«Pflanzen, welche sich ungehindert über den Gartenzaun ausbreiten, müssen verboten werden.» – Das hat mir ein «Gartenbrief»-Leser kürzlich geschrieben – und Lubera und mir gleich grundsätzlich die Liebe aufgekündet.
Der Satz hat es in sich. Lesen Sie ihn doch bitte nochmals ganz langsam durch. Die wahre Ironie der Aussage hat sich mir nämlich auch erst beim zweiten oder dritten Durchlesen erschlossen: Pflanzen, welche sich nicht ungehindert über den Gartenzaun ausbreiten können, müssen nämlich gar nicht mehr verboten werden, weil sie aussterben. Praktischerweise braucht es dann auch keine Gärten mehr, Parkplätze reichen.
Es gab aber diese Woche auch spannende Fragen, die interessanterweise gleich zu mehreren das gleiche Thema betrafen: Die Insekten und die Pflanzen.
"Wie verhält es sich mit den Insekten im Verhältnis zu heimischen und fremden Pflanzen? Als Argument für die Einen und gegen die Anderen wird immer angeführt, dass "unsere" Insekten verhungern, weil wir immer weniger heimische Pflanzen wachsen lassen."
Meine Antwort:
Zugegebenermassen weiss ich von Insekten und Tieren weniger als von Pflanzen, die den weitaus grössten Anteil unserer Biosphäre ausmachen. Damit will ich jetzt nicht auf die Bedeutungslosigkeit von Tieren und Insekten abheben (das würde mir als Menschen ja ziemlich schlecht anstehen), ich möchte nur ganz klar auf die Grössenverhältnisse und unsere verdrehte Wahrnehmung hinweisen: In unseren Überlegungen kommen die Tiere und Insekten immer lange vor den Pflanzen, die es gerade noch knapp schaffen, wichtiger als die unbelebte Materie zu sein. Das zeigt sich auch in den aktuellen Bienen – und Insektendiskussion: Pflanzen werden nach ihrer Bedeutung für Tier und Insekten (und Menschen) beurteilt und nicht etwa umgekehrt. Warum das so ist? Vielleicht weil der Mensch auch ein Tier ist?
Nun aber zu den Essvorlieben von Tieren und Insekten: Warum isst die Kuh Mais und wir Tomaten und Kartoffeln? Weil Tiere (und übrigens auch Insekten) Opportunisten sind, sie nehmen das, was da ist und was ihnen in den Speiseplan passt, auf die Herkunft (ausländisch/inländisch) schauen sie nicht. Verpflichtende Herkunftsnachweise werden von den Pflanzen normalerweise nicht mitgeliefert.
Die Dynamik bei den Insekten und Tieren verhält sich ähnlich wie bei den Pflanzen: Wem es nicht mehr passt, geht; und es kommt, was erfolgreich ist und sich wohlfühlt. Die Umweltbedingungen, die dafür verantwortlich sind, bestimmen im Wesentlichen wir Menschen. Nur ist die Dynamik bei den Insekten und Tieren eher noch intensiver und schneller als bei den Pflanzen, da sie sich bewegen können…jedenfalls schneller und autonomer als die Pflanzen. Einwandernde erfolgreiche Insekten lernen wir dann meist als neue Schädlinge kennen, vor denen gewarnt wird (wie vor den invasiven Neophyten). Aber ich kenne keinen Fall, wo es langfristig gelungen ist, solche Wanderungsbewegungen aufzuhalten. Glücklicherweise zeigt sich fast immer, dass sich irgendwann ein neues Gleichgewicht einstellt. Fast immer, aber nicht immer – auch damit müssen wir leben, auch das ist Natur. Notabene sind auch die einwandernden Schädlinge immer auch früher oder später Nützlinge.
Ökosysteme sind eben keine fix definierten und historisch stabilen Gefüge, sondern stellen sich immer wieder neu zusammen. Studien zeigen, dass sich dabei überraschend schnell neue Fits ergeben. Auch in der Natur ist Opportunismus, das Ergreifen von Chancen, eine Pflicht. Nur so können Tiere, Insekten und Pflanzen überleben. Ideologie ist eine späte Erfindung des Menschen: Nur ein Ideologe kann darauf kommen, dass das Alte besser ist als das Neue, und das Einheimische wertvoller als das Fremde.
So und jetzt zur Wechselwirkung von Pflanzen und Insekten: Insekten brauchen Pflanzen als Nahrung (und übrigens auch als Droge, als Stimulans), Pflanzen brauchen Insekten für die Bestäubung, Tiere für die Verbreitung ihrer Samen. Aber auch hier stellen sich neue Gleichgewichte ein, der Nahrungsplan der Insekten ist ziemlich offen… Es zeigt sich, dass Insekten ihren Nahrungsplan teilweise sogar dann umstellen und umstellen können, wenn sie sehr spezialisiert waren und sich in Koevolution zu einer Pflanze entwickelt haben, die aus was für Gründen auch immer verschwindet. Und selbstverständlich ist es auch möglich, dass einem so spezialisierten Insekt irgendwann doch die Nahrung ausgeht, wenn die Pflanze auswandert. Dies würde aber nur dann gegen neue Pflanzen sprechen, wenn sie systematisch der Grund wären, dass alte Pflanzen ‘verdrängt’ werden. Dies ist aber nicht der Fall, auch wenn es häufig behauptet wird.
Ein gutes Beispiel für den neuen Fit zwischen neuen Pflanzen und Insekten sind die Buddleja, immer voll von Insekten und Schmetterlingen. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf, wird dann argumentiert:
A Es würden sich nur die verbreitetsten und nicht die seltensten Insekten auf Buddleja wiederfinden
B Die Buddleja würden die Schmetterlinge sozusagen besoffen machen, wirkten als Droge
Zu A: Das ist eine statistische Binsenwahrheit, natürlich sind die häufigen Insekten auch häufig auf Buddleja
Zu B: Natürlich ‘besaufen’ sich Insekten und Schmetterlinge teilweise auf ihren Futterpflanzen, das ist ja eben auch Teil der Anziehungskraft, die Pflanzen auf Insekten haben. Wollen wir ihnen die Freude nicht gönnen?
So, jetzt habe ich aber ein Editorial-Bier verdient! Übrigens: Die Hopfenblüte ist nur für die Bierherstellung geeignet, wenn wir verhindern, dass sie von Insekten befruchtet wird. Entsprechend wäre also das Bier zutiefst bienen- und insektenunfreundlich.
Wollen wir jetzt konsequenterweise aufs Bier verzichten?
Zum Wohl!
Markus Kobelt
Markus Kobelt ist Gründer und zusammen mit seiner Frau Magda Kobelt Besitzer von Lubera.
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