Wer sich um Menschen mit Demenz kümmert, braucht Geduld, Ausdauer und Kraft. Was eine solche Diagnose für Betroffene und Angehörige bedeutet, darüber spricht Dr.med. Ansgar Felbecker an einem Vortrag und im Interview mit «Die Ostschweiz».
Switzerland Innovation Park Ost (SIP Ost) macht mit der einer sechteiligen Veranstaltungsreihe das Thema «Demenz» sichtbar und beleuchtet es aus verschiedenen Perspektiven.
Der nächste Anlass findet am 9. November im Innovationspark (SIP Ost, Feld 7) statt. Dr. med. Ansgar Felbecker vom Kantonsspital St.Gallen hält einen Vortrag mit dem Titel: «Diagnose Demenz – was heisst das?»
Herr Felbecker: Was heisst das denn nun genau - zum Beispiel für die Direktbetroffenen?
Die Diagnose einer Demenz ist in der Regel zunächst einmal ein Schock. Darauf folgen sehr unterschiedliche Reaktionen, und es ist wichtig, dass wir im Diagnosegespräch Raum geben für diese Emotionen. In den Tagen und Wochen nach der Diagnose beginnt der Prozess der Krankheitsverarbeitung, in dem den Betroffenen und Angehörigen bewusst wird, was sich in der Zukunft durch die Diagnose ändern könnte. Dieser Prozess ist sehr individuell und kann auch durch das Behandlungsteam beeinflusst werden. Es gehört zu unseren Aufgaben, in dieser Phase sehr präsent zu sein und den Betroffenen zu helfen. Mit der Diagnose Demenz rückt ein zentrales Therapieziel in den Vordergrund: Lebensqualität.
Und für deren Angehörigen?
Für die Angehörigen kann die Diagnose eine Belastung darstellen, da sie mit der Diagnose Demenz Bilder von pflegebedürftigen Menschen in einem späten Krankheitsstadium verbinden. Es ist unsere Aufgabe, den Fokus der Angehörigen auf die nahe und mittlere Zukunft zu richten und Ängste vor der fernen Zukunft zu nehmen. Für manche Angehörige ist die Diagnose aber auch eine Entlastung, da nun die Probleme im Alltag erklärbar werden und die Unsicherheit «einen Namen bekommt».
Bei welchen Anzeichen ist eine Untersuchung auf Demenz angezeigt?
Immer, wenn ein Verlust früherer kognitiver Fähigkeiten vorliegt. Damit sind nicht kurze Schwankungen gemeint, wie wir sie alle kennen, wenn wir zum Beispiel abgelenkt oder unausgeschlafen sind. Sondern eine kontinuierliche Abnahme über mindestens drei bis sechs Monate.
Demenz gilt als unheilbar. Medikamente sollte man aber trotzdem nehmen, oder? Was bewirken diese?
Zunächst einmal gibt es nicht die Erkrankung «Demenz». Es verbergen sich hinter dem Begriff viele verschiedene Erkrankungen. Wenige davon sind tatsächlich heilbar. Die meisten aber bis heute tatsächlich nicht. Für die Alzheimererkrankung gibt es Medikamente, die «symptomatische» wirken. Das heisst, sie mildern die Symptome etwas, können die Erkrankung aber nicht stoppen. Aber zusammen mit nicht-medikamentösen Therapien können sie durchaus helfen.
Kann man Demenz vorbeugen? Und wenn ja, wie?
Ja, teilweise. Etwa 40 Prozent der gesamten Demenzfälle könnten verhindert werden, wenn alle bekannten präventiven Massnahmen von allen konsequent umgesetzt werden. Dazu gehören: hohes Bildungsniveau, Reduktion allgemeiner Risikofaktoren (Bluthochdruck, Rauchen, Zuckerkrankheit), Behandlung von Depression und wenig Alkohol. Manche sind weniger bekannt, aber auch wichtig: Vermeidung sozialer Isolation, Vermeidung beziehungsweise Behandlung von Hörverlust, Reduktion von Luftverschmutzung.
Wie lange soll oder kann eine an Demenz erkrankte Person zu Hause bleiben und wann ist der Umzug in ein entsprechendes Pflegeheim angebracht?
Das ist sehr individuell und hängt davon ab, wie viel Betreuung die Angehörigen aufbringen können oder wie viel professionelle Betreuung sie sich leisten können. Denn im Gegensatz zu Therapien werden die Betreuungskosten leider nicht von der Grundversicherung übernommen. In der Beratung versuchen wir aber auch die Ängste zu nehmen: Es kann der Punkt in der Demenzpflege kommen, wo der Umzug in eine Institution für alle Beteiligten die beste Lösung ist. Oft stehen dieser rationalen Entscheidung aber emotionale Aspekte im Weg, wie zum Beispiel das Versprechen aus frühen Zeiten, die Partnerin oder den Partner nie in ein Pflegeheim zu geben.
Was bereitet Angehörigen im Umgang mit einer demenzerkrankten Person am meisten Mühe?
Oft fehlt irgendwann einfach die Geduld. Die Angehörigen wüssten alles, was es für einen guten Umgang braucht. Aber man schafft es einfach nicht jeden Tag gleich. Und das kann die Angehörigen auch traurig und frustriert machen. Man kann sich das kaum vorstellen, was es bedeutet, wenn eine Person, mit der man zusammenlebt, Demenz entwickelt. Irgendwann kommt bei vielen der Punkt, an dem sie keine Reserven mehr haben, um Dinge zu wiederholen, auf die Umsetzung einer Anweisung zu warten oder kleine Fehler zu akzeptieren. Man sollte früh daran denken, bei den Angehörigen die «Widerstandsfähigkeit» für solche Phasen zu stärken. Dafür brauchen sie Freiräume, in denen sie nicht für die Betreuung der Betroffenen verantwortlich sind. Wir beraten deshalb sehr früh in die Richtung, Angebote wie eine Tagesstruktur, Tagesklinik oder Tagespflege zumindest an einzelnen Tagen zu nutzen, um die persönlichen Energiespeicher wieder aufzufüllen.
Gibt es allgemeine Missverständnisse oder Unklarheiten rund um die Demenz, die Sie aus dem Weg schaffen möchten?
Ja. Wir müssen die Assoziation aus den Köpfen der Leute kriegen, dass eine Demenzdiagnose gleich einem Pflegefall entspricht. Im Gegenteil: Für eine lange Zeit können die Patienten ein halbwegs normales Leben mitten in der Gesellschaft führen, mit einer sehr guten Lebensqualität. Bedingung dafür ist, dass die Gesellschaft «demenz-freundlich», offen und geduldig ist und das soziale Netz der Patienten sie trägt.
Michel Bossart ist Redaktor bei «Die Ostschweiz». Nach dem Studium der Philosophie und Geschichte hat er für diverse Medien geschrieben. Er lebt in Benken (SG).
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