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Ostschweizer Start-up

Warum eine Herzerkrankung auch die Psyche trifft

Eine Herzerkrankung reisst die Betroffenen meist mitten aus dem Leben. Nichts ist mehr so, wie es einmal war. Genau hier setzt die App von Frédéric Gabriel an. Im Interview verrät er, warum auch das Mentale eine entscheidende Rolle spielt.

Manuela Bruhin am 24. Januar 2022

Ihre App soll Menschen mit Herzerkrankungen unterstützen. Wie funktioniert die Idee genau?

Unsere Lösung baut auf einer einfachen Feststellung auf: Patienten mit Herzkrankheiten werden oftmals nicht ausreichend psychologisch betreut. Sie erhalten trotz Rehabilitationsprogramm nicht durchgehend Motivation und Feedback. Carity ermöglicht den psychologischen Zustand seiner Patienten zu erfassen, um damit das Rehabilitationsteam auf psychologisch-fragilen Patienten besser aufmerksam zu machen. Zudem setzt Carity auf Prinzipien der sogenannten Self-Determination Theorie, die den Motivationstypus des Patienten ermittelt und eine massgeschneiderte Intervention, welche die Patienten-Autonomie fördert, anbietet. Dabei sollen auch Angehörigen und Freude, als Supporters, eine Rolle spielen. Carity erfasst auch – traditionell – sämtliche Parameter, wie Bewegung, Herzfrequenz, usw. durch eine agnostische Synchronisierung mit verschiedenen Health Wearables, die medizinisch oder klinisch validiert sind.

Nach einem Herzinfarkt haben viele Patienten auch mit psychischen Belastungen zu kämpfen. Einerseits ist da natürlich eine App hilfreich, aber die Technik hat auch ihre Tücken. Wie schaffen Sie diesen Spagat?

Es ist richtig, dass unser aktueller Use Case auf Herzinfarktpatienten in ambulanter Rehabilitation erstmal fokussiert ist. Somit reden wir in der Regel von überwiegend Männern in einem Alter von 50+ bzw. sogar 60+ - und die Frage der technischen Affinität stellt sich. Wir sind allerdings erstaunt, zu sehen, dass mittlerweile Senioren mit mobilen Devices sehr gut klarkommen und sie nun Teil des Lebens geworden sind. Zudem ist Carity so aufgebaut, dass die Einführung der Lösung während der Rehabilitationszeit erfolgt – also in einer Zeit, welcher der Patient Begleitung durch das Rehabilitationsteam hat und von einer soliden Struktur für seine Genesung profitiert. Dadurch, dass Carity mit der Rehabilitation verbunden ist, erhöht sich die Akzeptanz und generiert während dieser Zeit auch eine gewisse Anwendungsgewohnheit, die auch nach der Rehabilitation, so unser Ausgangspunkt, weiterhin besteht. Klar ist, sobald sich die Herzfunktion verbessert und stabilisiert hat, verringert sich die Intensität der Anwendung einer solchen App. Dennoch glauben wir, dass die psychokardiologische Dimension unserer Lösung trotz allem den Nutzen nachhaltig erhöht, weil hiermit Zugang zu Supporters und psychologischer Betreuung gewährt wird.

Für wen ist die App gedacht?

Heute fokussieren wir uns auf Herzinfarktpatienten, die eine ambulante Rehabilitation starten. Carity soll diese Patienten während mindestens 9 bis 12 Monaten begleiten, insbesondere während der kritischen Austrittsphase aus der Rehabilitation und den folgenden Monaten. Damit wollen wir beweisen, dass unsere Lösung eine Verringerung von sekundären und weiteren Herzinfarkten sowie erneuter Spitaleinweisung ermöglicht. Längerfristig soll die App auch für Herzinsuffizienz Patienten eingeführt werden – und warum denn nicht auch als Lösung für primäre Prävention von Herzkrankheiten?

Sie haben bereits mehr als 15 Jahre Erfahrung in den Bereichen Pharma und Medizinprodukte. War eine App-Entwicklung dennoch Neuland für Sie?

Die Entwicklung einer App als Hauptbestandteil der Lösung, die durchaus auch therapeutische Effekte haben soll, ist tatsächlich neu für mich. Ich habe schon Erfahrung in der App-Entwicklung als Gehilfe für vernetzte Medizinalgeräte, wie beispielsweise Pen Injektoren für flüssige Medikamente, gesammelt und die regulatorischen Anforderungen sind etwa gleich. Für eine reine Health App, wie wir sie für carity entwickeln, kommen zusätzliche klinische und medizinische Anforderungen, weil wir zeigen wollen, dass unser Ansatz auch einen direkten therapeutischen Effekt haben kann.

Worin bestanden die Herausforderungen, welche Sie meistern mussten?

In der Medizintechnik sind die regulatorischen Anforderungen sehr hoch. Dies noch auf Software und digitalen Health Apps zu erweitern, ist nicht trivial. Die Behörden und Normungsgruppen haben nun einen brauchbaren Rahmen definiert. Dennoch bestehen noch viele Unsicherheiten, ob wir richtig entwickeln und damit unsere Lösung zulassungsfähig ist. Generell beisst sich die Tatsache, dass man Apps und Software recht schnell und agil entwickeln kann, aber die regulatorischen Anforderungen setzen hohen Hürden, die unsere Geschwindigkeit reduziert und die Erfolgschancen auch beeinträchtigt, sollte man zu schnell entwickeln wollen. Beispiele wie der digitale Impfpass in der Schweiz zeigen uns jeden Tag, wie schnell spannende und angesehene Projekte scheitern können. Für carity, und generell jede Health App, kommt noch die Herausforderung des Geschäftsmodells, insbesondere die Zahlungsbereitschaft für solche Lösungen. Die aktuellen Versicherungsstrukturen und Rückerstattungssystem sind dem noch nicht gewachsen. Deutschland hat beispielsweise mit seinem einzigartigen Rückerstattungsmodell von DiGAs (digitale Gesundheitsanwendungen) eine sehr plausible und nachhaltige Lösung parat, die nun auch in ganz Europa langsam eingeführt wird – hoffen wir darauf auch in der Schweiz.

Sie haben das Förderpaket von Startfeld erhalten. Wie werden Sie das Geld einsetzen?

Das Paket von Startfeld hilft uns, mit versierten Coaches zu arbeiten, die uns insbesondere bei der Strukturierung unseres Geschäftsmodells sowie der Go-to-market Strategie stark helfen. Neben der finanziellen und Beratungsunterstützung bietet Startfeld natürlich ein grossartiges Ecosystem an, in welchem wir mit anderen Startups interagieren bzw. auch kollaborieren können, mit Spezialisten, die uns beraten bis hin zur wichtigen Unterstützung bei der Finanzierung – sei es durch die Öffnung des Netzwerkes und einer potenziellen Finanzierung durch die Stiftung.

Wo stehen Sie derzeit?

Carity befindet sich in einer sehr aktiven Produktentwicklungsphase. Das Produkt als solches ist nun sehr gut definiert und die ersten Features sind programmiert und funktionieren. Wir wollen noch im ersten Halbjahr eine bis zwei Anwenderstudien durchgeführt haben. Auch eine Feldstudie soll die Funktionstüchtigkeit und Akzeptanz unserer Lösung bewerten. Für das zweite Halbjahr planen wir die Durchführung einer klinischen Pilotstudie, voraussichtlich mit zwei grossen Spitälern. Diese Studie soll uns helfen, erste klinische Evidenz und Erfahrung für die Planung und Durchführung einer grösseren Effizienzstudie zu sammeln. Wir bereiten uns auch schon jetzt für unsere nächste Finanzierungsrunde vor, die – hoffen wir – noch bis Jahresende abgeschlossen werden kann.

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Autor/in
Manuela Bruhin

Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».

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