Unsere Gesellschaft redet nicht gern über das Scheitern, Niederlagen und Tragödien. Genau darum geht es jedoch im neuen Buch «Mon Chéri und unsere demolierten Seelen» von Verena Rossbacher. Wie sie mit Geldnot umgeht, erzählt sie im Interview.
Sie haben schon in Österreich, in Deutschland und der Schweiz gewohnt. Hand aufs Herz: Wo fühlen Sie sich richtig Zuhause?
Oh, das ist schwer. Ich glaube, das lässt sich für mich nach den vielen Bewegungen durch diese Länder gar nicht abschliessend beantworten. Hier in Berlin ist meine eigene Familie, viele meiner Freunde – es ist, wenn man so will, mein engeres emotionales Zuhause. Von den Landschaften her, den Leuten, den Stimmungen, sind mir Österreich und die Schweiz viel näher. Zuhause ist für mich in dem Sinn kein statischer Zustand – gerade ist unser Zuhause hier, in ein paar Jahren vielleicht woanders, es ist für mich, denke ich, einfach nur eine Entscheidung, irgendwo zuhause sein zu wollen und seine Liebsten dabei zu haben.
Was ist Ihnen aus der Zeit in St.Gallen besonders präsent geblieben?
Die Nähe zu Appenzell, der Alpstein, die Drei Weieren - überhaupt die Möglichkeit, so schnell in diesen herrlichen Landschaften zu sein. Die vielen Kirchenglocken, die den Abend einläuten, die Chräpfli oben im Kloster Notkersegg, das Bürlibrot vom Schwyter.
Ihr viertes Buch «Mon Chéri und unsere demolierten Seelen» handelt vom Scheitern, von menschlichen Tragödien. Wann waren Sie in Ihrem Leben damit konfrontiert?
Es gab unterschiedliche Phasen, die ich als sehr schwierig empfand – mit mir selbst, mit Beziehungen, mit Familie, finanziell, beruflich. Ich weiss beispielsweise noch, dass ich mit Mitte Zwanzig völlig überzeugt davon war, niemals richtig Geld zu verdienen, es schien mir ein Ding der Unmöglichkeit. Und diese regelrecht existentielle Panik, die ich damals verspürte, an die erinnere ich nur zu genau.
Unsere Gesellschaft redet nicht gerne übers Scheitern und den Misserfolgen. Ist das bei Ihnen anders? Oder wie gehen Sie damit um?
Ich versuche zumindest rückblickend, offen mit schwierigen Phasen umzugehen – gerade im Gespräch mit Jüngeren halte ich das für wichtig und fair. Sie sehen oft nur den Erfolg und das Gelungene, das errungene Glück; dass dies aber immer verbunden ist mit ganz schönen Durststrecken und Fehlschlägen, mit Unsicherheiten und grossen Zweifeln, das zu wissen, gibt einem einen anderen Horizont.
In Ihrem Buch wird auch die Midlife-Crisis thematisiert. Kennen Sie solche Gefühle?
Nein, ehrlich gesagt gar nicht. Ich bin sehr, sehr dankbar für alles, was ich habe, und nehme jedes Jahr, das ich älter werden darf, als ein grosses Privileg. Vielleicht gerade, weil mein eigenes Leben ganz schöne Untiefen und Umwege mit sich brachte, nehme ich es niemals als selbstverständlich, da zu sein und glücklich dabei sein zu dürfen. Ich persönlich halte es für regelrecht kokett, übers Älterwerden zu klagen – man hat kein Abonnement darauf und keine Garantie. Manchmal hilft es, die Perspektive ein wenig zu erweitern – wie kann ich übers Altern klagen, wenn andere viel zu jung sterben müssen?
Sie sagten einmal, die Anfänge eines Buches seien immer schwer und keine Ideen seien da. Ist das auch nach vier Büchern der Fall?
Das ist wirklich ein interessantes Phänomen. Ich bin tatsächlich keine Autorin, die in dem Sinne «Ideen» hat. Ich erschreibe mir meine Bücher, die Ideen kommen durch das Schreiben. Das ist nicht nur angenehm, aber – zumindest derzeit – nicht zu ändern.
Ihnen ist auch Humor sehr wichtig. Wie spiegelt sich das in Ihrem Wesen wider?
Humor bedeutet ja im Grunde einfach die Fähigkeit des Perspektivwechsels – wer diese geistige Gelenkigkeit beherrscht, schafft es in der Regel ganz gut, dass sich Gefühle nicht allzu fest fahren, dass man auch in eher seriösen Momenten die Komik erkennen kann, dass man, ganz allgemein gesprochen, eine Situation transzendieren kann – und das ist sicher etwas, was ich anstrebe.
Bereits Ihr erstes Buch war sehr erfolgreich, weitere Preise, wie der Bodensee-Literaturpreis, folgten. Wie hoch ist der Druck, den Sie jeweils spüren?
Eine für mich ganz gute Taktik ist es, mich so wenig wie möglich mit dem zu beschäftigen, was über mich oder meine Bücher geschrieben wird. Man ist unbekümmerter – und ich denke - hoffe! -, es bewahrt einen vor einer gewissen Eitelkeit.
Sie lesen also keine Rezensionen?
Beim Erscheinen meines ersten Buches las ich noch jede Rezension, was ich persönlich für eine totale Überforderung halte. Man ist gekränkt oder geschmeichelt, insgesamt macht man sich aber viel zu viele Gedanken, die einen unkonzentriert sein lassen – fürs Schreiben selbst ist das völlig unproduktiv. Eine gewisse Naivität, die sich aus der Unkenntnis darüber speist, was über einen gesprochen wird, halte ich für erstrebenswert.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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