Kürzlich schrieb mir ein ausserordentlich treuer und grundsätzlich auch ganz zufriedener Kunde ein längeres Mail über seine Gartenpflanzen in diesem vermaledeiten Jahr 2021. Bevor er zu seiner eigentlichn Frage kam, gingen seine aktuellen Gartengefühle mit ihm durch…
Ich zitiere hier, leicht gekürzt. (Falls der Schreiber das hier lesen sollte, bitte ich um Entschuldigung: Aber Ihr Rundumschlag war wirklich allzu schön!)
«Das eine oder andere ist eingegangen. Eine besondere Gojibeere.
Hokkaido 60% Erfolg, teils Fäule, teils Schnecken,
eine Zucchini, die zu 70 % vor sich hin fault,
Rhabarber, muss sich noch beweisen.
Radieschen: Mist, Knoblauch ganz nett,
Zwiebeln mickrig. Physalis im Kübel gut, im Beet mickrig.
Einige Kiwis sind eingegangen, Pointilla amoroso fruchtet sparsam, gelb besser als rot.
Preiselbeeren schimmeln, Cranberries tut sich nix,
verschiedenste Himbeeren, rot-gelb, schwarz war dieses Jahr nicht viel, so auch Erdbeeren.
Johannis-Stachel-Josta-Vierbeere mager.
Heidelbeeren müssen sich sicher über die nächsten 2-4 Jahre erst entwickeln.»
Wow. Fast ein Gedicht des Gartenmisserfolgs, des Gartenjahrs 2021. Zunächst wartete ich während des Lesens ängstlich darauf, wann jetzt die Reklamation käme. Aber da war keine Reklamation. Das war nur ein Ausruf, ein Rundumschlag, eine fast schon objektive Beschreibung der aktuellen Garten-Saison. Und die musste der Gärtner ganz offensichtlich einmal loswerden.
Wie gehen wir Gärtnerinnen und Gärtner mit dem Misserfolg um?
Vielleicht macht es Sinn, hier aus Sicht des Gartens die eher konstruktiven und die eher destruktiven Strategien zu unterscheiden.
Also zunächst die destruktiven Strategien:
• Verzweiflung, alles hinwerfen, den Garten hinter sich lassen? Bittebitte nicht. Es hat – nach meiner Erfahrung und nach Ihrer eigentlich auch – noch immer ein neues und anderes Jahr gegeben. Etwas fluchen, oder aber ausrufen wie der Gartenfreund weiter oben – das kann hier schon helfen. Aber bleiben Sie dem Garten und den Pflanzen bitte treu. Es lohnt sich.
• Sündenbockstrategie: Das trifft meist uns, die Profigärtner, oder auch den Gala-Bauer, den Kundengärtner. Der Gärtner ist der Mörder, das kennen wir ja… Diese Strategie kann ich schon verstehen. Da ich hier definitiv Partei bin, verzichte ich darauf, explizit von der Sündenbockstrategie abzuraten… obwohl…
• Den Fehler bei sich selber suchen: Ich halte das auch für eine destruktive und nicht zielführende Strategie, weil es im Garten nicht wirklich um Fehler geht, und weil der unkontrollierbare Ausseneinfluss (Klima, Wetter, Boden) einfach zu gross ist. Irgendwie ist der Garten auch eine einmalige Chance, etwas zu machen und zu tun und nicht (ganz) dafür verantwortlich zu sein. Liebe Gärtnerin, lieber Gärtner, freut Euch des Gartenlebens, Ihr seid grundsätzlich immer unschuldig!
Nun aber zu den produktiven Strategien, wie man mit Misserfolg im Garten und mit einem schwierigen und nässer als nassen Jahr wie 2021 umgehen kann:
• Stoizismus: HMM, ein Philosophiekurs soll das jetzt nicht werden, und dafür sind sich die Philosophen untereinander auch viel zu wenig einig. Aber vielleicht hilft der nachfolgende Grundkurs: Stoizismus definiert Glück im Wesentlichen als Abwesenheit von Leid und Schmerz. Und dieser Zustand wird unter anderem dadurch erreicht, dass wir uns nicht darüber aufregen, was wir nicht beeinflussen können. Passt meiner Meinung nach ziemlich gut zum Gartenglück in einem Jahr wie 2021: Den Regen und die sparsame Sonne konnten wir nicht beeinflussen, also freuen wir uns über den Rest, über den letzten Rest an Glück, den es immer gibt: Über jeden Sonnenstrahl, über die einzige reif werdende und nicht faulende Tomate. Das ganze Unglück kann uns mal gestohlen bleiben, weil wir es eh nicht beeinflussen können.
• Portfoliostrategie: Die Gartenproblemkaskaden des Gartenfreunds oben zeigen eben auch, dass nie alles schiefgeht: Gelbe Pointilla fruchten besser als die roten. Ist doch super! Die Heidelbeeren sind ein Versprechen für die Zukunft. Ja genau! Die Physalis im Kübel haben sich hervorragend entwickelt und bringen jetzt eine reiche Ernte. Was will man da noch mehr? Diese Erfolge sind dem Schreiber des vermeintlichen Klagelieds nicht umsonst, nicht zufällig in den Schoss gefallen, sondern weil er eine Portfoliostrategie verfolgt: Er pflanzt nicht nur Fruchtgemüse, nicht nur Äpfel, nicht nur dies und das, sondern von allem etwas. Da wird statistisch auch nicht alles schiefgehen.
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Wir haben im Garten und bei den Pflanzen, beim Garten-Spiel um Versuch und Irrtum immer Mitspieler am Tisch, die wir nicht genau kennen und deren Verhalten nicht vorhersehbar ist. Nun kann man wie wir professionellen Gärtner (auch wir bei Lubera) hingehen, und möglichst viele solche Mitspieler und Risiken auszuschliessen versuchen: Plastiktunnels oder Gewächshäuser bauen, resistente Sorten anbauen und züchten, Hagelschutznetze, Winterschutz, das grösste Tomatenhaus der ganzen Nachbarschaft…
Das ist sicher richtiger und wichtiger im professionellen Gartenbau als im Haus-Garten. So oder so sind wir gut beraten, damit zu rechnen, dass immer eine gehörige Portion Unsicherheit bleibt, dass wir die unbekannten Mitspieler nicht gänzlich vom Gartenspieltisch verbannen können. Und dass es ganz gut und gesund ist, den Garten AUCH als Übungswiese für Stoizismus und die Kraft des positiven Denkens zu betrachten. Nicht der magere diesjährige Ertrag der Heidelbeeren zählt, sondern alles, was die nächsten Jahre noch kommen wird. Nicht die toten braunen Tomatenpflanzen-Skelette zählen, sondern die eine Rispe, die gesund reif geworden ist oder erst noch reif werden wird.
Genau da liegt das Gartenglück und mit etwas Geschick ist es immer zu finden.
Gärtnern Sie weiter!
Herzliche Grüsse
Markus Kobelt
Markus Kobelt ist Gründer und zusammen mit seiner Frau Magda Kobelt Besitzer von Lubera.
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