eine wichtige Funktion haben. Sicher, es sind Raubtiere, man muss sie nicht mögen, aber man sollte ihnen Respekt entgegenbringen – wie anderen Tieren auch.
Sie gehören dem Verein Sharkproject an. Vielen von uns sind Haie nicht so wichtig – schliesslich haben wir hier in der Schweiz kein Meer. Grund genug, das Thema von sich zu weisen. Weshalb ist es für Sie anders?
Ich liebe die Haie seit meiner Kindheit. Ich weiss nicht mehr genau, wie ich damals dazu gekommen bin, aber ich habe jedes Buch über Haie gelesen, das ich finden konnte. Erst viel später ist mir klar geworden, was mit diesen Tieren passiert und wie wichtig sie für das Ökosystem sind. Haie gehören zu den Schlüsselspezies – wie beispielsweise auch die Bienen. Das heisst, eine Dezimierung der Population bis hin zur Ausrottung hat gravierende Auswirkungen auf das ohnehin schon fragile Ökosystem in den Weltmeeren. Wenn man bedenkt, dass über 50 Prozent des Sauerstoffs in unserer Atemluft aus den Meeren kommen, betrifft die Problematik auch unmittelbar die Schweiz.
Roger Bischof (Bild: zVg.)
Gab es eine Begegnung oder ein Erlebnis mit einem Hai, welches Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Als Taucher hatte ich lange kein Glück, was Haisichtungen betrifft. Meistens hatte ich keine gesehen, oder wenn, dann dauerte die Begegnung nur wenige Sekunden, weil sie einfach vorbeigeschwommen sind. Besonders in Erinnerung bleibt mir aber die Begegnung mit Zitronenhaien. Es mögen 20 bis 30 Tiere gewesen sein, die um uns herumschwammen. Ziemlich schnell lernt man sie zu unterscheiden, und es offenbarten sich verschiedene Persönlichkeiten. Die Vorsichtigen, welche eher Abstand hielten, und die Neugierigen, die bis auf Berührdistanz an uns Taucher herankamen – tunlichst bedacht, uns eben nicht zu berühren. Dies hat mir bestätigt, was ich aus der Theorie bereits wusste: Haie sind von Natur aus scheu bis ängstlich, auch wenn einzelne Individuen mutiger oder frecher sind. Menschen gehören aber klar nicht ins Beuteschema der Haie, dafür sind wir aus Sicht der Haie schlicht zu gross und unberechenbar.
(Bild: Klaus Peter Harter)
Ihr Verein will auf die Missstände aufmerksam machen, den Hai in ein anderes Licht rücken. Mit welchen Vorurteilen und Irrtümern haben Sie – oder besser gesagt: die Tiere – am meisten zu kämpfen?
Beim Stichwort «Haie» haben leider immer noch viele Menschen das Bild des «menschenfressenden Ungeheuers» im Kopf. Dieses Image schürt im besten Fall Gleichgültigkeit, meistens aber Abscheu und Hass. Und wer will schon ein Tier schützen, das er/sie hasst? Dieses Image zu korrigieren, ist bis heute ein zentraler Bestandteil unserer Arbeit. In unseren Vorträgen – sehr gerne auch in Schulen aller Altersstufen – korrigieren wir alte Mythen und zeigen auf, wie ein Hai wirklich «funktioniert» und welche Bedeutung er im Ökosystem hat. Nur so wachsen das Verständnis und die Bereitschaft, sich für die Tiere einzusetzen.
Weshalb greifen Haie überhaupt Menschen an?
Haie greifen Menschen nicht bewusst an, wir gehören nicht ins Beuteschema. Es gibt aber gefährliche Situationen, welche zu einem Unfall führen können. Diese Unfälle lösen in den meisten Fällen nur leichte Verletzungen aus, können in seltenen Fällen allerdings auch zum Tod führen. Dies geschieht meist dann, wenn Arterien verletzt werden und der Verunfallte verblutet. Im langjährigen Schnitt gibt es etwa acht Todesfälle pro Jahr. So tragisch dies für die Betroffenen ist, diese Zahl unterstreicht die Tatsache, dass Haie Menschen nicht gezielt angreifen – bedenkt man die Abermillionen Wasserbewegungen des Menschen in den Meeren weltweit, seien es Badende, Taucher oder Surfer. Untersuchungen haben festgestellt, dass mehrere Bedingungen erfüllt sein müssen, damit die Gefahr eines Haiunfalls steigt. Dies können beeinträchtigtes Sehen oder Hören, Futter im Wasser oder auch Konkurrenzverhalten sein. Aber auch Konditionierung, indem Haie mit Futter angelockt werden, gehört dazu. Und leider immer öfter: mangelnder Respekt. Uns erreichen immer wieder Bilder von Tauchern, die die Haie an der Flosse ziehen. Irgendwann wehrt sich einer, aber die Schuld wird dem Hai zugeschrieben.
(Bild: Paul Munzinger)
Welche Aufgabe übernehmen Sie? Sind Ihre Tätigkeiten mehr im Büro oder sind Sie auch unterwegs an den Zielorten?
Meine Hauptaufgabe als Vorstandsmitglied von Sharkproject Switzerland liegt im Bildungsbereich. Konkret geht es um Vorträge für Erwachsene, Koordination der Referenten und Weiterentwicklung der Unterlagen. Auch hier arbeite ich zusammen mit einem länderübergreifenden Team. Schliesslich ist unsere Botschaft in Deutschland und Österreich dieselbe. Letztlich bin ich also in meiner Freizeit – alle Aktiven bei Sharkproject sind ehrenamtlich tätig – im Homeoffice, ausser natürlich, ich darf als Referent die Haie und Sharkproject vertreten, was ich auch schon im Ausland während meiner Ferien getan habe.
Weshalb ist es Ihnen wichtig, dass Sie sich für die Haie und den Umweltschutz engagieren?
In erster Linie ist es die Liebe zum Meer und zu dessen Bewohnern. Mich fasziniert es immer wieder, welche Lebensformen es in den unterschiedlichen Lebensräumen gibt. Jede einzelne Art – egal ob Fisch, Kopffüssler, Säugetier – ist optimal an die Umgebung angepasst und hat seine Funktion. Und diese Funktionen und das Zusammenspiel im Ökosystem sind äusserst wichtig. Wir verstehen noch lange nicht alle Zusammenhänge. Das marine Ökosystem ist sehr komplex und leider auch sehr fragil. Der Eingriff durch den Menschen kann es empfindlich und dauerhaft schädigen.
(Bild: Herbert Futterknecht)
Auf welche Meilensteine sind Sie besonders stolz?
Ich möchte für mich selbst keine besondere Leistung hervorheben. Jede und jeder, die/der bei uns aktiv ist, spielt eine wichtige Rolle, um den Haischutz lokal und weltweit voranzubringen. Das gesamte Team hat es geschafft, dass das Bewusstsein für den Haischutz über die Jahre gestiegen ist. Vom eingangs erwähnten «menschenfressenden Ungeheuer» hört man seltener, Berichte in den Medien werden ausgeglichener, und Meeresschutzthemen allgemein finden mehr Gehör. Die Richtung stimmt also, aber es bleibt noch viel zu tun.
Viele Haiarten sind inzwischen bedroht oder werden es demnächst sein. Was macht ihnen das Leben schwer? Womit haben sie am meisten zu kämpfen?
Haie leiden überproportional an der Überfischung, denn als Topräuber haben sie eine ganz andere Fortpflanzungsstrategie als Knochenfische. Sie werden erst spät geschlechtsreif, haben lange Schwangerschaften und bekommen nur relativ wenige Jungtiere. So kontrollieren sie ihre Population selbst. Durch den immensen Druck der industriellen Fischerei werden aber oftmals Haie vor der Geschlechtsreife gefangen. Selbst bei einem sofortigen Fangstopp würde es Jahrzehnte dauern, bis sich die Bestände erholen. Besonders gefährdet sind Hochseehaie, wie zum Beispiel Blauhaie und Makohaie, welche oft in der Fischtheke landen.
(Bild: Wolfram Koch)
Die Überfischung der Weltmeere ist ebenfalls ein Thema, das Sie beschäftigt. Welche Rolle nimmt die Schweiz ein?
Schweizerinnen und Schweizer verzehren pro Kopf rund neun Kilogramm Fisch pro Jahr. Das klingt erstmal nicht nach viel, gesamthaft reden wir aber von über 75 000 Tonnen Fisch pro Jahr, wovon rund 97 Prozent aus dem Ausland importiert werden. Wir sind also durchaus ein Teil des Problems. In Bezug auf den Hai spielen wir aber eine kleine Rolle, zumindest was den Fleischbedarf anbelangt. Es gibt allerdings beispielsweise auch Lederwaren – Gürtel, Portemonnaies, Uhrenarmbänder – aus Hai- und Rochenhaut. Und dann ist da noch das Squalen, welches vorwiegend aus der Leber von Tiefseehaien gewonnen wird. Squalen spielt in der Kosmetik- und der Pharmaindustrie eine wichtige Rolle. Die Chance, dass die meisten von uns ein Produkt, wofür Haie sterben mussten, im Badezimmerschrank haben, ist relativ gross.
Was kann jeder für den Schutz tun, damit es den Tieren und der Umwelt besser geht? Was würden Sie sich wünschen?
Dass jeder Einzelne von uns vorausschauender konsumiert. In Bezug auf Meerestiere kann ich den WWF-Fischratgeber empfehlen, den es auch als App zum Download gibt. Es ist nämlich nicht nur wichtig, welchen Fisch man isst, sondern auch, aus welcher Region er stammt und mit welcher Methode er gefangen wird. Zusätzlich gibt es auch Ökolabels, die einem Orientierung bieten, wobei diese Labels auch ihre Schwächen haben. Trotzdem sind sie besser als nichts. Was mir auch besonders am Herzen liegt, ist die Entsorgung von Plastik. Dass dies in der Schweiz nicht geregelt ist, ist eine Schande! Glücklicherweise ist es aber dank regionaler und privater Initiativen trotzdem möglich, Plastik getrennt zu sammeln und abzugeben. Im Alltag gibt es zudem viele Möglichkeiten, auf Plastik zu verzichten.
Welches Projekt wird Sie in den nächsten Wochen und Monaten besonders beschäftigen?
Derzeit sind wir dabei, unsere Vorträge für Erwachsene komplett zu überarbeiten und sicherzustellen, dass alle Fakten auf dem neuesten Stand sind. Ich gehöre zum Autorenteam und möchte meinen Anteil daran baldmöglichst abschliessen. Dafür ist noch viel Recherchearbeit nötig.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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