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Gastkommentar

Warum das Mediengesetz nichts taugt

Mit Subventionen macht der Staat uns Journalisten abhängig. Mit Subventionen verschliesst er uns den Mund. Mit Subventionen zerstört er den Markt – der einzige Ort, wo wir Journalisten lernen können, wie man Leser und Leserinnen für sich einnimmt. – Ein Gastkommentar von Markus Somm.

Markus Somm am 09. Januar 2022

Dieser Artikel ist zuerst im Nebelspalter erschienen.

Der Fall Ringier hat von neuem gezeigt, wie heikel, wie entscheidend die Beziehung der Medien zum Staat ist. Hätte Marc Walder, der CEO des Verlages, seinen Journalisten etwa verordnet, diesen oder jenen Sportler zu schonen, damit er gut «durch die Pandemie» komme, dann wäre das zwar ebenfalls als anrüchig angesehen worden und man hätte sicher Spekulationen darüber angestellt, warum Walder gerade diesen Sportler heraushebe, doch die journalistische Glaubwürdigkeit des Verlages wäre nie derart fundamental in Frage gestellt worden wie jetzt: Die Regierung wohlwollend zu begleiten, selbst in Zeiten der Pandemie, wie es Walder verfügt hat, ist ein Sakrileg. Regierungen werden nur dort systematisch positiv behandelt, wo diese Regierungen die Medien im Griff haben, sprich: wo diese nicht frei sind.

Es ist das der Grund, warum das Mediengesetz, über das wir am 13. Februar abstimmen, auf jeden Fall verworfen werden sollte.

Worum geht es? Parlament und Bundesrat haben die Absicht, die Medien mit insgesamt 178 Millionen Franken aus dem Bundeshaushalt zu unterstützen, dabei geht es unter anderem darum, die «indirekte Presseförderung» auszubauen, wie wir sie seit langem kennen: Der Bund leistet bereits heute einen Beitrag an die Zustellungskosten der Zeitungen durch die Post, dieser soll erhöht werden.

Ordnungspolitisches Kuddelmuddel

Was man aus ordnungspolitischen Motiven durchaus kritisch betrachten kann, habe ich stets verteidigt mit dem Hinweis auf die Tatsache, wer hier zu günstigeren Tarifen gezwungen wird. Die Post ist ein Staatsbetrieb. Die Post erfreut sich von Staates wegen eines Monopols in der Grundversorgung, und die gleiche Post ist ein «Unternehmen», das sich seit Jahren weigert, den Verlagen eine nachvollziehbare Kostenrechnung vorzulegen. Ausgerechnet die Post. Es sind Fantasie-Tarife, die man uns verrechnet, und der Verdacht liegt nahe, dass wir viel zu viel zahlen; dass wir das Massengeschäft, mithin die monopolisierte Grundversorgung damit quersubventionieren. Nachdem wir die Post mit unseren Steuergeldern schon finanziert haben, nötigt uns dieser Auftragnehmer also höchstwahrscheinlich auch noch übersetzte Tarife auf. Das ist nicht in Ordnung – gerade aus einer liberalen Sicht.

Wäre die Post ein normales privates Unternehmen, dann lehnte ich diese indirekte Presseförderung, die der Staat uns gönnt, dankend ab. In diesem Fall besässe die Post aber auch kein Monopol, und die Tarife, die wir zu bezahlen hätten, wären Marktpreise, und ob sie tiefer oder höher lägen: Wir Medien hätten uns damit zu arrangieren – ohne dass der Staat uns und die Arme griffe.

Solange aber der Staat uns besteuert und zugleich sein eigener Staatsbetrieb uns mit künstlich überhöhten Tarifen abschöpft, kann ich mit der indirekten Presseförderung leben.

Ruinöse Online-Förderung

Das Medienpaket will aber mehr – und da liegt der Hase im Pfeffer: Neu sollen die sogenannten Online-Medien (wie etwa auch der Nebelspalter) mit 30 Millionen Franken gefördert werden. Damit finanziert der Staat direkt Medien – ein Unding, das an sich mit der Pressefreiheit, wie sie die Verfassung garantiert, schwer zu vereinbaren ist. Der Staat darf keine Medien besitzen – der Staat sollte demnach auch keine Medien am Leben erhalten, die auf dem Markt zu wenig Erfolg haben. Es handelt sich darüber hinaus um einen Eingriff in die Handels- und Gewerbefreiheit, wie er kaum zu rechtfertigen ist.

Aus zwei Gründen. Der erste ist den meisten bewusst, siehe Fall Ringier, der zweite, ein ökonomisches Argument, vielleicht weniger.

Zum Ersten. Gewiss, wenn der Bund künftig die Medien direkt subventioniert, dürfte das in der Praxis nie bedeuten, dass ein einzelner Bundesrat beginnt Artikel zu redigieren – und falls ihm ein Beitrag nicht zusagt, er diesen aus dem Angebot kippt. Auch eindeutige Interventionen der Behörden wird es selten geben – so ungeschickt, so dumm stellt sich kaum ein Politiker oder Beamter an. Verheerender ist, was diese Abhängigkeit vom Staat in den Köpfen der Journalisten anrichtet. Ohne sich dessen bewusst zu sein, werden die Journalisten «wohlwollender» oder «vernünftiger» berichten, wenn es um den Staat geht – weil sie oft genug hören werden, dass das Parlament irgendwann von neuem über ihr Budget entscheiden wird. Je nach Grösse eines Mediums kann es sich um existenzielle Leistungen an die (hohen) Personalkosten handeln.

Gerade Journalisten in jungen Online-Medien, die man so aufpäppeln will, werden sich deshalb zwei Mal überlegen, ob sie nun den einen oder anderen Politiker und vor allem die Verwaltung angreifen möchten oder nicht. Aus Wachhunden der Demokratie werden so Pudel und Schosshündchen. Ich wiederhole mich: Niemand beisst die Hand, die ihn füttert.

Die vierte Gewalt?

Wenn aber die Medien eine staatspolitisch unerlässliche Aufgabe haben, dann diese: Dass sie den Staat überwachen, dass sie ihm mit geradezu systematischem Misstrauen begegnen, dass sie insbesondere dessen gewählten Vertretern immer auf die Finger klopfen, wenn es nötig scheint. Das erfordert maximale Unabhängigkeit vom Staat. Das verträgt sich nicht mit Subventionen. Die Medien sind vielleicht die ältesten und mächtigsten Institutionen der Zivilgesellschaft, aber nur solange sie wirklich zivil sind, also weder auf das Wohlwollen von Parlament noch von Regierung angewiesen sind.

Zum Zweiten. Der Staat sollte, wenn überhaupt, eine Branche nur fördern, wenn ein eindeutiges Marktversagen vorliegt – oder andere politische oder ideelle Erwägungen dafürsprechen. Das ist ein grosses Wort, und oft verhält sich der Souverän nicht so, wie es liberalen Prinzipien entspräche. So finanziert der Staat heute die Eisenbahn. Allein deshalb, weil der Souverän es mehrfach in diesem Sinne beschlossen hat – ob aus Nostalgie, aus ökologischen Gründen oder aus föderalistischen Überlegungen – er kann das. Ordnungspolitisch konsequent ist kein Souverän dieser Welt.

Doch die Eisenbahn ist eine uralte Technologie. Wir wissen ziemlich genau, dass sie ohne Subventionen wohl dem Untergang geweiht wäre. Ihr Geschäftsmodell ist bekannt und seit Jahren unter Druck. Wie immer, wenn der Staat in die Wirtschaft eingreift, dürfte er auch hier die eine oder andere Innovation unterdrücken, weil der Wettbewerb nicht mehr spielt, aber damit haben wir uns längst abgefunden. Denn wie gesagt, die Eisenbahn stammt aus dem 19. Jahrhundert, wir müssen sie nicht neu erfinden, allzu viel zerstören wir nicht, wenn der Staat, und das heisst letztlich die Bürokratie jede unternehmerische Initiative in dieser Branche erstickt.

Die Online-Medien dagegen bedienen sich neuester Technologien, und der digitale Markt ist ein ganz neues, frisches Feld. Niemand in den Medien weiss, wie er hier wirklich Geld verdienen kann. Auch der Nebelspalter nicht. Deshalb sind Trial and Error an der Tagesordnung, jedes Medium tüftelt, wie es am besten seine Kunden, also Sie, liebe Nutzerinnen und Nutzer, erreicht und vor allen Dingen dazu bewegt, für gelieferte Leistungen zu bezahlen. Kein Geschäftsmodell hat sich bislang als überlegen und zukunftsfähig erwiesen. Wir alle stochern im Nebel.

Es ist allerdings ein produktives Stochern, das irgendwann ans Ziel führen wird. Denn unbestritten bleibt: Es gibt eine Nachfrage nach guten, zuverlässigen Informationen – auch im digitalen Zeitalter.

Verführung zum Untergang

Gerade aus diesem Grund sollte sich der Staat zurückhalten. Wenn jetzt ein Medium subventioniert wird, erhält der Staat womöglich ein Geschäftsmodell am Leben, das gar nichts taugt. Oder mit anderen Worten, wenn der Staat sich fürsorglich unser annimmt, hindert er uns Medienunternehmer daran, aus Fehlern zu lernen. Mit Subventionen treibt er uns in die Irre. Was wie der Himmel aussieht, ist vielleicht die Hölle. Jede Million, die er spricht, lockt die neuen, jungen Unternehmer in die falsche Richtung.

Es ist der Markt, auf dem wir uns bewähren müssen. Alles andere ist nicht nachhaltig. Selbst wenn der Staat uns mit Milliarden stützen würde: Das wird keinen Leser dazu bringen, uns zu lesen. Nur der Markt entscheidet über die Zukunft der Medien.

Deshalb sollten wir den Kopf frei haben – und statt uns um Politiker zu kümmern, die uns Almosen zuwerfen, sollten wir alle Kraft und Kreativität darauf verwenden, Sie, unsere besten, unsere einzigen Kunden für uns zu gewinnen.

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Autor/in
Markus Somm

Markus Somm (*1965) ist Chefredaktor des «Nebelspalter».

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