Helden und Superkräfte: Andreas Peter referiert am Networking-Tag darüber, welche faszinierende Geschichten das Leben schreibt. Weshalb fesseln uns manche Geschichten, manche wiederum überhaupt nicht?
Der Networking-Tag steht unter dem Motto ««Heroes» Das Leben schreibtfaszinierende Geschichten.». Welches würden Sie als Ihre Super-Kraft beschreiben?
Ich denke, was als Superkraft gilt, ändert sich über die unterschiedlichen Lebensphasen und beruflichen Kontexte hinweg. Aktuell ist meine Superkraft sicher das Transformieren eigener und fremder, wissenschaftlicher Erkenntnisse in visuell-gestützte Denk-Methoden und -Werkzeuge, welche die Superkräfte in anderen wecken und fördern. Wichtig erscheint mir aber immer die Beurteilung einer Eigenschaft oder Fähigkeit in ihrem Umfeld. Was in einer bestimmten beruflichen Funktion als Schwäche gilt, kann in einer anderen Funktion oder einem anderen Arbeitsort eine Superkraft sein. Viele entdecken ihre Superkraft deshalb erst spät im Berufsleben – oder gar nie.
Sie referieren zum Thema Geschichtenerzähler. Wie gut muss das eine Führungskraft beherrschen, um erfolgreich zu sein?
Das Geschichtenerzählen ist keine Fähigkeit, die eine Führungskraft unbedingt beherrschen muss. Sie kann aber zu Dingen befähigen, die ohne sie schwerer zu erreichen sind. Das Erzählen packender Geschichten hilft Mitarbeitende zu motivieren, komplexe Sachverhalte verständlich zu machen, zentrale Botschaften in den Köpfen zu verankern oder eine erwünschte Unternehmenskultur zu formen – um nur einige Beispiele zu nennen. Im Aufgabenspektrum von Führungskräften – aber auch von Personen ohne Führungsfunktion - finden sich viele Aspekte, die durch die Fähigkeit des Geschichtenerzählens wirkungsvoller ausgeführt werden können.
Am Networking-Tag geben Sie Tipps, wie man die Geschichten packend erzählen kann. Viele schmücken die Geschichten ja aus, und übertreiben nicht wenig. Wie viel «Beigemüse» darf es sein, damit man dennoch bei der Wahrheit bleibt?
Wenn man die Ernährungspyramide betrachtet, sollte man zu jeder Mahlzeit ausreichend Gemüse essen, um langfristig gesund zu bleiben. Dabei sollte das Gemüse möglichst naturbelassen und unverarbeitet – oder anders ausgedrückt ‘ehrlich’ - sein. Wer also beim Geschichtenerzählen «Beigemüse» hinzufügt, sollte darauf achten, dass es langfristig keinen schädlichen Einfluss auf die eigene Gesundheit hat – und nicht «überverarbeitet» ist. Wer leicht übertreibt, um die wahre Kernbotschaft klarer zu vermitteln, richtet wohl noch keinen grossen Schaden an. Wer dies permanent und in extremis tut, wird seinen guten Ruf schnell verlieren. Ich denke, es geht immer um die dahinterstehende Absicht. Ist diese redlich und den Geschichtenzuhörenden wohlgesinnt, darf es wohl etwas mehr «Beigemüse» sein.
Für all diejenigen, die sich nicht wohlfühlen, wenn sie im Mittelpunkt stehen und eine Geschichte wiedergeben müssen: Haben Sie Tipps, wie man das lernen kann?
Das Geschichtenerzählen muss nicht zwingend auf einer Bühne vor Publikum geschehen. Es kann auch subtiler verwendet werden – beispielsweise beim Verfassen eines Projektberichts, der Vermittlung einer Datenanalyse oder beim Erzählen eines Ferienerlebnisses in der Kaffeepause. Die Wirkung des Geschichtenerzählens entfaltet sich nicht nur in der theatralischen Form, sondern auch durch die Strukturierung und Archetypisierung des vermittelten Inhalts beziehungsweise der Kernbotschaft. Jenen, die nicht als Person im Mittelpunkt stehen wollen, stehen heute viele Möglichkeiten offen, eine Form zu finden, welche zu ihnen passt - vom Verfassen von Blogartikeln, über Tiktok-Videos bis zur dramaturgischen Vorbereitung von Flipcharts und Powerpoint-Präsentationen für das nächste Meeting, um nur einige zu nennen. Wichtig ist herauszufinden, in welchem Medium man sich am wohlsten fühlt. Eine einfache Methode damit zu starten, werde ich am Networking-Anlass mit auf den Weg geben.
Wenn Sie sich zurückerinnern: Gab es eine Geschichte, die Sie so richtig fasziniert hat?
Davon gibt es unzählige, je nach Lebensphase und Interessensbereich. Wenn ich die Frage etwas umformulieren darf: Welche Geschichte sollte uns faszinieren? Ich denke, jenseits narzisstischer oder psychoanalytischer Absichten, sollte dies die eigene sein. Woher komme ich, was und wer hat mich geprägt, weshalb denke ich was und wie ich denke – und welche wahren Geschichten möchte ich dereinst meinen Enkelinnen und Enkeln über mich und mein Leben erzählen? Was immer man tut, man ist immer die Hauptfigur der eigenen Geschichte – und man hat es in der Hand, das Drehbuch, bis zu einem gewissen Grad, selbst mitzuschreiben. Das sollte faszinieren.
Sie kommen ursprünglich aus der IT-Branche der Bank. Eigentlich eine ganz andere Materie. Wollten Sie bewusst einen Gegensatz zur eher trockenen IT-Welt – oder wie kam es?
Ich habe meinen Berufsweg vor rund 30 Jahren, schon fast typisch schweizerisch, im Finanzwesen gestartet. Ich fand bald heraus, dass das kreative Suchen und Erschaffen von Neuem in meiner DNA verankert ist. Zu dieser Zeit empfand ich diese Eigenschaft aber eher als Schwäche, denn als Stärke für das berufliche Weiterkommen in dieser Branche. Da hat sich mittlerweile einiges geändert. Wohl aufgrund der unternehmerischen Vorbilder aus meiner Kindheit, suchte ich damals nach einem Umfeld, wo ich meine Kreativität als Superkraft anwenden konnte. So unternahm ich vor 25 Jahren die ersten unternehmerischen Schritte ausserhalb der geschützten Mauern einer Finanzinstitution mit der Entwicklung einer künstlichen Intelligenz zur Aktienkursprognose. Manchmal braucht es etwas länger, und die Veränderung kommt häufig von den Randbereichen und Schnittstellen, aber heute erachte ich unter den Stichwörtern ‘FinTech’, ‘Startups’ und ‘AI’ das Banken- und IT-Umfeld alles andere als trocken.
Können Sie erklären, weshalb Storytelling in der heutigen Zeit so wichtig ist?
Zum einen geht es um Aufmerksamkeit. Vielleicht haben Sie schon beobachtet, wie sie die eine Werbeschaltung überspringen, während Sie eine andere bewusst zu Ende schauen? Der Unterschied liegt meist darin, dass letztere eine Geschichte erzählt, die Sie hören und sehen wollen. Zum anderen geht es um Sinnhaftigkeit. Gerade gut qualifizierte und stark umworbene Fachkräfte suchen nicht mehr nur nach einem Job, der das Essen auf dem Tisch und das Dach über dem Kopf finanziert. Viele stellen sich die Frage, worin soll ich meine Lebens- und Arbeitszeit investieren? Ein Unternehmen muss heutzutage deshalb zunehmend eine glaubwürdige Geschichte darüber erzählen, wieso es existiert und weshalb jemand seine Energie darin investieren soll, ein Teil dieser Erzählung zu werden. Die Sinnhaftigkeit wirkt dabei nicht nur nach innen, sondern strahlt über die Markenkommunikation auch nach aussen. Die Kleidermarke Patagonia gibt dafür aktuell gerade ein eindrückliches Beispiel ab.
Und weshalb viele mit dem Begriff gleich Steve Jobs in Verbindung bringen?
Wohl gerade aufgrund des vorhergehenden Punkts – und einem berühmten Zitat von Jobs, das auf dem Internet kursiert, wonach der Geschichtenerzähler die mächtigste Person im Raum ist. In der autorisierten und wenig beschönigenden Biografie von Walter Isaacson über Steve Jobs berichtet er vom sogenannten «Reality Distortion Field», das Jobs bei seinen Mitarbeitenden zu erzeugen vermochte. Er konnte mit seinem Storytelling so überzeugend sein, dass die Topshots bei Apple plötzlich Dinge für erreichbar hielten, von denen sie zuvor gedacht hatten, sie seien unerreichbar – getreu dem alten Motto von Apple «Challenging the status quo». Jobs lebte aber auch seine Überzeugung von der Macht des Storytellings in beeindruckender Konsequenz vor: von der Unternehmensführung über die Werbung bis hin zu seinen legendären MacWorld-Keynotes, die grossartige Musterbeispiele für angewandtes Storytelling sind – inklusive des berühmten «one more thing» am Ende jeder Präsentation.
Manuela Bruhin (*1984) ist Redaktorin von «Die Ostschweiz».
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