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Gastkommentar

Weshalb wir Russland wieder mit an Bord holen müssen

Seit der Annexion respektive Sezession der Krim ist das Verhältnis zwischen Russland, den USA, der EU und anderen «westlichen» Staaten mehr als nur angespannt. Statt miteinander auf Augenhöhe zu diskutieren, schiebt man sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu.

Michael Lindenmann am 30. Juni 2021

Die Medien beider Seiten tragen in diesem Zusammenhang wenig zu einem beiderseitigen Verständnis bei. Hinzu kommen mangelhafte Kenntnisse der Geschichte, Sprache und Kultur Russlands; ergänzt um ein auf beiden Seiten historisch gewachsenes Misstrauen. Angesichts der «Expansionspolitik» Chinas täten wir gut daran, Russland zu integrieren, statt auszuschliessen. Das erst kürzlich in Genf durchgeführte Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Staatspräsident Wladimir Putin gibt Anlass zur Hoffnung.

Geschichte kennen

Wenn während der obligatorischen Schulzeit über die Geschichte des Vielvölkerreichs Russland gesprochen wird, dann allenfalls über den Zeitraum zwischen der Oktoberrevolution 1917 und der Auflösung der Sowjetunion 1991. Demgegenüber wird dem Entstehen des multiethnischen, -religiösen, -kulturellen und vielsprachigen Russlands zwischen dem 16. und 19. Jahrhundert keinerlei Aufmerksamkeit geschenkt wie auch dem intensiven Austausch zwischen Russland und dem «Westen». Füllen wir diese Wissenslücken, verstehen wir Russland besser!*

Kultur wertschätzen

Im Zusammenhang mit Russland herrscht in unseren Breitengraden noch immer das pauschale Bild eines rückständigen Landes vor; ungeachtet der unterschiedlichen Ethnien, Religionen, Kulturen und Sprachen, die sich im grössten Flächenstaat der Welt mit sage und schreibe elf Zeitzonen finden. Überdies wird gerne vergessen, wie europäisch Städte wie Moskau, St. Petersburg oder Kaliningrad sind und wie gross der Einfluss der russischen Intelligenzija auf Westeuropa war und bisweilen noch ist. Denken wir nur an die russischen Formalisten und ihre Bedeutung für die moderne Erzähltheorie, Schriftsteller von Weltrang wie Leo Tolstoi, Fjodor Dostojewski oder Alexander Puschkin, oder die zahlreichen Naturwissenschaftler, die 1957 mit Sputnik den ersten Satelliten in den Weltraum beförderten. Etwas mehr Wertschätzung wäre mehr als nur angebracht.

Imperium respektieren

Seit der Auflösung der Sowjetunion sieht sich der «Westen» als systemischer und ideologischer Sieger. Dies lässt man die Russen auch heute noch bei nahezu jeder Gelegenheit spüren. Dieses historische Ereignis hat sich tief in das kollektive Bewusstsein Russlands eingebrannt. Dass das von Francis Fukuyama in diesem Zusammenhang prognostizierte «Ende der Geschichte» gerade nicht eingetreten ist, veranschaulichen die schon jetzt angelaufenen Feierlichkeiten anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums der Kommunistischen Partei Chinas. Angesichts dessen sollten wir es nicht darauf ankommen lassen, dass sich das uns historisch, kulturell, sprachlich und religiös viel nähere Russland vom «Westen» distanziert und sich China annähert. Dies setzt allerdings auch voraus, den imperialen Anspruch Russlands anzuerkennen.

* Für einen ersten Überblick über die Geschichte Russlands empfiehlt sich nach wie vor folgendes Standardwerk: Kappeler, Andreas: Rußland als Vielvölkerreich. Entstehung, Geschichte, Zerfall, um ein Nachwort ergänzte Auflage, München 2008.

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Autor/in
Michael Lindenmann

Michael Lindenmann (*1989) studierte Geschichte und Deutsche Sprach- und Literaturwissenschaft an den Universitäten Zürich und Basel. Nach Stationen bei Swisscom und einer Zürcher PR-Agentur zog es ihn wieder in die Ostschweiz, um für eine St.Galler PR-Agentur zur arbeiten. Nach sechs Jahren wechselte er als Head of Communications and Community Management zur St.Galler Agentur am Flughafen. Er lebt in der Äbtestadt Wil.

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