Radrennfahrer Tom Bohli aus Gommiswald bereitete sich in Belgien auf die dortigen Klassiker vor. Dann kam der Lockdown und er ist immer noch dort. Mit Kraftraining und vielen Kilomentern pro Tag hält er sich im Schuss.
Tom Bohli, inwiefern sind Sie vom Coronavirus betroffen? Wie viele Wettkämpfe wurden abgesagt oder verschoben?
Bei uns im Radsport wurden sicher bis Ende April/Mai alle Anlässe entweder verschoben oder sogar abgesagt. Leider trifft es die Klassiker in Belgien, den Giro, sogar die Tour de Romandie. Die Durchführung vieler weiterer Rennen ist ebenfalls unsicher.
Was sind die Konsequenzen für Sie als Sportler, wenn der Lockdown noch länger andauert?
Es fallen Rennen weg, die für mich eine Chance auf ein Top-Resultat geboten hätten. Rennen, auf die ich mich gut vorbereitet habe und auch Rennen, in denen unser Team mit unseren grossen Leadern auf Sieg fahren wollte. Es trifft im Sport viele Teams wie auch Sponsoren sehr hart. Ich war zu Beginn des Lockdowns in Belgien, um mich auf die Klassiker vorzubereiten. Nun bin ich immer noch hier, denn ich möchte weder mich, noch mein Umfeld einer längeren Reise durch Europa aussetzten.
Verfügen Sie nun über mehr Freizeit und wie gestalten Sie diese?
Lustigerweise nicht. Ich habe im Moment zwar weder Renn- noch Reisetage und bin den ganzen Tag über «Zuhause». Darum muss ich auch mein Training anpassen. Mit hoher Intensität lässt sich nur für einen bestimmten Höhepunkt hin trainieren. Da nun aber für längere Zeit keine Rennen mehr anstehen, trainiere ich nun täglich ein grösseres Pensum mit mehr Ausdauerfahrten und tieferer Intensität. Uns sonst fülle ich meinen Tag mit anderen produktiven Tätigkeiten. Lernen zum Beispiel.
Gibt es sonst noch Anpassungen?
Ja, auch Krafttraining ist wieder ein Thema. Der Tagesablauf wird zusehends monotoner. Ich denke es geht in der momentanen Krise allen Leuten ähnlich, ganz egal welcher Branche man angehört.
Was vermissen Sie zurzeit am meisten und was überhaupt nicht?
Komischerweise vermisse ich die Reisetage ein wenig und natürlich auch das Rennenfahren… Das ist ja schliesslich der zentrale Punkt meiner Arbeit. Andererseits versuche ich aber auch, die momentane Situation zu geniessen. Sie gibt einem die wundervolle Chance, mal etwas Ruhe im Alltag zu integrieren, vielleicht neue Gewohnheiten zu etablieren, sich Zeit für Ordnung in der Wohnung zu nehmen oder neue Dinge zu lernen.
Ihr persönlicher Tipp gegen Stubenkoller?
Ein Mensch braucht Ziele. Wille ist diejenige Zutat, die einem hilft, jede Krise zu überwinden. Auf dem Rad schmerzt mich die «Zielfreie»-Gruppetto-Bergetappe mehr als eine Etappe, an der ich kämpfen muss. Daher setze ich mir jeden Morgen ein Tagesziel: so und so viele Kilometer möchte ich heute fahren, diese Hausarbeiten habe ich bis heute Abend erledigt oder bis zum Schlafengehen habe ich mein Buch bis zur Seite XY weitergelesen und so weiter. Meine Freundin würde zwar ein Brettspiel aus der Jugend empfehlen, aber jedem das seine… (lacht)
Tom Bohli ist ein Schweizer Radrennfahrer aus Gommiswald. Der 26-Jährige ist mehrfacher Junioren Schweizer Meister (Strasse) und Junoren und U23 Europameister (Bahn). Anfang 2019 unterschrieb Bohli beim «UAE Team Emirates» und bestritt seine erste grosse Tour, den Giro d’Italia 2019.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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