Sprache und Mentalität ist verschieden. Aber da Deutsche eigentlich alles besser können, tauchen sie immer häufiger im Schweizer Journalismus auf. Ist das knorke oder mau?
Der Deutsche benützt den Bürgersteig und kann mit Trottoir, vor allem bei der Schweizer Anfangsbetonung, nur wenig anfangen. Auch eine WG mit Betonung auf dem W muss ihm mit Betonung auf dem G übersetzt werden.
Aber das sind ja Oberflächlichkeiten. Wie steht es mit dem Einfluss von Deutschen in und auf Schweizer Medienprodukte? Nun, ihr Erfolg ist durchwachsen, das Selbstbewusstsein immer gross. Vor allem der Ringier-Verlag zahlte hohes Lehrgeld für seine Ansicht, dass Deutsche den Boulevard besser beschreiten können als Schweizer.
Mathias Nolte trat nach nur 6 Monaten als SoBli-Chefredaktor zurück. Er hatte die Borer-Affäre zu verantworten, bei der sich Michael Ringier persönlich entschuldigen musste und Borer eine erkleckliche Summe als Schmerzensgeld bekam.
Auch der zweite Versuch mit Ralph Grosse-Bley funktionierte nicht. Nicht einmal zwei Jahre war er Vorsitzender der Chefredaktoren der «Blick»-Gruppe. «Per sofort» musste Andrea Bleicher dann für Grosse-Bley übernehmen, das Teutonische geht halt nicht so gut mit dem Schweizerischen. Fussnote: Bleicher schaffte es nur zur «Chefredaktorin ad interim». Typisch Ringier: sie war einfach zu gut für diese Position, also musste sie weg.
Inzwischen leben 310'000 Deutsche in der Schweiz; ihr Einfluss auf Wissenschaft, Kunst, Kultur und auch Politik ist nicht zu unterschätzen. Von Experimenten, Deutsche als Chefredaktoren zu installieren, hat man weitgehend abgesehen. Dirk Schütz, seit 2008 Chefredaktor der «Bilanz», ist eine der wenigen Ausnahmen.
Dann gibt es noch einzelne durch Schweizer Medien irrlichternde Journalisten wie Raimond Lüppken, der sowohl «audiatur» wie «Republik» als angeblicher Experte in Rechtsextremismus mit sonderlichen Storys beliefert.
Aber die grösste Einfallsschneise für die deutsche Sicht in Schweizer Medien ist Tamedia. Im Rahmen des drakonischen Sparprogramms hat der zweitgrösste Schweizer Medienkonzern mit seinen mehr als ein Dutzend Kopfblättern von Basel bis Bern und natürlich in Zürich sein Korrespondentennetz brutal zusammengestrichen.
2017 verkündete dann Tamedia, dass man nicht nur in der Auslandberichterstattung mit den Korrespondenten der «Süddeutschen Zeitung» zusammenarbeiten werde, sondern auch eigentlich in allen Ressorts, soweit die überhaupt noch vorhanden sind.
Allerdings unterscheidet sich der deutsche Journalismus nicht nur durch die Verwendung des ß und ein paar sprachliche Abweichungen vom schweizerischen. Denn so ähnlich sich auch Schriftsprache und Hochdeutsch sein mögen, Mentalität, Vergangenheit, zu erwähnen sei nur das Dritte Reich und die Zweiteilung Deutschlands, sind sehr unterschiedlich. Das äussert sich nicht nur in einer aus Schweizer Sicht hysterischen Sensibilität, was Themen betrifft, die allenfalls Assoziationen zur braunen Vergangenheit auslösen.
Eine Partei wie die SVP ist deutschen Journalisten schlichtweg unverständlich, genau wie das Abseitsstehen der Schweiz beim Trümmerhaufen EU. Das Grundproblem der weitgehend von der SZ dominierten Auslandberichterstattung von Tamedia ist aber, dass auch die Sicht aufs Ausland sehr unterschiedlich ist. Die Schweiz ist, wenn möglich, für Neutralität, für Abwägen, für Kompromisse.
Der deutsche Journalist ist für Parteinahme, in jedem steckt ein kleiner oder grosser Oberlehrer, der nicht nur berichten will, sondern erklären, zurechtweisen, Noten verteilen, auf Kosten von Differenzierung und Komplexität.
Auch Feindbilder sind viel deutlicher ausgeprägt als in der Schweiz. Trump, gefährlicher Irrer, Putin, intriganter Machtmensch, China, die grosse Bedrohung der Welt. An diesen Grundpfeilern hangelt sich der deutsche Journalist durch die Welt. Schliesslich neigt er zudem zu German angst, zu Untergangsfantasien, zu Schwarzmalerei. Unvorstellbar, was deutsche Korrespondenten vor der Abwahl von Trump an Schreckensszenarien auch im Kosmos der Tamedia-Blätter verbreiteten.
Möglicher Tod der Demokratie, eine Diktatur in den USA, der völlige Niedergang der Republikaner, die Gefahr eines Bürgerkrieges, kein Schreckgespenst zu absurd, um nicht in Artikel geschmiert zu werden. Auch im Bereich Kultur oder Gesellschaft hinterlässt diese Zusammenarbeit eine Schneise der Zerstörung. In einer Talkshow im Dritten Programm hoch im Norden unterhalten sich weisse Männer politisch nicht immer korrekt über Rassismus? Ein Skandal, wie im Tages-Anzeiger berichtet wird. Nur: interessiert in der Schweiz niemanden.
Eine Verödung, Verblödung, Verarmung des Schweizer Blicks auf die Welt. Auch CH Media als zweiter Duopolist im Tageszeitungsmarkt teilt sich seine 45 Korrespondenten mit diversen anderen deutschen Medien. Es sind keine vollangestellten Mitarbeiter mehr, auch ein Fixum hat Seltenheitswert. So muss beispielsweise Sandra Weiss aus Mexico City die gesamte Karibik und Lateinamerika bestreichen. Auch noch für die NZZ und andere Organe. Kein Wunder, dass ihre Berichterstattung meist oberflächlich, oft schlichtweg ungenau oder falsch ist.
Ringier schliesslich leistet sich für seine einzige nationale «Blick»-Gruppe beispielsweise für die nicht ganz unwichtigen USA Anfängerjournalisten, die aus San Diego, sehr zentral an der mexikanischen Grenze gelegen, die USA und ihre Politik beschreiben sollen. Neuerdings auch noch als Nachtredaktor; dank Zeitverschiebung ist der arme Journi dort wach, wenn in Zürich alles pennt.
Ist das schlimm, wozu braucht’s überhaupt noch, dank unendlicher Informationsquelle Internet, Auslandberichterstattung aus Schweizer Sicht? Ist doch egal, die mageren zwei, drei Seiten kann man überblättern. Könnte man so sehen, ist aber falsch.
Natürlich braucht es zur Orientierung und zum Verständnis diese Berichterstattung. Allerdings leistet sich nur noch die NZZ ein Korrespondentennetz, das diesen Namen (noch) verdient. Ein Korrespondentenbericht verdient diesen Namen nur, wenn der Autor sich darum bemüht, seinen Lesern ein fremdes Land, eine fremde Mentalität, eine fremde Wahrnehmung der Wirklichkeit näher zu bringen.
Überlegene Rechthaberei und feste Gesinnung sowie Meinung, wie es dem deutschen Korrespondenten zu oft eigen ist, bringt dem Schweizer Leser nichts. Was tun? Protestieren, beschweren, des Fremdenhasses bezichtigt werden?
Nein, der Konsument hat immerhin noch die Wahl. Nicht mehr zwischen allzu vielen verschiedenen Newsträgern. Aber er hat die Wahl, ob er sich dafür ärgern will, dass er einen inzwischen happigen Betrag für ein Abonnement ausgibt – oder ob er sich den Ärger und die Ausgabe spart.
Das braucht allerdings auch etwas Eigeninitiative. Etwas Abkehr von Gewohnheiten. Die Aufgabe der Illusion, dass zufälligerweise wieder mal alle wichtigen Ereignisse der Welt in der abonnierten Zeitung Platz gefunden haben. Stattdessen kann man – forschen und suchen – sich einen eigenen Kiosk zusammenstellen. Der filtert die Themen aus der gewünschten Perspektive und in der verträglichen Länge und auf dem intellektuellen Niveau geschrieben, das der individuelle Leser mag.
Denn die Wahrheit ist dort draussen, wie es in der Serie X-Files so schön hiess. Nur sitzt die nicht irgendwo blöd rum und wartet darauf, vom Leser gefunden zu werden. Denn es gibt nicht eine Wahrheit, eine Weltsicht, eine Meinung, eine Gesinnung. Sondern sehr viele. Aus denen kann sich jeder sein eigenes Kaleidoskop zur Weltbetrachtung zusammenstellen.
Braucht etwas Energie, ist, wenn mit Dienstleistungen verbunden, auch nicht gratis. Bedeutet einige oder viele Stunden im grossen weiten Web. Frustration inbegriffen. Aber das Resultat lohnt sich. Wer es dann doch nicht mag: Es ist nicht verboten, wieder ein Abo abzuschliessen. Vielleicht gibt’s für den Neuabonnenten auch eine Kaffeemaschine extra.
«Die Ostschweiz» ist die grösste unabhängige Meinungsplattform der Kantone SG, TG, AR und AI mit monatlich rund einer halben Million Leserinnen und Lesern. Die Publikation ging im April 2018 online und ist im Besitz der Ostschweizer Medien AG.
Hier klicken, um die Mobile App von «Die Ostschweiz» zu installieren.