Die Windenergie kann eine wichtige erneuerbare Energiequelle für die Schweiz werden, aber sie stösst auf Widerstand. Unsere Co-Chefredaktorin war am Infoanlass des Kantons Appenzell Ausserrhoden in Teufen und teilt ihre Eindrücke und Gedanken.
Mittwochabend, 19 Uhr, im Lindensaal Teufen. Regierungsrat und Baudirektor Dölf Biasotto spricht vor einem vollen Saal. Geraune und Gestöhne, wenn der Volksvertreter etwas sagt, das den Windkraftgegnern nicht passt.
Es erinnert ein wenig an emotionsgeladene Schulveranstaltungen vor verhassten Rektoren. Mit dem Unterschied, dass hier nicht pubertierende Heisssporne sitzen, sondern Erwachsene, die sich teils verhalten, als möchte der Regierungsrat ihnen persönlich an den Kragen.
Für Betroffene, in deren Nähe einst eine Windkraftanlage gebaut werden könnte, um die nationalen Ziele zur Produktion erneuerbarer Energie zu erreichen, mag es sich durchaus so anfühlen. Dennoch mutet es seltsam an, wenn in der Fragerunde ein Familienvater seine Partikularinteressen schildert. Sein Hauptproblem nebst der Zumutung, seine Kinder unter einem Windrad grosszuziehen: Es sei ihm nun wirklich die Lust vergangen, sein Haus, wo er zur Miete wohne, zu kaufen. Weil es ja wohl jeden Wert verlieren würde, sollte das Windrad kommen.
Der Applaus der Windkraftgegner ist dem gequälten Vater sicher. Keine einzige Windkraftanlage in den vom Kanton Appenzell Ausserrhoden als mögliche Standorte ermittelten Eignungsgebieten ist beschlossene Sache.
Geschnaube und Gestöhne
Biasotto zeigt einige Vorteile der Windkraft auf und versucht, das Publikum zu ermutigen, an eine Win-win-Situation zu glauben: Man wäre unabhängig vom Strom anderer, man könnte dereinst sogar selber in Beteiligungsmodelle investieren und so weiter. Geschnaube und Gestöhne im Publikum.
Er erinnert daran, dass die Anlagen rückbaubar seien und nicht geplant sei, dass sie für die Ewigkeit das Landschaftsbild störten. Die Hoffnung auf neue Technologien, die in einigen Jahrzehnten Windräder vielleicht obsolet machen, stirbt zuletzt.
Die Gegner, von denen eine schöne Zahl weder Rückbau noch andere Technologien erleben wird, geben auf solche Aussagen nichts. Kopfschütteln und Schniefen.
Peanuts - Hauptsache, keine Windräder
Auch von einem höheren Stromverbrauch künftiger Jahre, der ein entschlossenes Handeln fordern könnte, möchten sie nichts hören. Dass steigende Strompreise nicht wenigen Firmen die Existenzgrundlage entziehen könnte: Peanuts. Hauptsache, keine Windräder.
Zugegeben: Es ist ein Dschungel. Die Journalistin neben mir stöhnt ebenfalls, aber aus anderen Gründen: Der Windkraftstandort für den sie sich im Namen ihres Lokalblatts interessiert, wird mit keinem Wort erwähnt.
Tatsächlich wird an diesem Abend weniger über die kantonal bestimmten Eignungsgebiete Hochhamm, Waldegg, Suruggen, Honegg, Gstalden und Sonder gesprochen. Immer wieder geht es, auch auf dem rein männlich besetzten Podium, um Grundsätzliches, Technisches und um die Frage: Ist die Windenergie etwas für Ausserhoden oder nicht? Sind Windkraftanlagen schön oder wüst?
Die Meinungen sind gemacht
Die Meinungen sind gemacht. Bei näherer Betrachtung drängt sich aber der Verdacht auf, dass auf Gegnerseite nicht nur mit Fakten und rationalen Bedenken gehandelt wird. Dino Duelli von Pro Landschaft AR/AI auf dem Podium ausgenommen, der sehr darauf bedacht zu sein scheint, mehr mit Fakten als Emotionen zu argumentieren.
Hört man anderen Windkraftkritikern zu, sollen Vögel gleich schwarmweise vom Himmel fallen, wo immer ein Windrad steht. Leute schwere gesundheitliche Schäden davontragen. Entgegnungen, für die Vögel gebe es Sensoren, welche die Rotoren stoppten, sobald ein Vogelschwarm oder eine Fledermaus auftauche schlagen die Kritiker… genau, in den Wind.
Die Gemässigteren sagen: Windkraft gerne, aber nicht bei uns. Ein Befürworter kontert: Noch nie hat es irgendwo ein Windenergieprojekt gegeben, wo es keinen Widerstand gab. Aber man müsse die Relationen sehen, Verantwortung für das grosse Ganze übernehmen, solidarisch sein für saubere Energie und Nutzungsinteressen gegen Schutzinteressen abwägen.
Zur Auflockerung einige Statements aus der Podiumsdiskussion:
Werner Geiger, Appenzell Wind AG: «Wir glauben fest, dass es Windenergie braucht, weil die Alternativen fehlen. Einzige Alternative wären Gaskraftwerke, aber das will niemand.»
Dino Duelli, Pro Landschaft AR/AI: «Windenergie ergibt im Appenzellerland keinen Sinn. Bei so vielen Streusiedlungen ist der Lärm nebst der Verschandelung der Landschaft ein Grundproblem: Sie finden – ausser vielleicht auf dem Suruggen – keine Plätze mit ausreichend Abstand zu Wohnhäusern, um die Lärmvorschriften einzuhalten.»
Moderator Andreas Notter: «Kann man den Bund einfach übergehen?»
Bruno Dürr, Pro Wind St.Gallen-Appenzell, Klimatologe: «Wir sollten die Diskussion versachlichen, frisch hinschauen. Die Leute tragen veraltete Informationen herum. Die Anlagen werden stetig besser, auch wenn manche das nicht hören wollen. Dass die Anlagen leiser werden, ist beispielsweise auch im Interesse des Herstellers, denn die Reibung, die den Lärm verursacht, bedeutet Energieverlust.»
Werner Geiger, Appenzell Wind AG: «Alle tun immer so, als wollten wir sämtliche Nachbarn umbringen. Es ist wichtig, Nutzen zu bringen und lokalen Strom zu den Menschen zu bringen. Wir wollen niemandem schaden, halten uns an alle Vorgaben. Alles ist wissenschaftlich gesichert.» [Raunen im Saal]
Karlheinz Diethelm, Leiter Amt für Umwelt, Kanton Appenzell Ausserrhoden: «Circa 14 Windräder, verteilt auf verschiedene Standorte, würden den Bedarf decken, um die Vorgaben des Bundes zu erfüllen.»
Dino Duelli auf die Frage, ob man sich an Windräder gewöhnen kann: «Gewöhnen kann man sich an alles. Aber ist es gescheit? Landschaft, Ruhe, Idylle sind unser Kapital. Opfern wir das jetzt, und in welchem Mass? Diesen Entscheid sollten wir nicht leichtfertig fällen.»
Karlheinz Diethelm: «Österreich hat 1400 Windräder und produziert damit im Winter bis zu 40 Prozent des österreichischen Stroms.»
Dino Duelli: «Wind ist nicht die eierlegende Wollmilchsau. Jedes Land hat seine Technologien, die passen. Windkraft passt nicht in die Schweiz.»
Markus Fäh, Kantonsplaner AR: «Irgendwann wird der Bund keine Richtpläne von uns mehr genehmigen, die den Anforderungen nicht genügen.»
Nun frage ich mich: Wird Windenergie das neue Corona? Ein Spielfeld für Verängstigte, Freaks, Verschwörungstheoretiker und Esoteriker?
Buh-Rufe, wenn jemand öffentlich sagt, etwas sei wissenschaftlich bewiesen, erfüllen mich mit Sorge. Wo kommen wir hin, wenn man in einem gut gefüllten Saal nicht mehr laut sagen kann, dass man sich auf die Wissenschaft und gesicherte Fakten abstützt?
Deshalb mein vorläufiges Fazit: Jene, die jetzt – mit Augenmass, bitte – auf Windenergie setzen, sollten die Windkraftgegner nicht mit Fakten und Appellen an die Solidarität für das höhere Ziel erschlagen. Sie müssen auch deren Ängste abholen, versuchen, sie zu verstehen, und Anstrengungen unternehmen, irrationale Befürchtungen abzuschwächen.
Kein Zacken fällt aus der Krone
Und schliesslich sollte auch keinem Hardcore-Windkraftbefürworter ein Zacken aus der Krone fallen, wenn er einmal zugibt: Schön ist das alles nicht. Aber wüst ist noch anderes auf dieser Welt, was einen Zweck zu erfüllen hat.
Die Windenergie ist also kein neues Corona, sondern eine Chance für die Schweiz, ihre Energieversorgung zu sichern, das Klima zu schützen und die Wirtschaft zu fördern. Es braucht jedoch eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung, die auf einer sachlichen und transparenten Diskussion basiert.
Fakten und Argumente tun auch den Gegnern gut
Die Windenergiegegner haben das Recht, ihre Meinung zu äussern, aber sie sollten sich nicht auf Emotionen oder Verschwörungstheorien stützen, sondern auf Fakten und Argumente. Die Windenergiebefürworter haben die Pflicht, die Ängste und Bedenken der Bevölkerung ernst zu nehmen, aber sie sollten sich nicht einschüchtern lassen, sondern ihre Vision und ihre Lösungen präsentieren. Die Windenergie ist kein Allheilmittel, aber möglicherweise ein wichtiger Baustein für die Energiewende in der Schweiz.
Hinweis: Das Mitwirkungsverfahren des Kantons Appenzell Ausserrhoden läuft bis zum 26. April 2024 unter: ar.ch/windenergie
Odilia Hiller aus St.Gallen war von August 2023 bis Juli 2024 Co-Chefredaktorin von «Die Ostschweiz». Frühere berufliche Stationen: St.Galler Tagblatt, NZZ, Universität St.Gallen.
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