Auch wenn das Thema Sex omnipräsent erscheint – nach wie vor reden viele nicht gern darüber. Genau solche Gespräche sind das tägliche Brot von Prisca Walliser aus Gais. Die ausgebildete Sexualtherapeutin und Dozentin möchte mit ihrer Arbeit Menschen zu einer erfüllenden Sexualität verhelfen.
Prisca Walliser, Sie sind ausgebildete Hebamme und Pflegefachfrau, und arbeiten jetzt als Sexualtherapeutin sowie Dozentin für Sexualpädagogik. Wie sind Sie dazu gekommen?
Das hat sich kontinuierlich entwickelt. Schon als Hebamme wurde ich an Schulen für Aufklärungsunterricht eingeladen und als Referentin für Elternabende zum Thema kindliche Sexualentwicklung. Mit der Ausbildung zu Sexualpädagogin im Jahr 2001 war dann der Grundstein für weitere Bildungsschritte im Bereich Beratung und Therapie gelegt.
Wie sieht Ihr Arbeitsalltag als selbständige Fachfrau aus?
Sehr facettenreich und verbunden mit viel Gestaltungsraum. Im Mittelpunkt steht immer das Thema «Sexualität». Sei es in meiner Praxis als Sexualberaterin, als Referentin/Dozentin oder im Rahmen von Aufklärungsworkshops mit Kindern und Jugendlichen.
Sie haben verschiedenste Weiterbildungen absolviert – unter anderem auch im Tantrabereich. Weshalb sind solche Hintergründe für Ihre Arbeit wichtig?
Sexualität hat verschiedene Facetten und begleitet uns durch unser ganzes Leben. Unsere Biografie, unser «Sexuelles Geworden Sein» nehmen wir dabei immer mit. In der tantrischen Arbeit wird der Blick auf dieses «Geworden Sein», die damit verbundenen Verletzungen, gebundenen Energien, aber auch auf unser Potenzial gerichtet. Diese Auseinandersetzung und Reflexion haben mir persönlich und fachlich sehr viel gebracht und die komplexen Zusammenhänge, welche der Sexualität innewohnen, noch von einer anderen Seite aufgezeigt.
Welche Menschen kommen zu Ihnen, um sich Unterstützung und Rat zu holen?
Die Anliegen meiner Klientinnen und Klienten sind sehr unterschiedlich und breit gefächert: Keine Lust auf Lust, unterschiedliches Begehren, Erektionsstörungen, Orgasmusprobleme, Scham, Missbrauchserfahrungen, Neuorientierung nach Krankheit oder Operation, Suchtverhalten, Verunsicherung in der sexuellen Orientierung und Identität, um nur einige zu nennen. Meine Klientinnen und Klienten sind im Alter zwischen 18 und 80 Jahren. Dieses breite Altersspektrum macht es so spannend für mich als Therapeutin. Viele der Ratsuchenden sind sehr motiviert, Wege zu einer erfüllenderen, unbeschwerteren, lustvolleren Sexualität zu finden. Manchmal steht auch Verzweiflung und Ratlosigkeit im Vordergrund, und das Gefühl, in einer Sackgasse gelandet zu sein. Ich bin mir bewusst, dass es für viele Menschen nicht einfach ist, über Sexualität zu reden. Gleichzeitig fühlen sich viele Menschen nicht glücklich mit ihrem Sexualleben. Als Paar- und Sexualtherapeutin versuche ich, zu unterstützen und sehe mich als «Hebamme für die Sexualität».
Sexualität ist oftmals nach wie vor ein Tabuthema, wenn es um einen persönlich geht. Wie gross – oder eben nicht – ist die Hemmschwelle, bis die Menschen zu Ihnen kommen?
Das nehme ich auch so wahr. Es ist oft noch ein Tabuthema, wenn es um das wirklich Eigene und Intimste geht. Oftmals haben wir nicht gelernt, über sexuelle Dinge und unsere Bedürfnisse wirklich zu sprechen. Die «Omnipräsenz von Sexuellem» ist da auch nicht sonderlich hilfreich. Nicht selten höre ich von meinen Ratsuchenden, dass da ein neuer Leistungsdruck entsteht, der nicht förderlich ist für eine unbeschwerte, selbstbestimmte Sexualität.
Wie hat sich Ihre Arbeit in all den Jahren verändert?
In der Praxis sind die Grundthemen weitgehend die gleichen. Was sich in meiner Arbeit verändert hat, ist der Einfluss der Digitalisierung. Im positiven wie im negativen Sinn.
Sie beraten Eltern, Frauen, Pädagogen, auch über Sexualaufklärung im Zeitalter der digitalen Überflutung. Was macht den grössten Teil Ihrer Arbeit aus?
Mein Hauptengagement liegt sicherlich in der Praxis und in der Multiplikatoren Aus- und Weiterbildung. Auch die Vortragstätigkeit ist ein fester Bestandteil.
Welche Begegnungen und Geschichten motivieren Sie für Ihre tägliche Arbeit?
Dass sich Menschen mir mit Ihrem Intimsten anvertrauen, oder dass Jugendliche sich trauen, auch «heisse Fragen» zu stellen. Das berührt und bestärkt mich, meine Erfahrung und Kompetenzen weiter zur Verfügung zu stellen. Im Dienste einer selbstbestimmten, erfüllenden Sexualität.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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