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Neues Online-Medium

«Wer austeilt, muss auch einstecken können»

Ab heute gibt es ein neues Online-Medium namens «zackbum». Ein Dreierteam will der Medienkritik wieder ein Zuhause geben. Wir haben mit René Zeyer darüber gesprochen, einem der Gründer, der auch Kolumnist bei unserer Zeitung ist.

Stefan Millius am 25. Juli 2020

Seit Samstagmorgen, 25. Juli 2020 ist zackbum.ch online. Unterzeile: «Die Medien-Show». «zackbum» will laut den Gründern «fundiert recherchierte und süffig präsentierte News, Analysen, Klatsch und Meinungen aus der Welt der Schweizer Medien» liefern. Das Publikum sind in erster Linie, aber nicht nur Medienschaffende. Das Gründerteam besteht aus den drei Journalisten Beni Frenkel, Lorenz Steinmann und René Zeyer.

Der erste Eindruck: Wenn es in diesem Takt weitergeht, wird es für Medieninteressiert mit Sicherheit lohnend sein, jeden Tag reinzuschauen. Der Ton ist hart, aber nicht unfair, die Themen gehen über Medien-Internes hinaus, das meist nur Direktbetroffene interessieren. Ein Rückblick auf eine Republik-Story, die etwas aus den Fugen geriet, die schwindenden NZZ-Auflagezahlen und die Arbeit des Presserats bilden die Pfeiler der ersten Ausgabe. Alles in der Tat süffig geschrieben, mit einer wohltuend klaren Haltung.

Die «Schweiz am Wochenende» hat das Portal in der aktuellen Ausgabe bereits besprochen und konzentriert sich dabei auf die Personen hinter dem Medium. Diese werden als «Aussortierte» bezeichnet, weil alle drei es offenbar schwer haben, ihre Texte bei Medien unterzubringen. Wobei sich die Frage stellt, ob das mehr über die zackbum-Leute oder die Medienlandschaft aussagt.

René Zeyer ist den Lesern von «Die Ostschweiz» als Kolumnist mit spitzer Feder bekannt. Wir haben mit ihm über die Lancierung des neuen Online-Mediums gesprochen.

Warum hat der Schweiz gerade noch zackbum gefehlt?

Weil zum Trauerspiel der abserbelnden Medien gehört, dass Medienkritik oder Reflexion über die Zukunft der Medien kaum mehr stattfindet.

Mal im Ernst, ist Ihnen wirklich nichts Besseres als zackbum eingefallen?

Doch, wir dachten zuerst an einen Titel wie «Miszellen für die gebildeten Stände» oder «Der Medienbeobachter», aber dann berührte Beni dieser Geniestreich. Lorenz und ich waren natürlich sauer, weil uns nichts Besseres einfiel.

Sie sind nicht mehr der Jüngste, Ihr Mitstreiter Lorenz Steinmann auch nicht. Ist das einfach das Alterswerk von zwei frustrierten Journalisten?

Nun, Kindersoldaten in ihren Verrichtungsboxen im Newsroom sind tatsächlich nicht am Werk. Aber wir haben ja den Jungspund Beni Frenkel an Bord, und dann haben wir noch etwas: Wir sind offen für die Debatte. Widerworte sind erwünscht. Wer austeilt, muss auch einstecken können, das ist unser Lebensmotto. Im Übrigen ist natürlich «Die Ostschweiz» unser Vorbild in fast allem, ausser im Dialekt.

Wer soll denn das Zielpublikum sein?

Seien wir doch ehrlich: Journalisten tun nur so, als würden sie sich für etwas anderes als für sich selbst interessieren. Daher hat unsere umfangreiche Marktforschung ergeben, unter Berücksichtigung von Mitbewerbern und mitsamt einer Finanzflussplanung für die nächsten 24 Monate: zackbum wird einschlagen wie eine Rakete.

Apropos, wer zahlt denn den Spass?

Nun, wir haben da eine einfache Rechnung aufgemacht. Für drei Artikel am Tag verröstet die «Republik» mit 50 Nasen irgendwas um die 6 Millionen im Jahr. Drei Artikel schaffen wir auch, und man muss erst noch nicht so tapfer sein, sich durch 30'000 Buchstaben zu quälen. Also ergibt sich daraus ein Salär von 2 Mio. pro zackbum-Macher. Das steht mal fest, jetzt arbeiten wir noch am Formulieren der Bettelbriefe.

Sie weichen aus.

Aber nur deshalb, weil uns die Wahrheit sowieso niemand glaubt: Wir zahlen alles aus dem eigenen Sack.

So viel Mitteilungsbedürfnis?

Wie sagte schon Karl Kraus so richtig: Der treffende Aphorismus setzt den getroffenen Aphoristiker voraus. Was hier bedeutet, dass wir uns ein Weilchen vorjammerten, dass es eigentlich keinen Platz mehr für angriffige, keine Filterblase und keine Gesinnung bedienende Medienbeobachtung mehr gibt. Dann war’s nur noch ein kurzer Weg bis zu zackbum.

Wie haltet Ihr’s mit Hierarchien, wer ist der Chef? Sie?

Daran wäre das Projekt fast gescheitert, weil jeder natürlich möglichst viele Federn am Hut wollte. Aber nach ausführlichen Organigrammen mit Schnittstellen, Reporting, direkten und indirekten Weisungsbefugnissen, kamen wir gerade noch rechtzeitig auf die richtige Idee: Wir sind zu dritt, also sollte im Normalfall eine Mehrheit herzustellen sein. Und die Mehrheit hat bekanntlich immer recht. Ich darf einfach den Mediensprecher spielen, weil nur noch dieser Titel übrig war.

Wie finden Sie Ihre Themen, wie steht es denn mit der Qualitätskontrolle?

Also, ich fühle mich von Themen geradezu umzingelt, und meine beiden Kollegen leiden auch nicht unter Schreibstau. Als unerbittlichen Qualitätsfilter haben wir einen Tagesverantwortlichen. Wie der Name schon sagt, entscheidet der, was an seinem Tag publiziert wird oder was nicht. Im Zweifelsfall konsultiert er die Kollegen. Intern gilt sowieso das «mindestens vier Augen»-Prinzip. Also jeder eigene Text wird von den beiden anderen beäugt; wenn sie keine Lust dazu haben, gibt’s auch kein Beschwerderecht.

Haben Sie feste Rubriken, Pflichtstoffe, wollen Sie ausgewogen sein?

Beim Aufsetzen dieser Plattform, wobei wir an den grossmäulig Redaktionskonferenz genannten lustigen Abenden die eine oder andere Flasche höhlten, war uns klar: flache, ganz flache Hierarchien, ja keine Bürokratie. Keine Selbstpositionierung, keine internen oder externen Regelwerke, keine Manuals, Drehbücher, Textveredelungen, Koordinatoren und all diesen Quatsch. Sondern alles ganz einfach halten: machen. Wenn’s funktioniert, weitermachen. Wenn’s ein Problem gibt, Problem lösen, aber nicht vorher hyperventilieren. Denn wenigstens einen Gewinn wollen wir schon einfahren: Spass haben.

Sehen Sie die Plattform nicht doch auch als Businessmodell, haben Sie zum Beispiel Werbung?

Natürlich, dafür sind wir ja schon religiös und weltanschaulich breit aufgestellt. Ein Jude, ein Linksliberaler und ein Atheist. Da Google aber erst zur Kenntnis nehmen muss, dass es uns überhaupt gibt, mussten wir bislang noch keine Werbewilligen abweisen. Kann aber noch kommen. Genauso wie die Bezahlschranke, die VIP-Mitgliedschaft, der Fanclub und bezahlte Claqueure.

Wie viel Zeit geben Sie sich bis zur Entscheidung, ob zackbum genügend Resonanz findet?

Nun, aus bitteren Erfahrungen von Anfängern und Stümpern lernend, haben wir natürlich die ersten zwei Jahre durchfinanziert, grosses Ehrenwort. Dabei haben wir nicht mal eine reiche Pharma-Erbin, das Herrgöttli aus Herrliberg oder andere stinkreiche Investoren hinter uns. Sollten wir aber feststellen, dass es den Lesern doch nicht so viel Spass macht wie uns, dann werden wir still und leise und ohne Gejammer den Stecker ziehen.

Bei den ersten Themen sieht man, dass kräftig in alle Richtungen ausgeteilt wird. Schön ausgewogen bekommt die «Republik» was ab, aber auch die NZZ. Soll’s in diesem Stil weitergehen?

Der von mir sehr bewunderte Balzac sagte schon vor fast 200 Jahren: «Der Journalismus ist eine Hölle, ein Abgrund, in dem alle Lügen, aller Verrat, alle Ungerechtigkeit lauert; niemand bleibt rein, der ihn durchschreitet.» In diesem Sinne verstehen wir uns durchaus als Putzequipe. Manchmal mit dem weichen Fensterleder, manchmal mit der Stahlbürste. Kommt immer darauf an, wie hartnäckig oder widerstandsfähig der Schmutz ist. Denn bei allen Differenzen eint uns drei eines: Wir lieben Journalismus. Deshalb wollen wir ihn knutschen und schlagen. So wie es in jeder Liebesbeziehung zugeht.

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Autor/in
Stefan Millius

Stefan Millius (*1972) ist freischaffender Journalist.

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