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Freitags-Glosse

Waldmeyer studiert Aussteigerorte

Waldmeyer ist kein «Aussteiger». Aber dennoch, er könnte ja damit kokettieren, einer zu sein. Zum Beispiel, wenn er sein ganzes Vermögen an der Börse verspielt hätte – etwa mit CS-Aktien. Bei der Auswahl der Aussteigerorte müsste allerdings eine gewisse Systematik mitspielen.

Roland V. Weber am 04. November 2022

Wenn schon ein Aussteigerort, dann sollte es nicht irgendeiner sein. Waldmeyer überlegte deshalb, ob extrem niedrige Lebenshaltungskosten vielleicht zu einem cleveren Entwurf eines Aussteiger-Konzeptes verleiten könnten. Der Gedankengang, nicht mit Charlotte abgesprochen, sieht Waldmeyer einfach als Notfallplanung.

Die Reflexionen betreffend „Auswandern“ versprühen selbstredend einen gewissen Reiz und brachten Waldmeyer auf die Idee, diese nun konkret durchzuspielen, natürlich mit einer gewissen Systematik. Als vorbehaltener Entschluss quasi, als contingency plan – so, wie er das früher als CEO immer gemacht hatte. Waldmeyer könnte also so tun, als ob er „aussteigen“ möchte, obwohl er das gar nie wollte, um so, nur virtuell, einen Grund zu finden, um Optionen zu prüfen.

„Aussteigen“, so Waldmeyers Wahrnehmung, verbindet man mit „richtig weg“, „günstig leben“ und „nichts tun“. Dies einmal abgesehen von merkwürdigen Selbstfindungsansätzen. Also müssten die möglichen Zielländer unter diesen Prämissen analysiert werden. Das Wichtigste dabei: Lower the Cost of Living. Denn richtig Aussteigen geht nicht, ohne die Lebenshaltungskosten drastisch runterzubringen.

Nun zur Systematik: Wenn wir Zürich als Benchmark nehmen (Lebenshaltungskosten in USD Index 100, also 100 Punkte) sollten wir demzufolge untersuchen, in welchen Ländern diese Punktzahlen richtig runterkommen. Hier eignen sich, ganz in der Nähe, eindeutig Kroatien (Index 39, also 39 Punkte) oder Griechenland (45 Punkte), notfalls die Türkei (30 Punkte) - vor allem im Wissen darum, dass an peripheren Orten in diesen Ländern, also nicht in den Citys, das Leben nochmals deutlich günstiger sein würde.

Oder doch etwas weiter weg? Mauritius (40 Punkte) sowie viele Länder in Südamerika oder Fernost könnten sich hervorragend eignen. Die Statistik der Lebenshaltungskosten könnte Waldmeyer automatisch zu den richtigen Zielen hinführen. Man müsste die Zahlen nur mit Zürich vergleichen, dann würde es einem wie Schuppen von den Augen fallen.

Vereinfachend kommt nämlich hinzu, dass es eigentlich an allen Orten weltweit günstiger ist als in der Schweiz! In der Tat: Sogar in Singapur oder in Miami wären die normalen Lebenshaltungskosten tiefer als in Zürich! Zum Aussteigen eignen sich allerdings nur Orte, die wirklich günstig sind. Südspanien (39 Punkte) bietet sich tatsächlich als eine der naheliegendsten Destinationen an. Oder irgendeine griechische Insel (die günstigsten liegen bei 37 Punkten), für Mutigere dann Bali (36 Punkte) oder Thailand (ebenso 36 Punkte). Sensationell günstig wären, zudem ziemlich zivilisiert, wenn auch etwas peripher gelegen, die Azoren (36 Punkte).

Zum Aussteigen gehört indessen auch ein gutes Klima, denn sonst lässt sich das Rumfläzen nur unbefriedigend umsetzen. Gewisse Länder fallen deshalb sicher gleich weg. Bolivien zum Beispiel (28 Punkte), oder Kasachstan (obwohl wirklich sehr günstig mit 26 Punkten). Dann doch lieber noch Casablanca (34 Punkte). Humphrey Bogart wusste wahrscheinlich sehr genau, warum. Damals.

Für die zweite Stufe einer Notfallplanung müsste Waldmeyer wohl die Liste mit den angenehmen Orten verlassen. Es wäre sozusagen die „Nuklearoption“, sollte er wirklich völlig abgebrannt dastehen und es nochmals einen Quantensprung günstiger sein müsste. Waldmeyer könnte vorerst nach Albanien ziehen (nur 18 Punkte!). Albanien, dieser vergessene europäische Staat, verfügt nämlich über 362 km Mittelmeerküste. Vielleicht ein Geheimtipp, auf jeden Fall müsste man der Sache noch detailliert nachgehen. Waldmeyer nahm sich vor, Charlotte einen diesbezüglichen Urlaubsvorschlag zu unterbreiten; der Augenblick für ein solch schwieriges Unterfangen müsste indessen taktisch sehr geschickt gewählt werden.

Für ein Worst-Case-Szenario müsste allerdings Rawalpindi in Pakistan herhalten (11.5 Punkte); Waldmeyers Kosten würden sich auf einem rekordverdächtigen, vernachlässigbaren Bruchteil seiner heutigen Ausgaben bewegen. Selbst mit der minimalen staatlichen Schweizer Rente, der AHV, liesse sich hier – vor allem im Vergleich zum lokalen Umfeld – in Saus und Braus leben.

Bruno Spirig, Waldmeyers etwas windiger Cousin, hatte sich aus diesen Gründen ja nach El Hierro verzogen, auf diese kanarische Mini-Insel, mitsamt seinen erschlichenen Corona-Krediten (vgl. Waldmeyer-Rapport von 2020). El Hierro hat nur 33 Punkte. Bruno war schon immer ein cleverer Kerl.

„Also Rawalpindi kommt trotzdem nicht in Frage“, murmelte Waldmeyer gedankenversunken zum anderen Ende des Livings, zu Charlotte, rüber. Charlotte antwortete so, wie sie oft zu antworten pflegt: einfach gar nicht.

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Autor/in
Roland V. Weber

Roland V. Weber (*1957) verbrachte einige Zeit seines Lebens mit ausgedehnten Reisen. Aufgewachsen in der Schweiz, studierte er Betriebswirtschaft in St. Gallen und bekleidete erst verschiedene Führungspositionen, bevor er unabhängiger Unternehmensberater und Unternehmer wurde. Er lebt in den Emiraten, in Spanien und in der Schweiz. Seit Jahren beobachtet er alle Länder der Welt, deren Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Er bezeichnet sich selbst als «sesshafter digitaler Nomade», als News Junkie, Rankaholic und als Hobby-Profiler.

Roland Weber schreibt übrigens nur, was er auch gerne selbst lesen würde – insbesondere, wenn Sachverhalte messerscharf zerlegt und sarkastisch oder ironisch auf den Punkt gebracht werden.

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