Swissmedic will der Konsumentenzeitschrift «Gesundheitstipp» verbieten, einen Artikel über Nebenwirkungen neuer Medikamente gegen Multiple Sklerose länger online zu halten. Das Vorgehen der Schweizer Heilmittelbehörde zeigt deren Lust an Deutungshoheit und Repression.
Ob diese zulässig ist, wird das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen entscheiden.
Es war Januar 2021, als die Journalistin Luzia Mattmann im „Gesundheitstipp“, einer Zeitschrift der Konsumenteninfo AG, welche auch die bekannten Konsumentenmagazine „K-Tipp“ und „Saldo“ sowie die juristische Fachzeitschrift „plädoyer“ herausgibt, einen Beitrag veröffentlichte, worin über bisweilen schwere Nebenwirkungen eher neuer Medikamente gegen Multiple Sklerose (MS) berichtet wurde. Beispielsweise Schlaganfälle, Leberschäden, Hirnentzündungen oder Herzleiden. Jenen eher neuen Medikamenten wurden die schon weitaus länger eingesetzten Interferone gegenübergestellt. Proteine oder Glykoproteine also, welche immunstimulierend wirken und verhindern sollen, dass – wie dies bei MS geschieht – die körpereigenen Abwehrzellen andere Nervenzellen angreifen. Auch bei diesen gebe es zwar Nebenwirkungen wie Fiebererkrankungen oder Depressionen, doch seien jene erstens weniger gefährlich und zweitens bereits hinreichend bekannt.
Zitiert wird in diesem Zusammenhang die deutsche Ärztin Jutta Scheiderbauer, welche Vorsteherin der MS Stiftung Trier ist, selber an MS leidet sowie einen zurückhaltenden Einsatz neuer Medikamente fordert. Zudem werden alternative Behandlungsmethoden wie Physiotherapie empfohlen, zumal dadurch muskel- und nervengeschwächte Patienten wiederum lernen, ihre Bewegungen besser zu kontrollieren, was letztlich nachhaltiger als medikamentöse Symptombekämpfung ist. Die verschiedenen Hersteller der jeweiligen Medikamente kamen im Artikel auch zu Wort und erhielten Gelegenheit, die beschriebenen Nebenwirkungen zu relativieren. Zusammenfassend kam die Verfasserin des „Gesundheitstipp“-Beitrags zum Schluss, dass von 13 namentlich erwähnten MS-Medikamenten nur deren 3 wirklich empfehlenswert seien.
Diese Schlussfolgerung missfiel – ob aus finanziellen oder rein fachlichen Interessen, darf offen bleiben – einem Facharzt für Neurologie, seinerseits praktizierender Mediziner und Verwaltungsratsmitglied eines privaten Deutschschweizer Fachzentrums im Neurologiebereich. Dieser gelangte sodann an die Swissmedic und beschwerte sich über den Beitrag. Damit kam der Stein ins Rollen und eröffnete die Swissmedic in der Folge ein Verwaltungsverfahren. Schliesslich erliess sie eine Verfügung, worin dem Verlag unter anderem verboten wurde, den beanstandeten „Gesundheitstipp“-Beitrag weiterhin auf dessen Website zu publizieren, wobei für den Widerhandlungsfall eine Busse bis zu CHF 50‘000 angedroht wurde. Grund: Es handle sich um verbotene Publikumswerbung für rezeptpflichtige Arzneimittel gemäss Art. 32 Abs. 2 lit. a HMG.
Dies muss man sich nun auf der Zunge zergehen lassen. Die Schweizer Heilmittelbehörde qualifiziert also die Publikation eines journalistischen Beitrags, der 13 verschiedene MS-Medikamente miteinander vergleicht, durch einen nicht gewinnorientierten Verlag als verbotene Medikamentenwerbung. Wäre dies tatsächlich rechtlich korrekt, wäre künftig streng genommen jede Berichterstattung über rezeptpflichtige Medikamente verboten, wenn nicht nur gerade die Packungsbeilage zitiert würde. Zumal bereits gemäss Art. 2 lit. a AWV Arzneimittelwerbung definitionsgemäss nur dann vorliegt, wenn eine Massnahme zum Ziel hat, mitunter Verschreibung oder Verkauf von Arzneimitteln zu fördern.
Eine solche Zielsetzung liegt bei Konsumentenzeitschriften aber kaum vor. Zudem besagt Art. 16 Abs. 3 AWV explizit, dass journalistischer Beitrag und Werbung deutlich voneinander zu trennen sind – was im Umkehrschluss heisst, dass die mediale Berichterstattung über rezeptpflichtige Medikamente grundsätzlich selbstverständlich erlaubt ist. Die Juristin Ursula Eggenberger Stöckli schreibt hierzu im Handkommentar zur Arzneimittelwerbeverordnung: „Redaktionelle Berichterstattung gilt grundsätzlich nicht als Arzneimittelwerbung, soweit Medien unentgeltlich und aufgrund eigener Recherchen über Arzneimittel und die betreffenden Unternehmen berichten.“
Auch das Bundesgericht hielt – freilich im Zusammenhang mit nicht rezeptpflichtigen Handcremes – fest, dass ein Warentest durch den „Kassensturz“ grundsätzlich nicht als unlauterer Produktvergleich im Sinne des Wettbewerbsrechts (insbesondere Art. 3 Abs. 1 lit. e UWG) gelte, soweit Objektivität und Sachlichkeit gewahrt würden (BGer 4C.170/2006). Gewisse Dinge sind unter Juristen ja wirklich umstritten. Wie man aber einen journalistischen Beitrag eines Konsumentenmagazins als verbotene Medikamentenwerbung qualifizieren kann, ist rational kaum begründbar.
Wenig erstaunlich liess sich die Konsumenteninfo AG, welche verdankenswerterweise bereits einige Gerichtsentscheide im Medienrecht bewirkt hat, dies nicht bieten und gelangte erstinstanzlich ans Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen, wo der Fall seither hängig ist. In seiner 15-seitigen Beschwerdeschrift beantragt Karl Kümin, der Rechtsvertreter des Verlags, die Verfügung der Swissmedic vollständig aufzuheben sowie auf jegliche Verwaltungsmassnahmen zu verzichten. Auch er macht geltend, der Anwendungsbereich der Heilmittelwerbung sei bei unentgeltlichen und selbstrecherchierten Artikeln über Medikamente erst gar nicht eröffnet. Dies begründet er – neben diversen juristischen Ausführungen – mit einem interessanten Gedanken: „Besonders auch für Gesunde ist es spannend zu wissen, wie unterschiedlich man eine Krankheit bekämpfen kann, wo Vor- und Nachteile liegen und was das kostet. Schliesslich zahlen sie als Einwohnerinnen und Einwohner der Schweiz auch Prämien für die obligatorische Grundversicherung der Krankenpflege.“
Sollte die Verfügung der Swissmedic gerichtlich nicht aufgehoben werden, wäre dies für die Medienfreiheit fatal. Nicht nur würde die Berichterstattung über rezeptpflichtige Medikamente, wie bereits erwähnt, weitestgehend verboten, sondern ein Fass ohne Boden geöffnet. Wäre künftig die kritische Berichterstattung des „Gesundheitstipp“ über Covid-Impfnebenwirkungen noch rechtmässig? Wo lägen die Grenzen der Swissmedic auch bei Journalismus über rezeptfreie Medikamente?
Einem überzeugten Vertreter der Medienfreiheit wird mulmig beim Gedanken an einen solchen Swissmedic-Machtausbau. Dies umso mehr in einer Zeit, in der (wie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr) mit Notrecht von bestehendem Schweizer Gesetzes- und Verfassungsrecht abgewichen wird, um ein Virus mit Mortalitätsrate im Promillebereich zu bekämpfen. Und ebenso einer Zeit, in welcher die Swissmedic Impfstoffe im vereinfachten Verfahren zulassen, der Bundesrat CHF 96 Mio. Steuergelder für eine nationale Impfwoche ausgeben sowie während derselben diverse Impfbusse auf „Schweizerreisli“ schicken kann (des Öfteren mit essbarer Belohnung für die Impfwilligen, versteht sich), ohne dass dies als widerrechtliche Medikamentenwerbung qualifiziert würde.
Aber dass – ganz nach Orwell – beim Staat einige Tiere bisweilen gleicher sind als andere, ist ja nichts Neues. Die einzige richtige Antwort hierauf kann eine möglichst weite Meinungs- und Medienfreiheit Privater sein – im Sinne des freien Ideenwettbewerbs. Nachdem nun aber letzte Woche auch unerwartet viele Richter den neuen Juristenaufruf gegen das Covid-Gesetz unterzeichnet haben, besteht wieder Hoffnung, dass sich der Juristenstand doch noch traut, die Swissmedic kritisch zu hinterfragen. Für das vorerwähnte Verfahren wäre dies sehr zu wünschen.
MLaw Artur Terekhov ist selbstständiger Rechtsvertreter in Oberengstringen ZH.
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