Vergangene Woche haben knapp 1000 SFS-Mitarbeitende erfahren, dass sie ab November zum gleichen Lohn mehr arbeiten sollen. Das Vorgehen löste Kritik aus. Nun nimmt CEO Jens Breu im Interview Stellung.
Interview: Yann Lengacher
Die SFS-Mitarbeitenden sollen für den gleichen Lohn zwei Stunden mehr arbeiten. Ab November. Obendrein werden ihnen per 2024 fünf Ferientage gestrichen. Davon sind schweizweit 950 SFS-Angestellte aus der Division «Automotive» betroffen. Also jenem Unternehmensteil, der für die Autoindustrie Fahrzeugteile herstellt.
Erfahren haben die Betroffenen von den Massnahmen erst Ende vergangener Woche. Das Vorgehen von SFS rufe bei den Angestellten Unmut hervor und werfe rechtliche Fragen auf, schreibt dieser Zeitung eine anonyme Person aus der Belegschaft. Gegenüber «FM1 Today» hatte Arbeitsrechtsexperte Thomas Geiser das Vorgehen von SFS kritisiert. Auf eine Anfrage beim Heerbrugger Industrieunternehmen stellte sich CEO Jens Breu für ein Interview zur Verfügung. Die Fragen beantwortete er per Mail.
Jens Breu, halten Sie sich im Alltag immer an Vereinbarungen?
Ja, die Einhaltung von Vereinbarungen ist mir persönlich sehr wichtig.
SFS scheint sich gerade nicht an den Gesamtarbeitsvertrag der Industrie zu halten. Gemäss diesem muss die Arbeiterschaft einer Arbeitszeiterhöhung über der 40-Stunden-Marke zustimmen. Bei SFS sei dies nicht passiert. Warum?
Wir unterliegen dem Gesamtarbeitsvertrag nicht. Wir haben das Mitspracherecht unserer Mitarbeitenden nicht missachtet. Die temporären Massnahmen wurden vom Mitarbeiterrat mitgetragen. Deren rasche Umsetzung und der damit geleistete Beitrag werden nur wirksam, wenn die betroffene Kollegin, beziehungsweise der betroffene Kollege einverstanden ist. Die Mitarbeitenden haben für ihre Rückmeldungen einen Monat und so ausreichend Zeit. Aber lassen Sie mich bitte kurz unsere Situation beschreiben.
Bitte.
Die Ertragskraft der Division «Automotive» ist in der Schweiz stark belastet. Gründe sind der starke Franken und uneinheitliche Kapazitätsauslastungen wegen Lieferkettenproblemen. Um diesem Trend entgegenzuwirken, hat SFS umfassende Massnahmen eingeleitet. Dazu gehören Vorkehrungen zur Produktivitäts- und Effizienzsteigerung sowie ein striktes Kostenmanagement, der vorläufige Verzicht auf Infrastrukturerweiterungen oder ein Einstellungsstopp. So wollen wir gemeinsam die Wettbewerbsfähigkeit wieder herstellen und Arbeitsplätze sichern.
SFS hat per November die Arbeitszeiten erhöht und dies erst letzte Woche kommuniziert. Selbst mit Zustimmung einzelner Arbeiter verletzen Sie gemäss Arbeitsrechtsexperte Thomas Geiser gesetzliche Bestimmungen. Haben Sie einen Fehler gemacht?
Da die rasche Umsetzung nur im Falle einer freiwilligen Zustimmung erfolgt und sonst die normalen Fristen gelten, teilen wir Herrn Geisers Einschätzung nicht.
Was passiert mit Mitarbeitenden, die die neuen Arbeitsbedingungen nicht akzeptieren?
In diesem Fall werden in einem persönlichen Gespräch die Hintergründe der Ablehnung besprochen. Sollten wir keine gemeinsame Lösung finden, kann es im schlimmsten Fall zu einer Änderungskündigung kommen. In früheren Situationen war dies nur bei wenigen Personen der Fall, wobei typischerweise die individuelle Unzufriedenheit schon zuvor bestanden hatte. Die bisherigen Rückmeldungen stimmen mich positiv, dass die Kolleginnen und Kollegen die temporären Massnahmen mittragen.
Warum haben Sie die knapp 1000 Betroffenen so kurzfristig über die neuen Arbeitsbedingungen und die gestrichenen Ferienguthaben informiert?
Rasches Handeln ist Teil unserer DNA und unseres Erfolgs. Wir sind nach intensiven Diskussionen zur Einschätzung gelangt, dass jetzt Massnahmen erforderlich sind. Anfang Jahr haben wir alle Mitarbeitenden über das «+10 Programm» informiert, das eine Produktivitätssteigerung um zehn Prozent zum Ziel hatte. Leider haben wir dieses Ziel nicht erreicht. Stattdessen hat sich die negative Entwicklung rasch beschleunigt. Die Mitarbeitenden haben wie erwähnt einen Monat Zeit, um uns ihre Rückmeldung zu geben.
Viele SFS-Mitarbeitende sind «sauer», wie eine anonyme Person berichtet. Entschuldigen Sie sich für die misslungene Kommunikation oder das Vorgehen?
Ich führe aktuell viele Gespräche – unter anderem im Rahmen von Informationsveranstaltungen für Betroffene der Massnahmen. Natürlich gibt es verärgerte Mitarbeitende. Aber ich versichere Ihnen, dass ich auch sehr viele verständnisvolle Rückmeldungen erhalte. Rückblickend hätten wir besser kommunizieren können. Das bedaure ich und möchte mich bei meinen Kolleginnen und Kollegen dafür entschuldigen.
Im Rahmen der Massnahmen sollen 25 Stellen abgebaut werden. Mit wie vielen Entlassungen und Abgängen rechnen Sie?
Dank der temporären Massnahmen können wir den Abbau auf 25 Stellen beschränken und möglichst viele Arbeitsplätze sichern. Wie sich die 25 Stellen zusammensetzen, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Wir gehen davon aus, dass es zu wenigen Entlassungen kommen wird.
SFS verbuchte im ersten Halbjahr einen Betriebserfolg von rund 190 Millionen Franken. Sparen Sie auf Kosten der Mitarbeitenden?
Der Betriebserfolg ist die Summe der Leistungen unserer acht Divisionen. Der Beitrag der Division «Automotive» war leider gering. Es ist unser Anspruch, dass jede einzelne dieser Divisionen eine gesunde Ertragskraft erreicht. Nur dank der guten Leistung anderer Divisionen haben wir die Möglichkeit, ein Massnahmenpaket zu etablieren, das zwar auch von den Mitarbeitenden einen Beitrag einfordert, aber von grösseren, schmerzlichen Restrukturierungsmassnahmen absieht. Eine Quersubventionierung durch andere Divisionen wäre unverantwortlich und brandgefährlich. Eine finanziell gesunde Verfassung hat uns auch in der Vergangenheit krisenresistent gemacht. Wir haben beispielsweise mitten in der Covid-Pandemie den Entscheid für die neue Produktionshalle in Heerbrugg gefällt.
SFS begründete die Arbeitszeiterhöhung mit Problemen in den Lieferketten, die sich auf die Auftragsbücher auswirken. Löst eine Arbeitszeiterhöhung dieses Problem überhaupt?
Kurzarbeit wäre keine Lösung, weil wir genügend Aufträge haben. Wegen der Verwerfungen in den Lieferketten ist die Auslastung aber uneinheitlich – in einigen Bereichen wird rund um die Uhr gearbeitet, in anderen haben wir eine Unterauslastung. Wir wollen nun Mitarbeitende für die Arbeit in jenen Bereichen befähigen, in denen wir Engpässe haben. Eine Schwierigkeit sind auch die Knebelverträge in der Automobilindustrie. Diese lassen nur wenig Spielraum, um Preise anzupassen.
In Zeiten des Fachkräftemangels müssen Firmen auch mit attraktiven Arbeitsbedingungen locken. Schaden Ihnen die aktuellen Massnahmen nicht mehr, als sie nützen?
Selbstverständlich wollen wir attraktive Arbeitsbedingungen anbieten. Das tun wir auch, was uns durch den «Swiss Arbeitgeber Award» seit Jahren bestätigt wird. Aber die Basis für die Arbeitsplatzattraktivität ist die Sicherheit der Arbeitsplätze. Nochmals: Wir sprechen von temporären Massnahmen als Teil eines Pakets zur Sicherstellung von Arbeitsplätzen. Dieses solidarische Konzept haben wir mehrfach mit Erfolg angewendet.
Schon 2015 hat SFS vorübergehend die Arbeitszeit erhöht. Müssen SFS-Mitarbeitende mit instabilen Arbeitszeiten rechnen?
Grosse Teile der SFS Group in der Schweiz sind auf den Export ausgerichtet. Wir beschäftigen heute etwa gleich viele Mitarbeitende in der Schweiz wie bei der Einführung des Euros vor gut 20 Jahren. Damals galt ein Wechselkurs von einem Franken und 60 Rappen, heute sind es 95 Rappen. Diese unternehmerische Leistung ist das Resultat einer kontinuierlichen Weiterentwicklung und Anpassung an die Rahmenbedingungen.
Auch die Löhne von Mitgliedern des Divisionsmanagements werden gekürzt. Verzichten Sie auch auf Geld?
Die Lohnkürzungen der Führungscrew sind ein wichtiges Zeichen gegenüber den Kolleginnen und Kollegen. Auch ich werde meinen Lohn um zehn Prozent kürzen.
Hinweis: Dieser Text ist zuerst auf Rheintaler.ch erschienen.
(Bild: pd)
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