Eine ziemlich aussergewöhnliche Postfiliale: Ein alter Kuhstall im beschaulichen Thurgauer Dorf Erlen.
Im thurgauischen Erlen wird die Post aus der Region in einem verlassenen Kuhstall zwischengelagert. Die Schweizerische Post bestätigt unsere Beobachtung - und spricht von einer «offiziellen Depotstelle».
Erst waren einige Briefe etwas angefeuchtet, dann kam ein Prospekt triefendnass an, und am nächsten Morgen war sogar eine Ladung teilweise gefroren. Der Briefkasten konnte nicht schuld daran sein, also ging ich auf Beobachtungstour, denn nichts ist schlimmer als ein nasser Steuerbescheid. Ich beobachtete, wie die nette Zustellerin bei uns vorfuhr, mühsam ihren Elektrokarren mit der blossen Hand von Schnee und Regen frei wischte und die Post rausklaubte. Dann geschah das Unvermeidliche: Eisbrocken fielen hinein, sie merkte es nicht und logischerweise mussten nun etliche Sendungen nass werden. Das darf ja nicht wahr sein! Erst schliesst man unsere Post, obwohl man immer warten musste, und nun müssen die Briefträger weit über Land fahren.
Mit Elektrofahrzeug quer übers Land
Der Detektiv in mir machte sich bemerkbar, und er war schnell zufrieden: Punkt acht Uhr am Morgen spielen sich galaktische Szenen vor der Post in Amriswil ab. Wie die Bienen schwärmen Dutzende von Pöstlern mit ihren Elektrofahrzeugen in alle Richtungen. Kurze Recherche: Anstatt in den geschlossenen Postfilialen muss nun hier in ziemlicher Enge sortiert und beladen werden und dann – oh, welch atypisches Bild für die Schweiz! - fahren sie bei jedem Wetter über Land zu ihren Einsatzdörfern, nach Erlen sind das acht Kilometer über stark befahrene Hauptstrassen. Lieferungen mit Lastwagen vor Ort, wie es bisher üblich war, wurden wegrationalisiert, «weil diese Form billiger ist.» Da kann der Bürger nicht schweigen. Ich schrieb Frau Post-CEO Ruoff persönlich an, schilderte diese beschämenden Umstände, und ein Untergebener antwortete sarkastisch: «98 Prozent unserer Briefzusteller sind mit ihrer Arbeit sehr zufrieden.» Der Detektiv in mir forschte weiter: Stimmt, aber dieses Resultat stammt aus der Zeit vor den Postschliessungen. Ich konfrontierte Pöstler mit dieser Aussage. Die Antwort: «Ich muss zufrieden sein, sonst verliere ich meinen Job. Ausserdem ist es in Deutschland viel schlimmer, da darf man noch nicht einmal krank werden.»
Damit war diese Sache für mich notgedrungen beendet, denn mit einem Riesen wie der Post und noch mit einer Frau an der Spitze, kann man sich nur erfolglos anlegen. Ja, das tönt und ist sexistisch, aber wenn eine Chefin solche Vorkommnisse mit ihren Mitarbeitern zulässt, ist diese Einschätzung verstehbar.
Eine ziemlich aussergewöhnliche Postfiliale: Ein alter Kuhstall im beschaulichen Thurgauer Dorf Erlen.
Post mit Duftnote
Die nächste Überraschung kam wenige Wochen später. Die Briefe waren dank Frühling wieder trocken, aber sie rochen. Zuerst dachte ich, dass unser Lieblingsbauer Gülle ausgefahren habe, doch es kam immer wieder vor: Die Briefe und vor allem die dicken Kataloge rochen nach warmem Kuhstall. Mein Detektiv hatte es dieses Mal schwerer, doch der Zufall kam ihm zu Hilfe: Mitten im Dorf treffen sich nun die Zusteller, fahren möglichst unauffällig an ein Bauernhaus, öffnen eine vergammelte Tür und holen dort ihre zwischengelagerten Ladungen ab. Ich vergass meine gute Erziehung und öffnete – wissend, dass ich damit einen Hausfriedensbruch begehe – heimlich die Tür und traute meinen Augen nicht: In einem alten, dreckigen Kuhstall lagen auf dem Boden und in einer Abflussrinne durcheinander Dutzende von Postsendungen. Morgen für Morgen wiederholt sich dieser Vorgang.
Dieses Mal schrieb ich nicht an die CEO, sondern schämte mich für die Zulassung einer solchen Misere für Pöstler. Auch dieser Konzern scheffelt Geld auf dem Rücken von Mitarbeitern, die dafür gewaltige Unzulänglichkeiten ertragen müssen. Und jedes Mal, wenn ich eine Briefmarke ablecke, rieche ich daran, man weiss ja nie, in der Abflussrinne war es schliesslich noch etwas feucht.
Was sagt die Schweizerische Post zu diesen Vorkommnissen? Es handle sich um eine «offizielle Depotstelle beim Restaurant Station Poststrasse 1 in Erlen», so Mediensprecherin Jacqueline Bühlmann. «Die Depotstelle befindet sich im Schopf und ist mit einer Türe abgeschlossen.» Beim Schopf handelt es sich offenbar in der Tat um einen ausgedienten Kuhstall. Die Depotstelle diene zur Lagerung von Mehrvolumen, «demnach brauchen wir diese Ablagestelle nicht täglich.» Jaqueline Bühlmann weiter: «Der Boden ist aus unserer Sicht sauber und geeignet für die Zwischenlagerung von Briefsendungen.»
Wolf Buchinger (*1943) studierte an der Universität Saarbrücken Germanistik und Geografie. Er arbeitete 25 Jahre als Sekundarlehrer in St. Gallen und im Pestalozzidorf Trogen. Seit 1994 ist er als Coach und Kommunikationstrainer im Management tätig. Sein literarisches Werk umfasst Kurzgeschichten, Gedichte, Romane, Fachbücher und Theaterstücke. Er wohnt in Erlen (TG).
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